Drei Lektionen über Freundschaft aus „Stolz und Vorurteil“

Jane Austens Klassiker beleuchtet zwischenmenschliche Beziehungen jenseits romantischer Liebesbeziehungen.
Titelbild
Illustration von Hugh Thomson aus der Londoner Ausgabe von „Stolz und Vorurteil“ von 1894: Elizabeth Bennet und Mr. Darcy.Foto: Gemeinfrei
Von 11. Januar 2025

Die literarische Genialität von Jane Austen liegt nicht in poetischen Beschreibungen oder in den epischen, weitläufigen Handlungssträngen ihrer Romane, sondern in ihrer scharfen Beobachtung der menschlichen Natur.

Ihre Studien über Charaktere und Beziehungen – insbesondere Liebesbeziehungen – machen sie zu einer der besten englischsprachigen Schriftstellerinnen. Aus ihren Romanen können wir eine Menge über die menschliche Natur und die Gesellschaft lernen.

Und es fällt leicht sich mit den aussagekräftigen Lektionen ihrer Geschichten zu identifizieren, da die Schauplätze im Alltäglichen angesiedelt sind.

Jane Austens berühmtester Roman, „Stolz und Vorurteil“, zählt zu den größten Liebesgeschichten aller Zeiten. Neben dieser wunderschönen romantischen Erzählung beleuchtet das Buch auch auf eindrucksvolle Weise das Thema Freundschaft.

Nachfolgend drei Lektionen über Freundschaft, die wir aus „Stolz und Vorurteil“ mitnehmen können.

Vorsicht vor dem ersten Eindruck

Schon der Titel des Romans verrät, dass es darum geht, wie wir einander nach dem ersten Eindruck beurteilen und wie sehr wir mit diesen Urteilen daneben liegen können.

Die Heldin des Romans, Elizabeth Bennet, ist im Allgemeinen eine gute Menschenkennerin. Ihre ausgeprägte Beobachtungsgabe und ihre Fähigkeit, richtige Urteile zu fällen, machen sie jedoch sehr selbstsicher in ihren Meinungen, auch wenn sie sich gelegentlich irrt.

Als sie den düsteren Mr. Darcy zum ersten Mal trifft, hält sie ihn sofort für einen stolzen und unnahbaren Mann mit einer „Neigung, alle zu hassen“. Tatsächlich gibt es einiges, was ihr Urteil über Darcy rechtfertigt. Auch Darcy hat Fehler, die er korrigieren muss. Bei ihrer ersten Begegnung etwa beleidigt er Elizabeth.

Allerdings erfasst Elizabeths schnelle Einschätzung bei weitem nicht das ganze Bild und erkennt nicht den Mann, der im Herzen sehr edel ist.

Kurz nach ihrer Begegnung mit Darcy lernt Elizabeth Mr. Wickham kennen, einen weitaus charmanteren jungen Mann und ihr Eindruck von ihm steht in direktem Gegensatz zu ihrem Eindruck von Darcy. Sie findet ihn bezaubernd, intelligent, warmherzig und attraktiv.

Aufgrund dieses anfänglich positiven Eindrucks von dem einen und des negativen Eindrucks von dem anderen Mann ist Elizabeth geneigt, Wickham zu glauben, als er beginnt, Anschuldigungen gegen Darcy zu erheben und seinen Charakter in ein schlechtes Licht rückt.

Aber wie die Fans des Romans gut wissen, stellt sich jedoch Wickhams Darstellung von Darcy als unehrlich heraus. Wickhams Anschein von Anstand, guten Manieren und Gentleman-Verhalten entpuppt sich als Fassade, die ein ausschweifendes und degeneriertes Leben verdeckt.

Darüber hinaus nutzt Wickham diese Maske der Tugend, um das Vertrauen aller zu gewinnen und schließlich Elizabeths jüngere Schwester auszunutzen.

Elizabeth Bennet ist zunächst von Wickham angetan, entdeckt aber bald seinen wahren Charakter. Illustration aus der 1895 erschienenen Ausgabe von „Stolz und Vorurteil“ von C.E. Brock. Foto: Gemeinfrei

Später, nachdem Elizabeth die Wahrheit über Darcy und Wickham herausgefunden hatte, sagte sie: „Der eine hat all die Güte, der andere nur den Anschein davon.“

Manchmal sind diejenigen, die unser Vertrauen und unsere Freundschaft zu verdienen scheinen, es nicht wert –  und umgekehrt.

Freundschaft geht über Meinungsverschiedenheiten

Wenn man mit jemandem, der einem viel bedeutet, nicht einer Meinung ist, kann dies eine der größten Herausforderungen in jeder Art von Beziehung sein. Dies wird besonders schwierig, wenn es bei der Meinungsverschiedenheit um eine wichtige Angelegenheit geht – wie die Definition eines glücklichen Lebens oder einer glücklichen Ehe.

Im Roman streiten Elizabeth Bennett und ihre Freundin Charlotte Lucas genau darüber. Elizabeth glaubt, dass eine glückliche Ehe daraus entsteht, dass man jemanden heiratet, den man liebt und der tugendhaft ist – und hoffentlich eine stabile soziale und finanzielle Position hat.

Charlotte ist da pragmatischer. Für sie steht finanzielle Stabilität an erster Stelle. Sie sieht die Ehe als den einzigen Weg zu einem stabilen, komfortablen Leben, wenn man die wirtschaftliche und soziale Situation der Frauen in ihrer Welt bedenkt.

Austen schrieb über sie: „Ohne hohe Meinung von Männern oder der Ehe zu haben, war Heirat immer ihr Ziel gewesen: Es war die einzige ehrenhafte Versorgung für gut erzogene junge Frauen von bescheidenem Vermögen, und, so unsicher sie auch in Bezug auf das Glück war, musste es doch ihre angenehmste Schutzmaßnahme gegen das Fehlen von Mitteln sein.“

Charlotte ist keine Romantikerin – für sie ist die Ehe an sich nicht geeignet, sie glücklich zu machen, egal wen sie heiratet. Stattdessen ist es eine Möglichkeit, die Armut und die Unsicherheit eines Lebens als alte Jungfer in einer Gesellschaft zu vermeiden, in der der Besitz durch die Hände von Männern ging.

Mit Charlottes eigenen Worten: „Das Glück in der Ehe ist allein eine Frage des Zufalls.“ Charlotte glaubt, dass der Charakter des Ehepartners wenig mit dem Erfolg der Ehe zu tun hat.

So heiratet Charlotte, die sieben Jahre älter ist als Elizabeth, getreu ihrer Philosophie aus Gründen der finanziellen Stabilität – und zwar einen einfältigen und widerwärtigen Mann namens Mr. Collins.

Die Hochzeit überrascht Elizabeth und sie macht sich Sorgen um die Zukunft ihrer Freundin. „Sie hatte immer das Gefühl gehabt, dass Charlottes Meinung über die Ehe nicht ganz ihrer eigenen entsprach; aber sie hätte nie für möglich gehalten, dass sie, als es zur Tat kam, jedes bessere Gefühl dem weltlichen Vorteil opfern würde. Charlotte, als die Frau von Mr. Collins, war ein äußerst demütigendes Bild! Und zu dem Schmerz, eine Freundin sich selbst schaden und in ihrer Achtung gesenkt zu sehen, kam die erschütternde Überzeugung, dass es für diese Freundin unmöglich war, in dem Leben, das sie gewählt hatte, einigermaßen glücklich zu sein.“

Dennoch erteilt Elizabeth Charlotte weder ungefragte Ratschläge noch äußert sie heftige Vorwürfe und sie bricht auch nicht die Freundschaft ab. Sie besucht Charlotte auch nach ihrer Heirat weiterhin und versucht, etwas zu ihrem Glück und ihrem Wohlbefinden beizutragen.

Damit ist sie ein Beispiel für eine treue Freundin. Eine starke Freundschaft kann auch dann bestehen bleiben, wenn es zu erheblichen Meinungsverschiedenheiten kommt oder wenn wir die Entscheidungen einer Freundin nicht gutheißen.

Eine Illustration von Hugh Thomson, die Mr. Collins darstellt, wie er betont, dass er nie Romane liest. Foto: Gemeinfrei

Gelungene Beziehungen erfordern Arbeit

Neben Beispielen für erfolgreiche Freundschaften beschreibt Austen in ihrem Roman auch gescheiterte Freundschaften. Ein solcher Fall ist die Freundschaft zwischen zwei Ehepartnern, deren Scheitern noch tragischer ist: die Beziehung zwischen Elizabeths Eltern, Mr. und Mrs. Bennet.

Hier stellt Austen eine Ehe vor, die zwar ungebrochen ist, aber bei Weitem nicht dem entspricht, was eine Ehe sein sollte. Nachdem er eine etwas unüberlegte Wahl des Ehepartners getroffen hatte, stellte Mr. Bennet schnell fest, wie wenig er und seine Frau wirklich gemeinsam hatten.

„[Elizabeths] Vater, der von Jugend und Schönheit und dem Anschein von guter Laune, den Jugend und Schönheit im Allgemeinen vermitteln, fasziniert war, hatte eine Frau geheiratet, deren schwacher Geist und engstirnige Gesinnung schon sehr früh in ihrer Ehe jeglicher echten Zuneigung für sie ein Ende bereitet hatten. Respekt, Wertschätzung und Vertrauen waren für immer verschwunden; und alle seine Vorstellungen von häuslichem Glück waren zunichte gemacht worden.“

Um mit der Situation fertig zu werden, beginnt der sarkastische Mr. Bennet, seine Frau zu necken und sich über ihre Mätzchen zu amüsieren. „Seiner Frau war er in sehr geringem Maße sonst noch verpflichtet, außer insofern, als ihre Unwissenheit und Torheit zu seiner Belustigung beigetragen hatten. Dies ist nicht die Art von Glück, die ein Mann im Allgemeinen seiner Frau verdanken möchte.“

Wir können die Reaktion von Mr. Bennet auf seine Frau verstehen. Er ist geduldiger mit ihrer Selbstbezogenheit und Oberflächlichkeit, als es viele Männer wären. Aber letztlich besteht seine Reaktion auf die Herausforderungen seiner Ehe darin, dass er die Idee aufgibt, eine bedeutungsvolle Beziehung zu seiner Frau zu haben.

Er sieht keine Tiefe in ihr, aber er scheint auch nicht wirklich intensiv danach zu suchen. Ihre Beziehung verkommt zu gegenseitiger Duldung, unterbrochen von Momenten schlauen Amüsements seinerseits und verwirrter Frustration ihrerseits. Aber indem Mr. Bennet die Beziehung aufgibt, hat er ihren allmählichen, fortgesetzten Niedergang besiegelt.

Verborgene Schätze

Die Forschung unterstützt die Idee, dass die Qualität von Beziehungen in hohem Maße von dem Aufwand abhängt, der in sie investiert wird. Eine Studie ergab, dass Engagement und intensive Arbeit innerhalb einer Ehe bessere Vorhersagen für Glück und Stabilität liefern als die Kompatibilität der Ehepartner.

Diese Lektion lässt sich auch auf Freundschaften anwenden. Eine erfolgreiche Freundschaft erfordert, wie eine erfolgreiche Ehe, kontinuierliche Anstrengungen, um einander zu verstehen, zu schätzen und einander zu helfen.

Natürlich gibt es manchmal auch Situationen, in denen eine Freundschaft enden muss. Jedoch die völlige Weigerung, in eine Beziehung zu investieren – ein Verweigern Hindernisse, Missverständnisse oder Verletzungen zu überwinden – kann jedoch zum vorzeitigen Ende einer Freundschaft führen, die noch viel Potenzial gehabt hätte.

In vielen Fällen ist der Grundstein für eine starke Beziehung der Aufwand und die Bemühungen, die beide Parteien in sie investieren.

Jane Austens bezaubernder Roman „Stolz und Vorurteil“ zeigt die Wahrheit hinter den unterschiedlichsten Arten von Beziehungen und Freundschaften auf – sowohl innerhalb als auch außerhalb der Ehe. Obwohl das Buch unbeschwert und witzig ist, würden wir falsch liegen, wenn wir denken würden, dass es nur etwas über romantische Liebesbeziehungen zu sagen hätte.

 

Über den Autor:

Bevor Walker Larson freiberuflicher Journalist und Kulturautor wurde, unterrichtete er Literatur und Geschichte an einer Privatakademie in Wisconsin, wo er mit seiner Frau und seiner Tochter lebt. Er hat einen Master in englischer Literatur und Sprache und seine Texte wurden in The Hemingway Review, Intellectual Takeout und seiner online-Publikation The Hazelnut veröffentlicht. Er ist außerdem Autor zweier Romane: „Hologram“ und „Song of Spheres“.

Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel 3 Lessons in Friendship from ‘Pride and Prejudice’ “. (deutsche Bearbeitung ee/so)

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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