Chinas Schuldenfallen-Diplomatie und Montenegro: Ein Lehrbuchbeispiel

Dieser Gastbeitrag ist der Originaltext zum Video: „Montenegro: Ein Lehrbuchbeispiel für Chinas Schuldenfallen-Diplomatie“ vom YouTube-Kanal „Leas Einblick“

Montenegro, ein kleiner und schöner Staat an der Adria mit 620.000 Einwohnern – so viel etwa wie Düsseldorf oder Stuttgart –, befindet sich gerade in großen Schwierigkeiten.  

Das Land hat hohe Schulden.    

Für den Bau einer neuen Autobahn ist Montenegro mit etwa einer Milliarde Euro in China verschuldet. Die Strecke ist noch längst nicht fertig, doch die Rückzahlung steht an.

Eine Milliarde Euro ist eine Menge Geld. Erst recht, wenn die gesamte jährliche Wirtschaftsleistung von Montenegro bei etwa vier Milliarden Euro liegt.   

Wie ist Montenegro in diese Zwickmühle geraten? Welche Rolle spielt China dabei?

Im Jahr 2014 nahm Montenegro einen 800 Millionen Dollar Kredit bei einer chinesischen Bank auf, um einen Abschnitt einer Autobahn zu bauen.    

Sie wussten nicht, dass es eine Autobahn sein wird, die geradewegs in eine Schuldenfalle führt.  

Es war ein Traum der montenegrinischen Regierung, eine neue, moderne Autobahn zu haben, die von der Ostküste des Adriatischen Meeres bis nach Norden zur serbischen Grenze führt. Mit der Autobahn sollte die Wirtschaft im weniger entwickelten Norden angekurbelt und der Handel mit Serbien gestärkt werden.   

Eine schöne Vision – jedoch mit einem Haken: Die Zahlen sprachen gegen solch ein Vorhaben.  

Zwei Wirtschaftlichkeitsstudien von einer französischen und einer amerikanischen Firma kamen zu demselben Schluss, dass es nicht genug Verkehr geben würde, um die Investition zu rechtfertigen.  

Wie viel Verkehr müsste es geben, damit sich die Investition überhaupt lohnt? 22.000 bis 25.000 Fahrzeuge pro Tag.

Ratet mal, wie hoch das tägliche Verkehrsaufkommen auf der am stärksten frequentierten Strecke nun ist? Weniger als 6.000 Fahrzeuge. Mit anderen Worten: Man bräuchte viermal so viele Reisende, damit der Plan aufgeht.  

Als der Traum ein Traum bleiben sollte, tauchte China auf und die Dinge nahmen eine unglückliche Wendung.    

Die „Export-Import Bank of China“ bezahlte Wirtschaftsprofessoren der Universität von Montenegro und gab ihnen den Auftrag, eine neue Wirtschaftlichkeitsstudie zu machen. Und siehe da, dieses von China bezahlte Gutachten kam zu dem Schluss, dass der Bau dieser Autobahn doch rentabel sei.

Es wird euch wahrscheinlich nicht überraschen, wenn ihr hört, dass die montenegrinische Regierung es abgelehnt hat, dem Parlament die detaillierten Untersuchungsergebnisse vor einer Abstimmung zur Verfügung zu stellen.  

Im Jahr 2014 unterzeichnete Montenegro ein Abkommen mit China – und die schmerzhafte Reise begann.   

Der ursprüngliche Plan erwies sich als fehlerhaft. Hinzu kamen die ungünstigen Währungsschwankungen – die Kosten für das Projekt stiegen immer weiter an.

Der Kredit schwoll von 800 Millionen, auf fast eine Milliarde Dollar an. Viele glaubten auch, dass der Kredit mit zusätzlichen Geldern für korrupte Beamte aufgestockt wurde.  

Die Bauarbeiten des ersten Teilabschnitts übernahm vereinbarungsgemäß eine chinesische Firma. Und diese liegt um Jahre hinter dem Zeitplan. Bis Ende dieses Jahres sollte diese Strecke fertiggestellt werden. Aber die Rückzahlung des Kredits soll schon im Juli beginnen. Also in circa zwei Monaten.

Wie ich am Anfang erwähnt habe, deckt der hohe chinesische Kredit nur den ersten Teilabschnitt der Autobahn ab. Damit die erste Autobahn des Balkanstaates Wirklichkeit wird, muss Montenegro sich für den zweiten Teil noch massiver bei der Volksrepublik verschulden – mindestens um eine weitere Milliarde Euro.

Nun, selbst wenn die gesamte Autobahn fertig ist, wird es nicht genügend Fahrzeuge geben, die fahren und Maut zahlen. Im Klartext: Dieses Projekt wird sich nicht selbst tragen können und die Regierung muss anderweitig Geld finden.   

Die Regierung hat zur Vorbereitung auf die Rückzahlungen Steuern erhöht und Leistungen gekürzt.

Das Land litt schon lange vor den Rückzahlungen. Nun hat die Pandemie auch noch den Tourismus zerstört. Er war das Rückgrat der lokalen Wirtschaft. Und das erschwert die Rückzahlungen noch mehr. 

Was ist, wenn die Regierung das Geld nicht zurückzahlen kann? Dann wird China einspringen und auf das Land und die Vermögenswerte als Sicherheiten zugreifen.   

Montenegro sitzt also in der Falle. Ein europäischer Thinktank beschrieb Montenegro als ein „Lehrbuchbeispiel für die Schuldenfallen-Diplomatie“ – das bedeutet, dass ein Land einem anderen Land unüberschaubare Schulden aufbürdet, um seinen Einfluss zu erhöhen.  

Warum macht China das mit Montenegro?  

Womöglich weil Montenegro über die Adria ein wichtiges Sprungbrett nach Europa ist. 

Ein anderer Grund könnte sein, dass das Land ein Anwärter für die EU ist, sodass sich eine enge Beziehung mit seiner Regierung in der Zukunft als nützlich erweisen könnte.

Genauso ist China mit vielen anderen Ländern verfahren. Es hat seine Interessen mit seiner berüchtigten Initiative durchgesetzt: der Neuen Seidenstraße („Belt and Road Initiative“).    

Was genau ist diese Initiative? Es ist ein großer Plan zur Sicherung der Land- und Seehandelsrouten von Asien nach Europa und Afrika. Dabei werden große Bau- und Infrastrukturprojekte in Ländern durchgeführt, die an diesen Routen liegen.    

An dem Plan sind 65 Länder beteiligt. Zusammen machen diese ein Drittel des globalen Bruttoinlandsproduktes, 60 Prozent der Weltbevölkerung und 40 Prozent der weltweiten Ölproduktion aus.    

Die Initiative wurde 2013 angekündigt und – man höre und staune – 2017 ins Statut der Kommunistischen Partei Chinas aufgenommen.

Was denkt ihr, was dieser Schritt bedeutet? Für mich ist es ein sicheres Zeichen, dass die Politik über die Wirtschaft triumphieren wird. Alle chinesischen Unternehmen werden so unter Druck gesetzt, Investitionsentscheidungen zu treffen, die die politische Strategie der KP Chinas unterstützen.    

Nach diesem Schema zielt Peking auf arme Länder oder angeschlagene Demokratien, in denen Korruption weit verbreitet ist und die Infrastruktur fehlt.  

Chinesische Banken stellen schnelles Geld mit wenig Sorgfaltspflicht zur Verfügung – etwas, was westliche Kreditgeber nicht tun würden – und schicken staatseigene Unternehmen, um Mega-Infrastrukturprojekte umzusetzen. Oftmals brauchen diese Länder solche Projekte nicht, geraten aber dadurch tief in die Schuldenfalle.    

Dann greift die KP China ein und übernimmt die Kontrolle über die Infrastruktur oder das Land selbst, was zu einer nationalen Sicherheits- und Souveränitätskrise führt.  

Und das spielt sich direkt vor unseren Augen ab.  

Nichts illustriert Chinas Schuldenfallen-Diplomatie anschaulicher als Sri Lanka.  

Sri Lanka lieh sich über eine Milliarde Dollar von Chinas Staatsbank, um einen strategischen Hafen zu errichten, den Hambantota Port.   

Eine der Bedingungen des Kreditvertrags ist, dass der Bau von China Harbor, einem chinesischen Staatsunternehmen, durchgeführt wird. Der Auftrag wurde erteilt ohne eine öffentliche Ausschreibung, wie es bei großen Infrastrukturprojekten sein sollte. 

Die chinesischen Firmen und tausende chinesische Arbeiter werden letztlich von dem Kreditnehmerland bezahlt. Man muss sich merken: Wenn die Kommunistische Führung Chinas sagt, es sei ein Win-Win-Geschäft, bedeutet das nicht, dass beide Parteien gewinnen. Es bedeutet, dass die KP Chinas zweimal gewinnt!   

Um auf den Hafen in Sri Lanka zurückzukommen: Nachdem die Arbeiten abgeschlossen waren, zog der Hafen im Jahr 2012 nur 34 Schiffe an. In den folgenden Jahren war es nicht viel anders.  

Mit wenig Einnahmen kämpft das Land nun mit den Rückzahlungen. Mit einem Zinssatz von 6,3 Prozent war der Kredit übrigens nicht billig. 2017 übergab die sri-lankische Regierung schließlich den Hafen und 15.000 Hektar Land für 99 Jahre an China.  

Es hat nicht nur wirtschaftliche, sondern auch militärische Auswirkungen. Denn nur wenige hundert Meilen entfernt liegt die Küste Indiens – ein Rivale von China.  

Neben Geld für den Hafen hat Sri Lanka weitere sieben Milliarden Dollar von Peking geliehen, um Autobahnen zu bauen, auf denen kein Auto fährt, und einen internationalen Flughafen, auf dem nur ein Flugzeug pro Tag startet und landet.    

Präsident Mahinda Rajapaksa, der für die Unterzeichnung dieser Deals verantwortlich war, wurde 2015 aus dem Amt gejagt.    

Ihr fragt euch jetzt vielleicht, woher China all das Geld nimmt? Die kurze Antwort: China greift auf seine riesigen Devisenreserven zurück – das sind über drei Billionen Dollar, die es eigentlich nicht für diesen Zweck verwenden dürfte. Es setzt damit möglicherweise seine finanzielle Stabilität aufs Spiel.  

Die Qualität der Bauprojekte in den Kreditnehmerländern ist ein weiteres Problem, das bei den Mega-Infrastrukturprojekten eine Rolle spielt.  

In Südamerika, tausende von Kilometern entfernt, bekam Ecuador das zu spüren.

Ecuador beauftragte Sinohydro Corp, ebenfalls ein chinesisches Staatsunternehmen, mit dem Bau eines Wasserkraftwerks. Ecuador lieh sich dafür 1,7 Milliarden Dollar von China.  

Innerhalb von zwei Jahren im Betrieb wurden über 7.600 Risse in der Anlage gefunden. Inspektoren führten die Risse auf die Verwendung von minderwertigen Baumaterialien und minderwertigen Schweißnähten zurück. Ein Problem, das den Menschen in China nur allzu vertraut ist.  

Im Laufe der Jahre hat China an Ecuador 19 Milliarden Dollar geliehen. Um den Kredit zurückzuzahlen, hat Ecuador zugestimmt, 80 Prozent seines Rohöls bis 2024 zu einem niedrigen Preis an China zu liefern. Rohöl ist die Devisen-Hauptquelle für Ecuador.  

Im Januar dieses Jahres kamen die Vereinigten Staaten Ecuador zu Hilfe. Sie werden Ecuadors Kredite bei China refinanzieren.

Als Teil des Deals wird Ecuador chinesische Firmen aus seiner Telekommunikationsinfrastruktur rauswerfen und dem „Clean Network“ beitreten. Das „Clean Network“ wurde von der Trump-Regierung ins Leben gerufen, um Huawei und andere chinesische Telekommunikationsunternehmen aus den 5G-Netzwerken weltweit auszuschließen. Ziel ist es, die nationale Sicherheit zu gewährleisten.

Immer mehr Länder erkennen die verborgenen Gefahren bei der „Neuen Seidenstraße“-Initiative. 

Und erst vor wenigen Tagen hat die australische Regierung zwei Infrastruktur-Deals mit China aufgekündigt.

18 der 27 EU-Mitgliedsstaaten haben bis jetzt ein Abkommen im Rahmen der Initiative „Neuen Seidenstraße“ mit China getroffen.

Wo die Reise dieser Art von Zusammenarbeit mit China hinführt, ist die große Frage.

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