EU-Kommissionspräsident: Fehlen Weber Fidesz-Stimmen, könnte Vestager lachende Dritte sein
Die Suspendierung der Mitgliedschaft der ungarischen Fidesz in der „Europäischen Volkspartei“ (EVP) könnte im Fall eines hohen Stimmenanteils von Parteien rechts der bürgerlichen Mitte bei den EU-Wahlen die Aussichten von Spitzenkandidat Manfred Weber mindern, EU-Kommissionspräsident zu werden.
Zwar haben Ungarns Premierminister Viktor Orbán und führende Vertreter seiner Partei wiederholt betont, in der bürgerlich-konservativen Parteienfamilie bleiben zu wollen. Sollten die unfreundlichen Akte gegenüber dem ungarischen Partner jedoch anhalten, dem jüngste Umfragen die Chance auf 14 Sitze im Europaparlament einräumen, könnte die erforderliche Mehrheit für Weber an exakt diesen Stimmen hängen.
Bei Patt könnte ALDE Vestager aus dem Hut zaubern
Derzeitigen Prognosen zufolge wird die EVP im EU-Parlament ihre relative Mehrheit verteidigen können. Die Sozialdemokraten müssen mit erheblichen Verlusten rechnen, sodass auch die Aussichten ihres Spitzenkandidaten Frans Timmermans beschränkt sind. In dieser Situation könnte die EVP natürlich darauf spekulieren, dass Sozialdemokraten und Liberale sie für ihre „Haltung“ im Fall Fidesz belohnen und Weber die erforderlichen Stimmen sichern.
Es könnten sich im für die EVP ungünstigeren Fall jedoch auch die Liberalen von der ALDE-Fraktion selbst ins Spiel bringen, wenn es darum geht, den nächsten EU-Kommissionspräsidenten zu stellen. Die „Welt“ hat auch schon eine Idee, wer in diesem Fall für sie ins Rennen gehen könnte: die EU-Kartellwächterin Margrethe Vestager.
Das Springer-Blatt ergeht sich in einer regelrechten Eloge auf den potenziellen „ersten weiblichen Kommissionspräsidenten in der Geschichte Europas“ – und das, obwohl sie bislang lediglich angedeutet habe, in Brüssel bleiben zu wollen.
Neben der Eigendynamik, die der parlamentarische Prozess im Fall einer fraglichen Mehrheit für Weber entfalten könnte, deutet Hannelore Crolly an, dass gerade ihre Bilanz als Wettbewerbskommissarin sie schon bald in noch höhere Sphären der europäischen Politik führen könnte.
Balsam auf gekränkte europäische Seele?
Dass ihre Behörde jüngst den US-Internetkonzern Google mit einer Buße von 1,49 Milliarden Euro belegte, weil das US-Unternehmen seine marktbeherrschende Stellung im Bereich der Onlinewerbung missbraucht haben soll, könnte zum Verkaufsargument der Liberalen werden, wenn es darum geht, Vestager als Nachfolgerin von Jean-Claude Juncker durchzubringen.
Google ist nicht das einzige US-Unternehmen, gegen das ihr Büro vorgeht. Auch Facebook, Apple und Amazon sind ins Visier der EU-Wettbewerbshüter geraten – und seit US-Präsident Donald Trump mit seiner wenig ehrfurchtsvollen Politik gegenüber den Europäern in Brüssel, Paris und Berlin für viel gekränkte Eitelkeit sorgt, kann es unter europäischen Parlamentariern durchaus für Verzückung sorgen, den Amerikanern „einmal so richtig die Zähne gezeigt“ zu haben.
Zudem hat die EU-Wettbewerbskommission auch schon eine Reihe anderer Feindbilder für stolze Europäer und Sozialisten bedient: Sie stellt sich Autokonzernen ebenso in den Weg wie der Gazprom – und ihr Einsatz gegen innergemeinschaftlichen Steuerwettbewerb und unerlaubte Staatsbeihilfen trifft im Regelfall nicht die großen Player wie Deutschland oder Frankreich, sondern die zu einer gewissen Renitenz neigenden Staaten dessen, was Donald Rumsfeld einst das „neue Europa“ nannte.
Dennoch könnte einer der wenigen Schritte, die sie gegen die Interessen der selbstberufenen „Europa-Schrittmacher“ Angela Merkel und Emmanuel Macron gesetzt hatte, am Ende ihre Chancen erheblich schmälern: Immerhin war Vestager auch dafür verantwortlich, dass die mit Rückendeckung aus Berlin und Paris versehene Fusion von Siemens und Alstom an wettbewerbsrechtlichen Bedenken scheiterte.
Wunschkandidatin der Funktionseliten
Dies könnte einen gewissen Revanchismus insbesondere vonseiten Macrons beflügeln, der ein ähnlich großes Ausmaß annehmen könnte wie eine mögliche Stimmenverweigerung der Fidesz für Weber. Zudem ist eine zu strenge Auslegung des Wettbewerbsrechts zu Ungunsten europäischer Zusammenschlüsse auch nicht im Interesse von spätberufenen USA-Kritikern vom Schlage eines Ralf Stegner oder Wolfgang Kubicki – denn von deren Warte aus betrachtet würde eine solche den globalen Konkurrenten der EU in die Hände spielen.
So begräbt denn auch die „Welt“ weitgehend wieder ihre Hoffnungen auf eine mögliche Überraschungs-Kommissionspräsidentin Vestager. Es sei nicht einmal ihr Verbleib als Wettbewerbskommissarin sicher, weil ihre eigene Partei in Dänemark in der Opposition sitzt.
Unter den Eliten ist jedoch ihr Rückhalt deutlich größer als jener Webers. Die „Welt“ spielt auf die Ergebnisse einer Umfrage der Kommunikationsagentur BCW unter knapp 1800 sogenannten EU-Stakeholdern an. Demnach nannte ein Fünftel der Wirtschaftsvertreter, Beamten, Berater, Politiker, Journalisten und Wissenschaftler die Dänin als Wunsch-Kommissionspräsidentin auf – bei freier Namensnennung. EVP-Spitzenkandidat Weber bekam nur vier Prozent.
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