Die DUH, eine sogenannte NGO, also eine Nichtregierungsorganisation, hat in jüngster Zeit bewiesen, dass sie mit dieser harten Taktik zumindest juristisch einige Erfolge einfährt. In erster Instanz wurden schon in vielen Städten Dieselfahrverbote durchgesetzt.
Die juristische Strategie ist dabei so simpel, wie durchschlagend – da ein Grenzwert/Höchstwert existiert, muss die jeweilig zuständige Politik handeln, wenn diese Werte häufiger überschritten werden. Denn – so sollte man zumindest annehmen – die Grenzwerte werden ja wohl nicht völlig ohne ernsthafte Datenlage einfach so aus der hohlen Hand geschüttelt worden sein.
Es liest sich wie ein Krimi
Leider sieht die Realität in Deutschland radikal anders aus. In einem wirklich brillanten Stück für den Tagesspiegel hat der Mikrobiologe und Wissenschaftsfeuilletonist Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander Kekulé vor einigen Tagen die Geschichte aufgeschrieben – es liest sich wie ein Krimi, leider hat der Tagesspiegel das Stück nicht online gesetzt.
Ich skizziere aber die Entstehungsgeschichte des EU-NO2-Grenzwerts hier nach – Quelle ist der Artikel von Prof. Kekulé, ob er diese Analyse als erster gemacht hat, kann ich nicht sagen, wer die Fakten und Einschätzungen anzweifelt, soll sich die Originaldaten ziehen und den Gegenbeweis antreten.
Falls Sie, lieber Leser, ein betroffener Dieselautobesitzer sein sollten (ich persönlich gehöre nicht dazu, wir fahren geleaste Benziner-Automatiks), möchte ich bitten, sich hinzusetzen, denn die Geschichte kann einen schon umhauen…
Prof. Kekulé führt zunächst aus, dass der Zusammenhang zwischen Stickstoffdioxid und Problemen z.B. bei Asthmatikern unterhalb von 180 µg/m3 biochemisch nicht mehr nachweisbar ist (bei Gesunden liegt dieser Reizwert bei über 1000 µg/m3). Deutlich unterhalb von 150 µg/m3 bewegt man sich dagegen im Reich der Vermutungen: Kann man in epidemiologischen Daten einen möglichen Zusammenhang zwischen jahrelanger schwacher Irritation und möglichen Schädigungen der Schleimhäute nachweisen (oder ausschließen)?
Die entsprechenden Forschungsergebnisse sind da wohl sehr widersprüchlich – gerade epidemiologische Studien haben oft mit massiven methodischen Problemen zu kämpfen. Und es ist schwer, theoretisch denkbare Effekte von NO2-Exposition gut von anderen Faktoren (z.B. Rauchen, Art der Arbeit, Zustand der Wohnung, virale Infektionen etc.) zu trennen. Aus all diesen Gründen bekräftigte die US-Umweltbehörde 1995, dass der in den USA seit den 70ziger Jahren geltende Grenzwert von 100 µg/m3 gut begründet ist, da unterhalb dieser Schwelle keine Langzeiteffekte erkennbar seien.
Die EU aber wollte offenbar im Umweltschutz weiter voranschreiten und beschloss deshalb 1993 die Festlegung langfristiger Luftqualitätsziele, wozu ein strenger Grenzwert für NO2 gehören sollte. Gemäß eines schon früher beschrittenen politischen Weges, sollte der Wert von der WHO kommen. Aber der damals gültige Wert der WHO war mit 150 µg/m3 fast so hoch, wie der damals gültige EU-Wert von 200 µg/m3.
Daten basieren auf einer Metaanalyse, die den möglichen Zusammenhang von Gasherden und Atemswegserkrankungen bei Kindern untersucht hatten
Und so wurde erneut eine WHO-Arbeitsgruppe zusammengestellt, die diesmal auch ganz klar wusste, dass die EU einen deutlich verschärften Wert nicht nur akzeptieren würden, sondern sich einen solchen sogar wünscht.
Und jetzt passiert etwas, was ich selber immer noch nicht ganz glauben kann: Die WHO-Gutachter basieren ihre Schlussfolgerungen auf Daten einer Metaanalyse aus neun älteren Studien, die den möglichen Zusammenhang von Gasherden und Atemswegserkrankungen bei Kindern untersucht hatten.
Metaanlysen an sich sind ein probates Mittel, aber die Qualität einer Metaanalyse hängt sehr stark von der Strenge der Einschlusskriterien und damit der Qualität der eingeschlossenen Studien ab. Salopp formuliert: Wenn man die Studienlage gut genug kennt, und dann nur beliebig lax arbeitet, erreicht man mit einer Metaanalyse mit Sicherheit das gewünschte Ergebnis: Eine hohe Patientenzahl und einen signifikanten Effekt.
Was aber bei zweifelhafter Ausgangshypothese und hoher Zahl bekannter oder unbekannter möglicher alternativer Verursacherfaktoren nur eine ganz beschränkte Aussagekraft hat. Wenn also die Vergleichbarkeit der eingeschlossenen Studien nicht wirklich gewährleistet ist und die Einschlusskriterien so lax formuliert werden, dass diese Studien trotzdem gemeinsam analysiert werden, dann ist die Grenze zur offenen Manipulation bei einer Metaanalyse sehr schnell erreicht.
Wie immer es im Detail aussieht, die in der Rede stehende Metanalyse lieferte das Ergebnis, dass Atemwegserkrankungen bei Kindern in Haushalten mit Gasherd um 20 Prozent häufiger sind, als in Haushalten mit Elektroherd. Ob dieser Befund tatsächlich etwas mit NO2-Absonderungen von Gasherden zu tun hat, wurde nicht geklärt – dies kann in einer Metaanalyse auch gar nicht geklärt werden. Dies war wohl auch der Grund, warum die US-Umweltbehörde nach Bewertung der Metaanalyse keine Dosis-Wirkungs-Beziehung erkannt hatte.
Die WHO-Gutachter dagegen beschritten einen anderen Weg: Sie hatten einen möglichen Zusammenhang zwischen einer NO2-Erhöhung in Wohnungen mit Gasherden und der Zahl von Atemswegserkrankungen bei Kindern aus einer zweifelhaften Metaanalye von Studien, die Gasherdwohnungen mit Elektroherdwohnungen verglichen haben. Was sie nicht hatten, war einen begründeten Grenzwert für NO2, denn solche Messwertdaten enthielten die Studien in der Metaanalyse nicht.
Schätzen Sie mal!
Und jetzt kommt für mich der nächste unglaubliche Schritt: Aus dem Wissen, dass in Haushalten mit Gasherden sehr unterschiedliche Konzentrationen von NO2 gemessen wurden, nämlich zwischen 8 – 2500 (!) µg/m3, nahmen sich die Gutachter die Freiheit, den beauftragten Schwellwert abzuschätzen und kamen dann, Bingo, auf die berühmten 40 µg/m3 – die gelieferte Begründung war, dass ein Gasherd schätzungsweise die NO2-Konzentration im Jahr auf ca. 40 µg/m3 erhöht. Dieser Wert wurde dann als Richtwert vorgeschlagen. Zitat Prof. Kekulé: ‚Bis heute gibt es keinen Beleg dafür, dass die Zahl irgendetwas mit den gesundheitlichen Auswirkungen von NO2 zu tun hätte.‘
Ich mache hier mal was, was sie als kritischer Leser gerne als pure Spekulation oder als geneigter Leser, das wäre meine Hoffnung, als educated guess einstufen können: Ich vermute, dass die Expertengruppe so agiert hat: Man hat einen Optionsraum von 10 -2500 µg/m3: Die alten Richtwerte von 200, 150 oder 100 µg/m3 hätte man nicht bestätigen können, denn dann hätte man seinen Auftraggeber total enttäuscht. 100 µg/m3 war ja oberdrein schon der Wert der US-Behörde. Wäre ja noch schöner, wenn eine neue WHO-Arbeitsgruppe für die EU etwas bestätigt, was die Amis schon seit Langem machen. Doppelt so streng, wie die Amis, das passt da schon viel besser, also 50 µg/m3.
Aber dann hat ganz sicher jemand in der Gruppe angemerkt: Vorsicht, 50 µg/m3 ist zu offensichtlich die Hälfte von 100 µg/m3. Das fällt auf und provoziert nur dumme Fragen, also 40 µg/m3 oder 60 µg/m3. Dann wurde vielleicht kurz diskutiert, aber da ja beide Werte völlig willkürlich waren und man ja wusste, dass die EU einen möglichst strengen Wert favorisiert, einigt man sich auf 40 µg/m3. Wie gesagt, natürlich spekuliere ich hier ein Stück, aber ich würde tatsächlich den sprichwörtlichen Besen fressen, wenn ich nicht relativ nah an der Realität bin.
Damit sind wir schon ziemlich nahe am Höhepunkt des Dramas. Die EU hat den Vorschlag der Gutachter unbesehen übernommen und dann in typischer Manie – ich glaube es ist nicht unpatriotisch zu sagen, dass dies die typische Handschrift der deutschen Verhandler ist – direkt ins Gesetz als einen Grenzwert geschrieben, der an keinem Messpunkt überschritten werden darf.
Dies verschärft die Situation noch mal ganz erheblich, da die WHO unter einem Richtwert die mittlere persönliche Belastung versteht, unterhalb deren keine Gesundheitsbelastung zu erwarten sind. Intuitiv ist klar, dass damit keine Messstation die tatsächliche mittlere jährliche Exposition von Menschen abbildet, denn selbst wenn man seine Wohnung unmittelbar an einer Messstation haben sollte, hält man sich nicht 24/7 an der Messstation auf. Wieder Prof. Kekulé: ‚Abseits der Verkehrsknotenpunkte sinken die NO2-Werte bereits nach wenigen Hundert Metern erheblich.‘
Um diese Geschichte rund zu machen, muss man sich jetzt noch die aktuelle Debatte über die Aufstellung der Messstationen in Deutschland zu Gemüte führen. Statt wenigstens in dieser Frage pragmatisch vorzugehen, haben deutsche Umweltbehörden die Stationen maximal ungünstig für die Autofahrer aufgestellt. Wie sich aktuell rausschält oft sogar mit einem geringeren Abstand als die gemäß EU-Richtlinien geforderten 25m von einer Kreuzung. Jeder, der nur minimales Wissen über Messverfahren hat, dem ist klar, dass auch die Aufstellung von Messstationen ganz schnell die Grenze zur offenen Manipulation überschreitet.
Sie denken, dass ist alles? Fast, aber immer noch nicht ganz. Denn es fehlen noch drei Puzzlestücke.
- Aggressive, linke NGOs in Deutschland, die ihre Positionierung im deutschen Gemeinnützigkeitsmarkt durch das gnadenlose Verklagen von Kommunen und Städten schärfen.
- Gerichte, die knallhart gegen die Dieselfahrzeuge entscheiden, weil sie
- und letztens offenbar auch beinhart postulieren, dass alles an den Messstationen gemessene NO2 ausschließlich von den Dieselautos verursacht wird oder selbst wenn dem nicht so ist, diese rechtlich-politische Schuldabschiebung hingenommen in Deutschland einfach hingenommen wird.
Punkt 1 erfordert politischen Gegendruck – dies startet ja langsam. Wobei Gemeinnützigkeit keine politische Einschätzung ist oder sein darf, aber es würde ja schon reichen, wenn die destruktivsten NGOs nicht mehr so massiv staatlich und durch Spenden unterstützt werden und öffentlich so gebrandmarkt werden, wie sie es regelmäßig mit Staat, Industrie und Verbrauchern machen.
Punkt 2 erfordert rechtlichen Gegendruck. Ich kann es nicht ganz verstehen, dass sich die deutsche Autoindustrie nicht wirklich wehrt. Oder warum die betroffenen Dieselfahrer momentan offenbar fast ausschließlich die Autoindustrie ins Visier nehmen.
Und Punkt 3 erfordert eine ehrliche politische Debatte in Deutschland über die Auswüchse eines politisch völlig überspannten Herangehens: Schon eine einfache kurze Recherche belegt, dass NO2 nicht nur von Dieselautos emittiert wird und die eng verwandten Probleme Stichwort Feinstaub und Ultrafeinstaub müssen auch berücksichtigt werden. Wir können doch nicht wie die Berserker gegen alte Dieselfahrzeuge vorgehen und dann Emissionen von z.B. holzbetriebenen Hauskaminen momentan völlig ignorieren (ausdrücklichen Dank an Jörg Kachelmach dafür, an dieses schlimme Thema immer wieder zu erinnern).
Auch und gerade bei Umwelt-, Natur- und Gesundheitsschutz, selbst wenn man versucht Maßnahmen als Klimaweltrettung zu verbrämen (dies gilt für NO2 ja nicht), muss auch in Deutschland eine Diskussion über Aufwand und postulierten Nutzen geben können. Unkontrolliertes, mit moralischen Anklagen unterlegtes Verpulvern von Milliarden Euro auf Kosten von Verbrauchern, Industrie und den dazu gehörigen Arbeitsplätzen – dies kann jedenfalls keine gute Politik sein. Mit einem solchen Kurs verlieren alle beteiligten politischen, wissenschaftlichen, wirtschaftlichen, juristischen, medialen und aktivistischen Akteure in unserem Land jede Glaubwürdigkeit.
Und die berühmte deutsche Zivilgesellschaft, die so viel auf ihre Besonderheit gibt? ‚Wir müssen vorangehen!’, ‘Wer, wenn nicht wir?’ (Und psst, nicht so laut, damit die andere es nicht merken: ‚Dies sichert unseren Wohlstand‘) – Sie alle kennen die Leitsätze. Auch und gerade die deutsche Zivilgesellschaft macht in dieser Sache absolut keinen guten Eindruck.
Zeigen wir nicht mit dem Finger auf andere, sondern suchen die Verantwortung nur bei uns selbst!
Zuerst erschienen bei Vera Lengsfeld.
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