„Es gibt nicht DIE deutsche Autoindustrie“: Ex-BMW-Kommunikationschef Gaul im Gespräch
Der Autoriese VW sorgte kürzlich wieder für Schlagzeilen. Arbeitnehmer fürchten um ihren Lohn und erste Mutmaßungen treten auf, welche Werke von Schließungen betroffen sein könnten. Nicht nur für das Land Niedersachsen als Anteilseigner stellt der Konzern ein wirtschaftliches Schwergewicht dar, sondern es beeinflusst als aktuell Nummer 12 der 40 größten deutschen Aktiengesellschaften auch den DAX.
Im Gespräch mit Epoch Times gibt der Insider Richard Gaul seine Einschätzung zur Branche. Er war 15 Jahre lang Wirtschaftsjournalist, hatte 22 Jahre lang die Führung der weltweiten Kommunikation für BMW inne und agiert seit 2007 als selbstständiger Kommunikationsberater.
Das aktuelle Sparprogramm bei Volkswagen beherrscht die Schlagzeilen – manche Kommentatoren schließen daraus gleich auf die Lage der Automobilindustrie oder gar der deutschen Wirtschaft insgesamt.
Ist eine solche Verallgemeinerung zulässig?
Zunächst einmal: Es gibt nicht DIE deutsche Autoindustrie – die einzelnen Hersteller und die Lieferanten sind durchaus unterschiedlich aufgestellt.
Und wo steht da Volkswagen?
Volkswagen – die VW-Gruppe – hat da seine individuelle Problematik: Das Unternehmen hat sich vor einigen Jahren vollständig auf Automobile mit Elektroantrieb konzentrieren wollen. Mit dieser Ausrichtung wurden traditionelle Automobile mit Verbrennungsmotor vernachlässigt.
Damit hätte Volkswagen, wenn an dieser Strategie festgehalten worden wäre, für mehr als die Hälfte des Weltmarktes mittelfristig kein Angebot mehr gehabt. Diese Strategie wird nun korrigiert und dazu sind eben entsprechende Anpassungen nötig.
Aber insgesamt scheint doch die deutsche Automobilindustrie derzeit etwas ins Hintertreffen geraten zu sein?
Auch diese Verallgemeinerung ist falsch: BMW hat zum Beispiel bisher weiterhin auf Technologieoffenheit gesetzt; hat also für alle Antriebsarten – Elektro, Hybrid, Benzin, Diesel, Wasserstoff – ein Angebot und investiert auch in all diesen Feldern in zukünftige Modelle. Mercedes schwenkt zurzeit auf diese Linie ein. Beide Unternehmen sind damit im Markt recht erfolgreich.
Und das gilt für den Weltmarkt?
Das gilt weitgehend für den Automobilmarkt in der ganzen Welt – auch für den inzwischen größten Markt China. Die Automobilindustrie in China selbst ist noch vergleichsweise jung. Dort gibt es deshalb heute noch sehr viele verschiedene Automobilhersteller.
Eine Konsolidierung wird dort in den nächsten Jahren stattfinden; dann wird es auch in China wohl nur noch weniger als ein Dutzend Automobilanbieter geben. Einzelne Unternehmen aus China, zum Beispiel besonders BYD, sind aber schon heute sehr erfolgreich auf dem Weltmarkt und sind auch offensichtlich strategisch gut aufgestellt.
BYD war der Automobilsponsor bei der Fußball-Europameisterschaft in diesem Sommer. Das war aus Sicht von BYD ein intelligentes Engagement, um die Bekanntheit der Marke zu fördern.
Und warum gibt es dann auch in Europa Pläne zu Einfuhrzöllen für Elektroautos aus China?
Das sind meist politische Debatten, die ökonomisch unsinnig sind.
Schädigt denn aber die starke staatliche Subventionierung in China den Markt in Deutschland und Europa?
Zunächst einmal: Die meisten Anbieter aus China verlangen in Europa deutlich höhere Preise als im Heimatmarkt. Da schadet die Subventionierung darum kaum; und falls im Heimatmarkt – in China – subventionierte Preise gelten sollten, dann muss darüber verhandelt werden, aber nicht mit Zöllen gedroht werden.
Wären denn aber Zölle nicht ein einfaches Instrument?
Zölle würden doch übergeordnete Ziele der Europäischen Union konterkarieren: Zum Beispiel will man politisch von der Europäischen Union aus erreichen, dass der Anteil der Elektroautos in Europa steigt. Gleichzeitig würden Einfuhrzölle gerade die Elektroautos in den unteren Marktsegmenten verteuern und damit die Durchdringung der Elektromobilität verlangsamen!
Die Konkurrenz verschiedener Ideologien ist da wenig hilfreich.
Welche Ideologien?
Auf der einen Seite sieht man – politisch – das Heil in der Elektromobilität, auf der anderen Seite möchte man durch Zölle erfolgreiche Anbieter behindern. Ohnehin wird die Diskussion über die Mobilität besonders in Deutschland von anderen politischen Zielen überlagert.
Welchen Zielen?
Manchen politischen Gruppen und auch Parteien ist die individuelle Mobilität ein Dorn im Auge. Diese Gruppen versuchen, das individuelle Automobil generell zurückzudrängen. Der Individualverkehr soll zugunsten anderer Verkehrsmittel wie Bus und Bahn und für die kürzeren Strecken auch das Fahrrad deutlich schrumpfen.
Und dabei will man sich nicht auf die Kräfte des Marktes verlassen, indem man zum Beispiel den öffentlichen Verkehr attraktiver macht, sondern man setzt vielmehr auf Verbote. So hatte zum Beispiel die letzte Regierung in der Bundeshauptstadt Berlin ausdrücklich die Devise ausgegeben, den Bestand an Automobilen in Berlin um etwa ein Drittel zu verringern, obwohl Berlin schon jetzt auch dank des dichten und in weiten Teilen auch attraktiven Angebots an öffentlichen Verkehrsmitteln die geringste Automobildichte aller Großstädte in Deutschland hat.
Zurück zu der aktuellen Diskussion um Volkswagen: Sind die Probleme symptomatisch für die Automobilindustrie insgesamt?
So pauschal gilt das sicher nicht. Generell aber befindet sich die Automobilindustrie – nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen Welt – in einer Phase verschiedener Transformationen:
• Da ist zunächst die Hinwendung zur Elektromobilität: Zu den bisherigen Antriebsarten mit den fossilen Kraftstoffen Benzin und Diesel treten neue hinzu, wie zum Beispiel Elektroautomobile. Daneben gibt es die sogenannten Hybride mit einem gemischten Antrieb. Und es gibt alternative Kraftstoffe: Wasserstoff oder synthetisches, CO₂-neutrales Benzin oder Diesel; diese Transformation verlangt von der Industrie gewaltige Investitionen.
• Weiter sind in den entwickelten Ländern die Märkte weitgehend gesättigt. Zusätzliche Absatzmöglichkeiten gewinnen die Hersteller nur, wenn sie andere Anbieter verdrängen. Das gelingt, wenn man Preissenkungen vermeiden will, nur über einen Innovationswettbewerb.
• Parallel entstehen neue Märkte: Wo die individuelle Mobilität in einigen Teilen der Welt noch hinterherhinkt, entwickeln sich dynamisch neue Absatzmöglichkeiten; dort sind Investitionen in den Vertrieb nötig.
Und wer ist da wie aufgestellt?
Auf diese Transformationen müssen sich die Automobilhersteller einstellen – die Automobilhersteller in der ganzen Welt! Da hat das Rennen gerade erste begonnen; und es ist ein Langstreckenrennen. Es wäre leichtfertig, heute schon prognostizieren zu wollen, welches Unternehmen mit Gewinn aus diesem Rennen hervorgehen wird.
Das Management der Unternehmen jedenfalls kennt diese Herausforderungen; es gilt jetzt, die richtige Strategie dafür zu entwickeln und diese dann auch konsequent umzusetzen – unbeeindruckt von zum Beispiel Debatten und Demonstrationen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Richard Schütze.
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