FDP-Aussteiger Holger Zastrow: Die Liberalen haben ihre Glaubwürdigkeit verloren

Wohin steuert die FDP? Ein sächsischer Spitzenpolitiker hat den Liberalen nach drei Jahrzehnten den Rücken gekehrt. Er sieht eine Repräsentationslücke in der Mitte der Gesellschaft. Um erfolgreich Politik zu machen, müsse man nicht die Ränder bemühen.
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Spitzenpolitiker Holger Zastrow hat die FDP verlassen. Im Interview mit Epoch Times nennt er verpasste Möglichkeiten, die Ampel zu verlassen.Foto: Zastrow/ Bunzel
Von 19. Februar 2024

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Nach der Wende hat Holger Zastrow die FDP in Sachsen mit aufgebaut. Der ehemalige Landeschef der Liberalen hat jetzt das gelbe Handtuch geworfen. Die Zusammenarbeit seiner Partei mit den Grünen auf Bundesebene sei untragbar geworden. Epoch Times spricht mit ihm über große Enttäuschungen aber auch über neue Pläne und Ambitionen.

Sie sind aus der FDP ausgetreten, woran ist denn ihr „sächsischer Weg“ gescheitert?

Den sächsischen Weg gab es früher einmal, den gibt es schon seit vielen Jahren nicht mehr. Das war eine Idee, die wir im Osten Deutschlands, in Sachsen, hatten, um die FDP hier nach vielen, vielen Jahren wiederzubeleben und durch die Zeit zu bringen, als die Bundespartei stark trudelte.

Negativer Höhepunkt war dann 2013 das Ausscheiden der FDP aus dem Bundestag. Das war eine sehr bittere Situation, weil wir natürlich wussten – wir waren seit 2009 Teil der letzten schwarz-gelben Landesregierung, die es noch gab – wir haben hier eigentlich eine ziemlich gute Arbeit gemacht. Wir waren ein gutes Team und auch wirtschaftlich solide aufgestellt.

Aber wir sind immer stark abhängig gewesen von dem, was in Berlin passierte. Wir haben damals versucht, uns von Berlin stärker abzugrenzen, weil der Fokus auf unserer Arbeit liegen sollte, auf dem, was wir für den Freistaat erreicht hatten.

Die Strategie war gar nicht mal schlecht. Denn die Sichtweise der Sachsen ist bekanntermaßen oft eine andere als sonst in Deutschland. Wir sehen die Dinge etwas differenzierter. Das passte ganz gut zusammen. Und mit dem „sächsischen Weg“ hatten wir versucht, eine eigene und von Berlin unabhängige Note reinzubringen. Das hat am Ende aber nicht ganz gereicht.

Die Online-Enzyklopädie Wikipedia veröffentlichte bereits, dass Sie nach Ihrem Austritt aus der FDP in Sachsen eine „Sammelbewegung“ aufbauen wollen. Haben Sie keinen Einlass bei Wagenknecht oder Maaßen gefunden?

(Lacht.) Frau Wagenknecht hat mich nicht angerufen, das wäre wahrscheinlich auch schwierig. Aber es gibt Menschen, die empfehlen mir, bei Frau Wagenknecht mal anzuklopfen. Ich schätze sie als starke Persönlichkeit und finde auch andere neue Projekte interessant und beachtenswert.

Ich habe aber bisher noch kein einziges Projekt gesehen, das mich überzeugt, welches mich anspricht und was zu dem passt, was ich für nötig halte. Bei Frau Wagenknecht muss ich sagen: Für mich als Liberaler wird es spätestens dann unmöglich, wenn es um Wirtschaftsfragen geht. Auch außenpolitisch passt es nicht.

Ich glaube, dass die größte Lücke in Deutschland nicht an den Rändern zu finden ist. Wir sehen starke Bewegungen an den Rändern im rechten Bereich mit der AfD, vielleicht auch mit der WerteUnion, wenn sie dazukommt. Und im linken Bereich mit Frau Wagenknecht. Während an den Rändern viel Bewegung ist, schläft die Mitte.

Aber hier in der Mitte der Gesellschaft haben wir in Wirklichkeit die größte Repräsentationslücke. Und zwar genau im freiheitlichen Bereich. Eigentlich dort, wo die FDP früher mal war. Dort sehe ich mittlerweile die größte Lücke.

Es fehlt eine politische Kraft, die die ganz normalen Leute anspricht. Jene Leute, die vom Staat und von der Politik in Ruhe gelassen werden wollen. Ganz normale Leute, die anpacken und einfach machen wollen, die ihren Job, ihr Unternehmen, ihre Familie, ihren Verein meistern und nicht ständig bevormundet, gemaßregelt und agitiert werden wollen. Aber sie haben kein Vertrauen mehr. Diese Menschen spricht keiner an.

Nun sagt aber etwa Dr. Maaßen, er stehe in der Mitte und finde sich plötzlich am rechten Rand wieder. Und er argumentiert unter anderem, die Medien hätten die WerteUnion dort hingestellt, ohne dass man sich bewegt hätte …

Ja, das sagt er. Ich habe mit Hans-Georg Maaßen auch längere Gespräche geführt, das ist so. Die WerteUnion oder „Bündnis Deutschland“ oder was es da sonst noch gibt, die werden öffentlich anders eingeordnet, als es ihre eigene Wahrnehmung ist.

Ob die Einordnung immer gerecht ist, das steht auf einem völlig anderen Blatt. Aber das Etikett klebt nun mal dran und wird durch Ungeschicklichkeiten oder mutwillig ausgesendete Signale und durch manchen Akteur, der sich im Umfeld tummelt, bestätigt. Ich sehe das als Problem. Denn die vielen Menschen wollen meiner Meinung nach nicht in irgendeiner Ecke stehen und sind auf der Suche nach seriösen Alternativen.

Ich bin davon überzeugt: Die meisten Menschen in Deutschland sehen sich weder links noch rechts. Das sind einfach Leute, die schaffen, die tun, die was leisten und in ihrem Leben was erreichen wollen und keinen Bock auf diese politischen Rituale haben.

Folgt man den sozialen Medien, dann haben allerdings mittlerweile viele Leute Schwierigkeiten, einen Herrn Lindner seriöser zu finden als eine Frau Weidel. Um was geht es da, um Glaubwürdigkeit und um Authentizität, um jene Probleme, welche die Menschen wirklich bewegen?

Ja, das ist ja das Fatale an der Gesamtsituation, dass die FDP eben genau diese Glaubwürdigkeit verloren hat. Es hat der FDP ja noch nie an ausgefeilter Rhetorik gefehlt. Im Formulieren der Dinge, die man tun müsste, da sind wir immer ganz vorn dabei gewesen.

Aber wenn es um Taten geht, wenn es darum geht, etwas durchzusetzen, wenn der Wähler, wenn unsere Leute fragen: Ist da jemand in Berlin, der sich für mich ins Zeug legt, der sich für mich in den Dreck wirft, der bereit ist, alles dafür zu tun, dass es mir besser geht? Die Analysen, Ankündigungen und schönen Wörter der FDP kann man alle unterschreiben, aber es wird zu wenig und vor allem zu wenig für unsere Wähler Wesentliches umgesetzt.

Sie betreiben das „Landgut Hofewiese“. Wie werden Sie reagieren, wenn Ihnen demnächst auf Wunsch von Ministerin Faeser die Gaststättenaufsicht Veranstaltungen etwa der AfD in Ihrem Gasthaus untersagen sollte?

Es ist nur ein Biergarten und in dem würde ich keine Partei und gleich gar nicht die AfD auftreten lassen. Noch nicht einmal ich selbst habe mein Objekt für den eigenen Wahlkampf genutzt. Das trenne ich sehr bewusst. Menschen müssen nicht überall politisch behelligt werden.

Dann nehmen wir die WerteUnion, die möchte bei Ihnen ein politisches Kaffeetrinken veranstalten. Jetzt sagt Ihnen Ihre Gaststättenaufsicht: Mensch Zastrow, lass das mal lieber bleiben, da bekommst Du Probleme …

Man wird, insbesondere in der Gastronomie, schon genug gegängelt und es wird immer mehr. Die Bürokratie treibt immer neue Blüten, ich erinnere nur an die irrwitzige Kassenbonpflicht. Niemand will so einen Bon, aber wir drucken, drucken und drucken. Dass die Politik einem damit auch die Freude an der Selbstständigkeit nimmt und dafür sorgt, dass immer weniger Leute sich noch darauf einlassen, sei auch erwähnt. Und es ist wahrscheinlich inzwischen nicht einmal unvorstellbar, dass die Politik demnächst auch noch mit, ich sage mal, moralischen Vorschriften oder einer Art Veranstaltungszensur um die Ecke kommt. In dem Land, in dem ich geboren wurde, gabs so etwas schon mal. Sieht nach einem Déjà-vu aus. Kritiker oder auch nur Unbedarfte landeten damals übrigens ganz schnell unter dem Vorwurf der „staatsfeindlichen Hetze“ im Gefängnis.

Glauben Sie denn, die FDP wird Faesers Demokratiefördergesetz zustimmen?

Ich befürchte das, ja.

Sie kritisieren die Grünen stark. Aber beispielsweise Nancy Faeser ist eine Sozialdemokratin. Und sie hat dieses umfangreiche Paket entworfen, wo, wie sie sagt, Rechte nun in die Mangel genommen „und jeder Stein umgedreht werden“ soll. Müssten Sie Ihre Kritik auf die Sozialdemokratie ausweiten?

Sie schauen nur auf den Bund. Aber in Sachsen kämpft die SPD verzweifelt um den Wiedereinzug in den Landtag. Aber natürlich: Die Ampel in ihrer Gesamtheit ist nicht gut für Deutschland. Die FDP kann Deutschland einen Dienst erweisen, wenn man – in Erinnerung an die Aussage von Christian Lindners „Besser nicht regieren als schlecht regieren“ – jetzt die Ampel verlässt.

Aber warum hätte die FDP nach 2017 zu Jamaika nicht auch 2021 zur Ampel klar „Nein“ sagen können? 

Das kann ich nicht einschätzen, dass müssten Ihnen die Leute in Berlin sagen. Meine Skepsis 2021 war groß. Was der FDP damals widerfahren ist, ist auch der Effekt, wenn man immer zu große Sprüche klopft. Vielleicht verwenden wir zu oft starke Adjektive und Attribute. Diese Aussagen führen dann oftmals dazu, dass man nicht dahinter zurück kann. Wir legen die Latte so hoch, dass man irgendwann nicht mehr drüber kommt.

Nun war die auf Lindner zugeschnittene FDP-Werbekampagne 2017 sehr  erfolgreich …

Ja, weil unsere Aussagen den Nerv ganz vieler getroffen haben und wir Hoffnungen geweckt haben. Insbesondere CDU-Wähler sind damals zu uns gekommen. Die Wähler wollten den Wechsel und letztlich wurde die Union für die Merkel-Zeit abgestraft. Da die CDU in der Folge als Koalitionspartner nicht infrage kommen konnte und da die FDP sich als als Korrektiv und Impulsgeber anbot, haben sich bestimmt auch viele Wähler gewünscht, dass die FDP Teil der Ampel wird, damit die Linken nicht unter sich bleiben. Das ist so. Deswegen war es auch nicht von vorherein falsch, sich auf das Bündnis einzulassen. Man muss nur bereit sein, Konsequenzen zu ziehen, wenn man feststellt, dass es nicht funktioniert.

Viele haben in der CDU auch für Friedrich Merz gestimmt als Parteichef der CDU und fühlen sich heute bitter enttäuscht. Ist das vergleichbar?

Ja, vielleicht. Aber das hängt ja auch vom Menschen ab. Es hätte ja sein können, dass mit den Grünen eine Zusammenarbeit möglich gewesen wäre. Das kenne ich von der Kommunalpolitik, auf der Landesebene gibt es das manchmal auch. In seltenen Fällen gibt es auch pragmatische Grüne. Und es ist immer möglich, wenn die einzelnen Akteure aus Verantwortung für das Land und mit einem hohen Respekt füreinander einfach das Richtige tun. Es ist immer möglich, dass auch Leute zusammenarbeiten, von denen man das vielleicht nie gedacht hätte.

Sie meinen Patriotismus kann ein Grundgerüst für gute Politik sein?

Patriotismus würde ich das nicht nennen…

Eine Liebe zum Land und den Menschen?

Nennen wir es Verantwortung. Wenn ich sehe, dass die Wähler Merkel nach 16 Jahren klar abgewählt haben und hinterher natürlich etwas von außerhalb der CDU kommen muss, dann kann ich das ja wahrnehmen, und dann kann ich daraus entsprechend meine Schlüsse ziehen.

Dann kann ich als FDP auch sagen: Okay, wir wagen das Experiment. Aber wenn das Experiment, wie zumindest unsere Wähler sagen, gescheitert ist, muss man reagieren. Wir wissen mittlerweile, dass diese Ampel nicht funktioniert, dass sie für Deutschland nicht gut ist.

Die Ampel erreicht mit ihrer Politik bei Weitem nicht die Mehrheit. Sie regiert quasi ohne Volk. Dazu kommt aber, dass die FDP es noch nicht einmal schafft, wenigstens die eigene Klientel glücklich zu machen. Im Gegenteil: Eine Gruppe nach der anderen, die ich mal als Kernzielgruppen sehen würde – Handwerker, Gastronomen, Spediteure und jetzt sind die Landwirte, die ja auch mal überproportional FDP gewählt haben – hat die FDP verloren. Wenn ich das sehe, dazu die neun nacheinander verlorenen Wahlen, die verlustigen Regierungsbeteiligungen in unseren stärksten Ländern, die nächtlichen Zitterpartien, ob man es in einen Landtag noch schafft oder nicht, und die dramatisch fallenden Umfragewerte, dann brauche ich nicht noch weiter in die Glaskugel gucken, sondern dann muss ich sagen:

Vorsicht, offensichtlich passiert hier etwas, wo wir eine Entscheidung treffen müssen, und das wäre, die Ampel zu verlassen. Spätestens nach dem Heizungsgesetz hätten wir es machen müssen. Die letzte Chance war vielleicht jetzt am Jahresende die Proteste der Landwirte und Unternehmer. Das wäre ein guter Anlass gewesen. Der FDP fehlt dafür aber der Wille und wahrscheinlich auch die Kraft, aber ganz sicher der Mut, diese Entscheidung zu treffen. Hätte sie diese Entscheidung getroffen, glaube ich, würden wir nicht über eine Existenzkrise der FDP sprechen, sondern dann hätte sich die FDP bei vielen Menschen in diesem Land verdient gemacht.

Sie haben gegenüber dem ZDF gesagt, die Grünen sind eine Gefahr für die freiheitliche Gesellschaft. Auch Frau Wagenknecht hält die Grünen für die gefährlichste Partei im Parlament. Warum erachten Sie diese Partei als eine Gefahr?

Die Grünen sind Überzeugungstäter, sie sind die einzige Partei – wobei, es färbt leider auch auf andere ab – die einzige Partei, der es völlig egal ist, wie eine Mehrheit tickt. Der es völlig egal ist, ob ihre Politik gut ankommt, sondern sie ziehen ihr Programm starr und stur durch. Koste es, was es wolle. Es ist fast schon sektiererisch.

Sekte? Sie kommen aus der DDR, warum sagen Sie nicht, es erinnert Sie an die DDR?

DDR, Sekte? Nein, das kann man nicht vergleichen. Es ist anders. Die Grünen haben einen Plan. Ich kenne das von der Kommunalpolitik übers Land bis zum Bund und das zieht sich tief in die Institutionen rein: Die haben einen Plan und diesen Plan setzen sie um. Sie wollen ein anderes Land, eine andere Gesellschaft – auf Kosten von Freiheit und Individualität übrigens. Und das unterschätzen andere Parteien im demokratischen Spektrum schon sehr lange.

Das ist auch der Vorwurf, mit dem die FDP nach Hause geht. Man versucht ja als FDP immer zu sagen: Ja, ohne uns würde es in dieser Ampelregierung mit den Grünen noch viel schlimmer sein. Aber wer weiß denn das? Ich glaube, die CDU würde sich im Bund im Moment nicht trauen, mit den Grünen etwas zu machen.

So bleibt am Ende der Vorwurf gegenüber der FDP stehen: Nur weil ihr euch mit den Grünen ins Bett gelegt habt, können die überhaupt ihre Vorstellungen umsetzen. Und sie machen das sehr erfolgreich. Ja, ab und zu mildern wir etwas ab, lindern die Folgen grüner Politik. Die Bundestagsabgeordneten der FDP mühen sich da wacker.

Aber es ändert nichts an der Tatsache: Deutschland ist als Geisterfahrer in Europa unterwegs. Und auch wenn wir hin und wieder mal einen Blinker setzen oder die Bremse betätigen, fahren wir immer noch in der falschen Spur.

Das muss man beenden, da muss man einen Schlussstrich ziehen. Und gerade für uns als FDP. Waren wir nicht diejenigen, für die die Freiheit die DNA ist? Immer wenn irgendwer um die Ecke kommt und den Bürgern vorschreiben will, wie er leben soll, was er essen soll, wie er sein Unternehmen führen soll, wie er sich fortbewegen soll oder wie er heizen soll, dann müssen wir sagen: Stopp, das ist unsere rote Linie! Bis hierher und nicht weiter! Stattdessen überschreiten wir permanent unsere eigenen roten Linien. Dafür werden wir beziehungsweise wird meine ehemalige Partei, einen sehr hohen Preis bezahlen, befürchte ich.

Danke für das Gespräch! 

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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