Ein Figaro als Fotograf

„Behaarlichkeit siegt“ nach „haarigen Zeiten“
Titelbild
Flotte Sprüche an der „haarigen Kurve“ in Berlin-Schlachtensee (alle Fotos: Jörg Tönnies)
Von 14. Februar 2007
Flotte Sprüche an der „haarigen Kurve“ in Berlin-Schlachtensee (alle Fotos: Jörg Tönnies)
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Flotte Sprüche an der „haarigen Kurve“ in Berlin-Schlachtensee (alle Fotos: Jörg Tönnies)

Ungewöhnlich war eine Hausgeburt 1950 im Berliner Bezirk Neukölln, einer Arbeitergegend. Jörg Tönnies wurde in der Wohnung über dem elterlichen Friseurladen geboren. Die Eltern freuten sich, wenn das Bürschchen später im Laden auftauchte und auf diese Weise Familienleben und Beruf verbunden bleiben konnten. Ein Traum, den viele Familien heute wieder träumen. Stolz berichtet der Sohn noch heute davon.

Das Wirtschaftswunder lockte in den 50er Jahren, weitere Läden eröffnete der Vater auch in eher bürgerliche Bezirke, wo er die teuersten Salons am Platz einrichtete. Dem Sohn riet er, eine Kochlehre zu machen. Aber der väterliche Beruf verlockte auch den Sohn, die Meisterprüfung absolvierte er und richtete sich schließlich im vornehmen Bezirk Schlachtensee die untere Etage eines zweistöckigen Eckhauses als Frisiersalon ein. So weit, so gut.

Die äußere Krise

Coiffeur Jörg Tönnies
Coiffeur Jörg Tönnies

Aber wie das Leben so spielt, auch für Jörg Tönnies gab es einige Hindernisse, die einen vermeintlich glatten Lebenslauf zum wanken bringen können. Ein riesiger Bauzaun verdeckte jahrelang wegen Straßenbauarbeiten das Eckhaus, die Kundschaft fand keine Parkplätze mehr, der Salon geriet in Vergessenheit. Aufgeben oder neue Ideen entwickeln?

Jörg Tönnies entwickelte Ideen: „Hinter dem Zaun ist Ihr Coiffeurteam“ schrieb er schwarz auf weiß handschriftlich auf weißes Tuch und hängte es an den Bauzaun. Der Eckplatz an der sehr befahrenen Straße sicherte ihm von nun an Aufmerksamkeit, als die flotten Sprüche erschienen wie: „Ein Schnitt wird kommen“, „Schneeflöckchen, Weißlöckchen“ und „Santa Kraus“. Stadtbekannt wurde damit die „haarscharfe Kurve“ an der Spanischen Allee, wo er im heißen Sommer „coole Hitzköpfe“ propagierte und natürlich geht er mit der Zeit und setzt auch mal eine „Hair-Mail für Dich“ ab.

Nicht nur Kunden reagierten auf die witzigen Sprüche, Fremde halten an, tun aus dem Auto heraus ihre Begeisterung kund, Jogger nehmen schnell die Kurve in den Laden, um eigene Wortschöpfungen abzuliefern. „Sie können sich nicht vorstellen, was das für neue Begegnungen erzeugt hat“, sagt Tönnies. „Noch nie habe ich eine Wortschöpfung wiederholt, ich führe genau Buch.“

Die innere Krise

Türklopfer aus der Toskana
Türklopfer aus der Toskana

Aber nicht nur äußere Krisen können einen „Coiffeur“ erwischen, sondern auch der Überdruss am Beruf, die täglich wiederkehrende Routine können das Innenleben erschöpfen. Ratschläge zum Berufswechsel mit über vierzig Jahren treiben erst recht in die Verzweiflung. Hilft da ein Wechsel? „Nein“, sagte sich Jörg Tönnies, „eigentlich mag ich meinen Beruf, ich muss nur noch etwas Neues in meinem Laden und in meinem Leben etablieren.“

Und da er auch ein „optischer“ Mensch ist, der schon immer gern fotografierte, begann er in seinen weiträumigen Salons die eigenen Fotografien auszustellen. Wenn man bei Tönnies den Kopf hintenüber beugt zur Haarwäsche, dann können von vier Plätzen aus die schräg unter der Decke angebrachten neuesten Fotos begutachtet werden. Neue Gesprächsthemen ergaben sich von nun an mit den Kundinnen, die erfreut auf die künstlerische Erweiterung reagierten. Hochwertige Fotos über Berlin bei Nacht oder eine Sammlung von Musikinstrumenten, über Menschen im Café oder über Türbeschläge an Häusern der Toskana, das wurde der „Knüller“, wie man in Berlin sagt.

Mit Fischen bestückter Türklopfer
Mit Fischen bestückter Türklopfer

Ein Figaro, der nicht mehr nur herumhetzt und „das Faktotum der schönen Welt“ ist, sondern der ein einfühlsamer Beobachter ist, der ein Galerist ist, der Besuch empfängt. Der Fotograf, der seine Bilder als Postkarten anbietet, hatte sich ein vielseitiges Betätigungsfeld eröffnet.

Seine Frohnatur hat Jörg Tönnies mit Witz und Kreativität wiedergewonnen. Der Laden floriert, die ungezwungene Heiterkeit teilt sich mit, die Krise hat neues Leben hervorgebracht. So siegte die Beharrlichkeit, um aus „haarigen Zeiten“ wieder aufzutauchen. Wer hier anklopft, braucht nicht die bronzenen Türklopfer aus der Toskana, mit denen die neueste Ausstellung bestückt ist, das Coiffeurteam setzt die Kinder vor Mickymausfilme, über den Herren kreist ein Ventilator ruhige Bahnen mit Faschingsluftschlangen behängt – der Zeit entsprechend – und die Damen werden mit „0sterlocken“ auf den kommenden Frühling eingestimmt.

Schmiedeeiserner Schlüssel
Schmiedeeiserner Schlüssel

Die aktuelle Ausstellung der Galerie Am Schlachtensee 151 steht unter dem Motto „Alla Porta“ – „An der Tür“. „Achtlos und manchmal wie selbstverständlich steht man an Türen oder Toren, klingelt oder klopft an ihnen, ohne sich weiter Gedanken zu machen, wie viele Menschen schon durch sie gegangen sind“, heißt es in der Ankündigung dazu.

Die historischen Türen und ihre wunderschönen Beschläge stammen aus den Orten San Gimignano, Montepulciano, Siena, Florenz und Volterra.

Der Barbier von Sevilla

Aus der Arie des Figaro aus der Oper von Gioachino Rossini

Text: Cesare Sterbini

Figaro! Figaro! Figaro! Figaro! Figaro! Figaro!
Zu viel, weh mir! man foltert mich!
Zu viel, wahrhaftig! Alles auf einmal!
Ich kann nicht mehr, ich kann nicht mehr! ich kann nicht mehr!
Alles auf einmal, alles auf einmal,
Alles auf einmal, ich kann nicht mehr!
Figaro! – Bin dort! – Figaro! bin da!
Figaro dort! Figaro da! Figaro hier! Figaro da!
Figaro oben! Figaro unten! Figaro hüben! Figaro drüben!
Eiligst auf jeden Wink bin wie der Blitz so flink!
Bin das Faktotum der schönen Welt! –

Ha, bravo, Figaro! bravo, bravissimo!
Ich hab‘ die schönste Kunst erwählt!
Ich bin das Faktotum unsrer schönen Welt,
Der schönen Welt, der schönen Welt, der schönen Welt!

(Fotos: Jörg Tönnies)(Fotos: Jörg Tönnies)

Die Ausstellung ist geöffnet vom 1. Februar bis 31. Mai 2007,

Dienstag bis Freitag 9 Uhr bis 18 Uhr Samstag 8 Uhr bis 14 Uhr Sonntag und Montag geschlossen. Der Eintritt ist kostenlos.

Coiffeur Jörg Tönnies – Fotogalerie, Am Schlachtensee 151, 14129 Berlin-Schlachtensee, Tel.: (030)803 47 74

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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