Düstere Vorzeichen aus Damaskus? Was von den Islamisten zu erwarten ist
Der Jubel und die Erleichterung über das Ende des Assad-Regimes in Syrien war weltweit zunächst groß. Der jahrzehntelange Machthaber Baschar al-Assad floh am 8. Dezember 2024 nach Moskau. In nur eineinhalb Wochen hatte eine nordsyrische Allianz aus mehreren Oppositionsmilizen den bisherigen Staatschef vertrieben und rückte in die Hauptstadt Damaskus ein. Geführt wurden die Milizen von der Islamistenbewegung Hayat Tahrir al-Sham (HTS). Ihr Führer war einst sowohl Mitglied von al-Qaida als auch Verbündeter des radikal-islamischen Terrorregimes in Syrien und im Irak, des sogenannten Islamischen Staats (IS).
Minderheiten haben Angst vor HTS
Deshalb wird HTS in westlichen Ländern als Terrororganisation gelistet. Laut Auswärtigem Amt gilt dies auch für Deutschland: „HTS ist durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen als Terrororganisation gelistet“, heißt es beim ZDF. In Syrien aber gelten die Islamisten nun als Befreiungsorganisation. Das ist HTS auch: Befreiung von der Assad-Schreckensherrschaft. Aber bedeutet deren Machtübernahme in Damaskus auch Freiheit für das syrische Volk? In Syrien gibt es zahlreiche, sehr unterschiedliche Volksgruppen. Einige haben offen zum Ausdruck gebracht, dass sie sich Sorgen um ihre Zukunft machen.
Etwa die Hälfte der 23 Millionen Einwohner (Stand 2023) sind Araber, die zur sunnitischen Hauptrichtung des Islams zählen, so wie in Saudi-Arabien oder der Türkei. Die zweitgrößte Gruppe mit 15 Prozent bilden die arabischen Alawiten, die der schiitischen Richtung des Islams zuzuordnen sind, von den Schiiten aber als Ungläubige abgelehnt werden. Der geflohene Diktator Assad etwa ist ein Alawit. Besonders deshalb fürchten die syrischen Alawiten unter den neuen Machthabern Repressalien.
Hinzu kommen kleine Gruppen von Schiiten der iranischen Richtung sowie Drusen, die ebenso wie die Alawiten eine Abspaltung der Schiiten darstellen. Etwa 10 Prozent der Syrer sind arabische Christen, die zur orthodoxen Glaubensrichtung zählen. Aleppo zählte bis 1948 zu den Zentren jüdischen Glaubens in der arabischen Welt. Derzeit leben laut der Berliner „Jüdischen Allgemeinen Zeitung“ nur noch neun Juden in Syrien, ausschließlich alte Menschen.
Vom Terroristen zum Staatsmann
Kraft eigener Stärke hat sich der in Riad, Saudi-Arabien, geborene Warlord Ahmed Hussein al-Sharaa zum Staatschef einer Übergangsregierung in Damaskus ernannt. Zuvor hatte er seinen „Kampfnamen“ Abu Mohammed al-Jolani abgelegt. Ein durchaus deutliches Signal dafür, dass al-Sharaa seine Vergangenheit als HTS-Führer ablegen möchte, um jetzt als Staatsmann zu fungieren. Doch nach wie vor ist seitens der USA auf seine Ergreifung ein Kopfgeld von 10 Millionen Dollar ausgesetzt.
Ein Blick auf seine Vergangenheit offenbart, dass al-Sharaa lange Zeit ein islamistischer Hardcoreterrorist war. Noch vor der Invasion der Amerikaner im Irak 2003 schloss er sich al-Qaida im Irak an und soll laut der israelischen Zeitung „Times of Israel“ „ein enger Vertrauter“ des damaligen al-Qaida-Führers Abu Musab al-Zarqawi gewesen sein. Al-Zarqawi stammte aus dem jordanischen Ort Zarqa und bekämpfte mit schweren Anschlägen bis zu seiner Tötung im Juni 2006 die amerikanischen Besatzungstruppen.
Im Jahr 2012 gründete er die Terrorgruppe Jabhat al-Nusra (al-Nusra-Front), einen syrischen Ableger von al-Qaida, und bekämpfte das Assad-Regime, darunter mit Selbstmordattentätern. Der UN-Sicherheitsrat stufte al-Nusra aufgrund der extrem-radikalen islamistischen Ideologie und menschenverachtenden Vorgehensweise damals einstimmig als Terrororganisation ein. Al-Nusra kämpfte zeitweise gemeinsam mit dem IS. 2017 wechselte al-Sharaa zur neu aufgestellten syrischen Miliz HTS und sagte sich von al-Qaida und dem IS los.
So regierten die Islamisten bisher in Idlib
In der nordsyrischen Provinz Idlib gelang es HTS, die Herrschaft zu übernehmen und mithilfe der Türkei einen Staat im Staat zu gründen. Obwohl HTS weiterhin eine dem IS ähnliche fundamentalistische islamische Ideologie vertrat, bekämpfte sie aus Idlib heraus Reste des IS und verhinderte eine Neugründung einer al-Qiada-Zelle. Darauf machte die „taz“ am 1. Dezember 2024 in einem Beitrag aufmerksam. Auch sei mithilfe von HTS im Oktober 2019 der flüchtige IS-Führer Abu Bakr al-Baghdadi von amerikanischen Einheiten im Gebiet Idlib aufgespürt und getötet worden.
Tatsächlich scheint der konservative salafistische al-Sharaa seit Ende 2019 einen Wandel durchgemacht zu haben. Die von ihm in Idlib aufgestellte „Syrische Heilsregierung“ für die etwa 2 Millionen Einwohner der Provinz stellte weitgehend funktionierende pseudostaatliche Strukturen her. Eine offizielle Verschleierungspflicht für Frauen wurde nicht eingeführt, wohl aber war sie erwünscht. Der Washingtoner Thinktank Center for Strategic and International Studies (CSIS) bescheinigte HTS bereits im August 2023 eine „ideologische Mäßigung“.
In einem Interview mit dem amerikanischen Rundfunksender „Public Broadcasting Service“ (PBS) vom Februar 2021 betonte al-Sharaa, die Region Idlib stelle „keine Gefahr für Europa und Amerika“ dar. Die Ächtung der HTS „als Terrororganisation“ seitens der USA, des UN-Sicherheitsrates und vieler westlicher Staaten bezeichnete er als „unfaire Kategorisierung“. Seine Befehle zum Einsatz von Selbstmordattentätern, in seinen Worten „Märtyrern“, stufte er folgendermaßen ein: „Dies ist keine Schandtat. Es ist vielmehr eine ehrenvolle Tat.“
Einführung der Scharia
Dem ausführlichen PBS-Interview ist weiterhin zu entnehmen, dass sich al-Sharaa 2023 für die Einführung des fundamentalistischen islamischen Rechts – der Scharia – in ganz Syrien aussprach, sollte er an die Macht kommen. Die Scharia beinhaltet nach seinen Worten „große Güte, Gerechtigkeit und soziale Lösungen. Diese darin enthaltene Barmherzigkeit, Menschlichkeit und Gerechtigkeit können alle Volksgruppen umfassen, einschließlich Christen, Juden und andere, die dem Islam und anderen Lehren angehören.“
Und weiter: „Die Anwendung des islamischen Scharia-Rechts besagt, dass religiöse Minderheiten geschützt werden sollen und sie die Freiheit haben sollen, Gott auf die Art und Weise anzubeten, die sie für richtig halten und wie es in ihren Gesetzen festgelegt ist, und dies wurde hier in Idlib in die Praxis umgesetzt.“ Des Weiteren verwies al-Sharaa darauf, dass in Syrien Christen „seit mehr als 1.400 Jahren“ leben. Tatsächlich sind es 2.000 Jahre. Sie pflegten seiner Meinung nach „seit jeher herzliche Beziehungen zu den Muslimen“.
Bis jetzt haben die neuen Machthaber die Scharia in Syrien nicht eingeführt.
Islamisierung des Militärs
Die HTS wurde mittlerweile als Miliz aufgelöst und in die bisherigen syrischen Streitkräfte eingegliedert. Welche Reformen das Militär künftig noch durchmachen wird, ist derzeit nicht abzusehen. Aufgrund der islamistischen Einstellung der neuen Regierenden sowie der ehemaligen HTS-Mitglieder kann davon ausgegangen werden, dass die bisher säkular eingestellten syrischen Streitkräfte eine sunnitische Islamisierung durchmachen werden. Ob dann noch Christen, Alawiten und Drusen in den Streitkräften dienen werden oder können, ist zu bezweifeln.
Rückführung von Syrern unwahrscheinlich
Deutschland muss sich folglich darauf einstellen, dass Syrien ein islam-fundamentalistischer Staat wird. Dies hat Auswirkungen auf die von der Politik angestrebte Abschiebung von in Deutschland lebenden syrischen Flüchtlingen. Viele, vor allem Frauen, werden sich im Fall der Einführung der Scharia darauf berufen können, dass sie in Syrien Repressalien ausgesetzt sein könnten. Die kurz nach dem Fall Assads in Berliner Politikerkreisen geäußerte Hoffnung, die meisten der 1 Million Syrer, die in Deutschland Zuflucht gefunden haben, in ihre Heimat zurückzuführen, erhält dadurch einen gehörigen Dämpfer. Die Rückreise einer signifikanten Anzahl an Syrern erscheint unrealistisch.
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