Ex-BMW-Manager: Standortkrise Deutschland erst am Anfang, wenn Politik so weiter macht

Seit Monaten häufen sich die Hiobsbotschaften aus der deutschen Industrie; alteingesessene Firmen schließen oder wandern ab. Richard Gaul, ein ehemaliger BMW-Manager, schätzt die Lage in der Automobilindustrie ein und sagt, wo es in Deutschland Verbesserungsbedarf gibt.
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Richard Gaul. Förderung von E-Autos ist „immer falsch“, sagt der Ex-BMW-Manager.Foto: Matthias Kehrein/Epoch Times
Epoch Times29. September 2024

Volkswagen steckt in der Krise. Und das, obwohl der Automobilhersteller weltweit die zweitmeisten Fahrzeuge baut. Hinzu verbüßte mit BMW ein weiterer deutscher Autobauer einen herben Rückschlag. Am 10. September fiel die Aktie um mehr als 10 Prozent, nachdem 1,5 Millionen Fahrzeuge zurückgerufen werden mussten. Wie steht es also um die Automobilindustrie insgesamt? Und lassen sich daraus Rückschlüsse auf die allgemeine Wirtschaftslage ziehen? Die Epoch Times sprach mit Richard Gaul, der mehr als zwei Jahrzehnte lang die weltweite Kommunikation von BMW leitete.

Erst gab es die Krisenmeldung bei VW, dann kam BMW dazu. Und dann gab es auch Leerverkäufe gegen Porsche. Das heißt, an der Börse wurde gegen Porsche gewettet. Befindet sich die Automobilindustrie in Deutschland auf dem absteigenden Ast?

Das sind drei völlig unterschiedliche Fälle, die nur zufällig gleichzeitig stattgefunden haben. Volkswagen hat einen Strukturwandel durchzumachen, weil zu sehr auf Elektromobilität gesetzt wurde. BMW hat ein Problem mit seinem Zulieferer Conti. Das Thema schwelt schon seit mindestens einem Vierteljahr. Die Leerverkäufe bei Porsche sind kurzfristige Spekulationen, die nichts mit der Lage des Unternehmens zu tun haben. Grundsätzlich gilt aber, dass die Winde in der Automobilindustrie schärfer geworden sind. Die Lage ist ernster geworden. Das gilt aber nicht nur für die deutschen Unternehmen, sondern für die Automobilindustrie weltweit. Die Marktbedingungen haben sich verschärft.

Wie wichtig ist die Automobilbranche für die gesamtwirtschaftliche Stellung von Deutschland?

In Deutschland ist die Automobilindustrie einer der größten Arbeitgeber. Wichtiger aber ist: Die Automobilindustrie ist neben der Rüstungsindustrie und der Luft- und Raumfahrt eine der drei Branchen, die Technologienachfrager sind. Darum ist die Automobilindustrie eine Schlüsselbranche für die deutsche Volkswirtschaft.


VW hat kürzlich sechs Tarifverträge aufgekündigt, darunter auch die langjährige Beschäftigungszusicherung. Heißt das, dass die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland auch in der Gesellschaft ankommt?

Meiner Meinung nach nicht. Aber Volkswagen muss flexibel sein für die Zukunft in einem stark flexiblen und volatilen Markt. Und deswegen hat Volkswagen sich frei gemacht oder versucht, sich frei zu machen von Bindungen, die man eingegangen ist, als die Lage anders war. Volkswagen hat im Grunde wie auf einer Insel der Seligen gelebt, mit hohen Tarifverträgen, hohen Tarifvertragsabschlüssen, hohen, auch nicht monetären Vorteilen für die Mitarbeiter, Beschäftigungsgarantien. Und davon muss Volkswagen sich jetzt schrittweise verabschieden.

Die VW-Aktie ist sehr attraktiv für viele Anleger, weil hohe Dividenden gezahlt werden. Da wird jetzt auch die Schuld für die Krise gesucht. Zum Beispiel forderte die Co-Vorsitzende der Linken, Janine Wissler, dass Großaktionäre ihre Gewinne zurückzahlen sollen. Dafür gibt es wohl keine rechtliche Grundlage. Aber was ist dran an den hohen Dividendenzahlungen innerhalb einer Krise?

Dass eine linke Politikerin eine solche Unsinnsforderung stellt, überrascht mich nicht. Die Forderung ist albern. Die Dividende ist unter anderem eines der Instrumente, um die Attraktivität für die Anleger des Unternehmens zu erhalten. Insofern tut VW gut daran, die Dividende beizubehalten.

Und eines darf man nicht vergessen: Der Volkswagen-Konzern ist hochgradig profitabel. Selbst die Marke Volkswagen, die jahrzehntelang so an der Nulllinie schwebte, ist jetzt immer noch bei plus 2,5 bis 5 Prozent Umsatzrendite. Das heißt, Volkswagen ist hochprofitabel und lässt die Aktionäre aus gutem Grund daran teilhaben. Nicht zu vergessen, gibt es bei Volkswagen auch viele Volksaktionäre, also kleine Aktionäre, für die die Dividende Bestandteil des Jahreseinkommens ist.

VW wird dafür kritisiert, zu stark auf E-Autos gesetzt zu haben. Wie stehen Sie persönlich zum Thema E-Auto?

Ich fahre ein E-Auto, weil ich es mal im Alltag erleben will. E-Autos werden krankgeredet. Ich fahre zum Beispiel morgen mit dem E-Auto nach München und werde auf der Strecke zweimal Pause machen. Eine buchstäbliche Kaffeepause, in der ich genug laden kann, um dann weitere 300 bis 400 Kilometer zu fahren.

Volkswagen hat den Fehler gemacht, den Markt zu überschätzen. Wahrscheinlich ist das Unternehmen der politischen Ansage gefolgt, das E-Auto sei die Zukunft. Volkswagen hat den strukturellen Fehler gemacht, Werke wie das in Zwickau allein auf E-Autos auszurichten. Wenn die Nachfrage nach E-Autos zurückgeht – etwa durch das Ende der Förderung –, muss das Werk in Kurzarbeit gehen und ist nicht mehr profitabel.

BMW geht einen anderen Weg. Bei BMW werden auf demselben Band E-Autos, Benziner, Diesel, Hybride und Wasserstoffautos gebaut. Das heißt, wenn der Kunde sich für eine von den fünf Antriebsformen entscheidet, kann völlig flexibel auf den Markt reagiert werden.

Erst wurden E-Autos stark gefördert, dann wurde die Förderung eingestellt. Seit Kurzem wird erneut über Förderung gesprochen. Ist das ein Anzeichen dafür, dass E-Autos im marktwirtschaftlichen Wettbewerb nicht wettbewerbsfähig sind?

Eigentlich ist Förderung immer falsch. Der Markt muss entscheiden und die Unternehmen müssen so flexibel sein, dass sie für den Markt das richtige Produkt bauen. Wenn man einmal anfängt zu fördern, rutscht man immer weiter in die Förderung hinein. Deutschland hat mit den direkten Kaufprämien den Fehler gemacht, zunächst groß zu fördern und die Förderung dann buchstäblich übers Wochenende zu beenden. Jetzt stellt die Politik fest, dass das doch nicht so toll ist und fängt wieder damit an.

In einem Interview mit Epoch Times sagte ein VW-Mitarbeiter aus Zwickau, dass selbst die VW-Führung kaum E-Autos fahren würde. Woran liegt es, dass die Akzeptanz von E-Autos so niedrig ist?

Das Problem beim E-Auto ist: Niemand weiß, wie die Dauerhaltbarkeit ist. Darum sind Käufer sehr zurückhaltend, 30.000 Euro für ein neues Auto zu bezahlen, was ihnen als Gebrauchtwagen nach drei oder fünf Jahren möglicherweise dramatisch schlechtere Preise einbringt.

Es ist das Problem einer neuen Technologie. Es sind die Pioniere, die die neue Technologie kaufen – auch auf das Risiko hin, dass sie nach einigen Jahren ein wertloses Produkt haben. Nach den Pionieren kommen die normalen Menschen und dann wird es irgendwann ins normale Portfolio eingehen.

Was der Mitarbeiter sagt, das weiß ich nun definitiv. Als Volkswagen anfing, E-Autos zu bauen, wurden die Mitarbeiter motiviert, als Dienstwagen E-Autos zu ordern. Nach einer gewissen Zeit war die Nachfrage nach E-Autos so groß, dass die Mitarbeiter keine E-Autos mehr haben durften. Und jetzt, wo die Nachfrage zurückgeht, kriegen sie E-Autos wieder empfohlen. Das heißt, der Markt ist sehr volatil, sehr schwankend, und die Unternehmen können sich auf diese Schwankungen nicht einstellen, weil die Produktionsstrukturen zu langsam reagieren.

Ob E-Mobilität sich durchsetzt oder nicht, werden wir in zehn, 15 Jahren wissen. Ein Land verträgt die Elektromobilität durchaus, wenn die Strukturen dafür geschaffen werden. Und da in Deutschland immer wieder über die Ladeinfrastruktur diskutiert wird, möchte ich sagen, dass es diesbezüglich in Deutschland oder Mitteleuropa gar keine Probleme mehr gibt.

Die Automobilbranche ist für Deutschland bedeutend. In Sachsen beispielsweise ist VW der größte Arbeitgeber. Ist der Zustand der Automobilindustrie ein Indikator für den gesamten Wirtschaftsstandort Deutschland?

Ich glaube, dass man mit Indikator zu weit geht. Die deutsche Automobilindustrie ist nach wie vor hochgradig wettbewerbsfähig. Was die Technologie angeht, ist sie führend.

Ein kleines Beispiel: Das von Tesla seit fünf Jahren angekündigte autonome Fahren gibt es bei BMW und Mercedes bereits seit zwei Jahren. Tesla wird schon bald ein Robotaxi ankündigen, das bei BMW und Mercedes schon seit fünf oder sechs Jahren verfügbar ist.

Der große Vermögensverwalter BlackRock hat bereits im Jahr 2016 sein Aktienengagement bei VW immer weiter reduziert und ist ab 2021 mit seinem Kapital vermehrt bei chinesischen Automobilherstellern eingestiegen. Wie ist das zu bewerten?

Ein solcher Vermögensverwalter ist an kurzfristigen Ergebnissen interessiert. Er strebt danach, aus etablierten Märkten in neue Märkte zu gehen, weil dort die Zuwachschancen größer sind. Die chinesische Automobilindustrie ist jetzt in einer Phase, in der die amerikanische oder die europäische Automobilindustrie vor 100 Jahren war.

Schauen wir in die Zukunft. Stehen wir am Anfang einer sich ausweitenden Krise der Automobilbranche, oder wird sich das wieder einpendeln?

Wir stehen am Beginn einer Standortkrise in Deutschland. Wenn wir bei den politischen Rahmenbedingungen so weitermachen, werden wir Arbeitsplätze verlieren. Nicht nur in der Automobilindustrie, sondern überall, wo Energie eine große Rolle spielt, wo die Bürokratie als Hemmnis funktioniert, wo ich nicht schnell genug neue Strukturen aufbauen kann.

Wie reagiert die Automobilindustrie? Die großen Unternehmen sind international, sie bauen dann das Auto woanders. Dann kommt der VW ID.7 eben aus Ungarn auf den deutschen Markt.

Bei der Forschung und Entwicklung sind wir nach wie vor Weltklasse. Darum werden die Automobilhersteller diese Abteilungen in großen Teilen in Deutschland belassen. Aber als Produktionsstandort ist Deutschland gefährdet.

Was wäre zu tun, um den Wirtschaftsstandort Deutschland attraktiver zu machen?

Es gibt zwei ganz wichtige Punkte. Das eine ist der Energiepreis. Wir haben in Deutschland Energiepreise, die international nicht wettbewerbsfähig sind. Das Zweite ist die Bürokratie. Wir haben eine total überregulierte Struktur. Alle paar Monate werden Gesetze geändert. Bevor das berühmte Heizungsgesetz in Kraft trat, ist es dreimal geändert worden. Ein Heizungsbauer muss 300 Seiten Vorschriften erfüllen. Das zeigt uns: Der Bürokratieabbau funktioniert nur, wenn man Bürokraten abbaut.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Alexander Zwieschowski (redaktionelle Bearbeitung mk).

Zur Person:

Richard Gaul führte 22 Jahre lang die weltweite Kommunikation für BMW, war 15 Jahre Wirtschaftsjournalist und ist seit 2007 selbstständiger Kommunikationsberater.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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