Die Odyssee einer Ungeimpften – Bekenntnisse vom Rand des Nervenzusammenbruchs
Maren Wurster ist Autorin einer Reihe von Büchern, die im renommierten Berliner Hanser Verlag erschienen sind. Die Schriftstellerin erklärt ihre Arbeit zu ihrem Buch „Eine beiläufige Entscheidung“ in einem Gespräch mit dem Verlag:
„Mein Text ist eine Archäologie des Verlusts, indem ich mich an Momenten des Verlassenwerdens in meiner Familie entlanghangele und ihnen bis in die Geschichte der Urgroßeltern folge.“
In einem weiteren ihrer Bücher befasst sich die Autorin mit den Verhältnissen in Altenheimen während der Corona-Maßnahmen. „Papa stirbt, Mama auch“ ist allerdings nicht Ergebnis etwa einer Recherche in Altenheimen, sondern speist sich aus dem persönlichen Erleben der Situation der Eltern der Autorin.
Sie erzählt gegenüber dem Verlag:
„Als meine Mutter an COVID-19 erkrankt ist, zusammen mit fast allen anderen Bewohnerinnen und Bewohnern des Pflegeheims, war ich wochenlang die einzige Angehörige, die überhaupt Zugang hatte. Ich wollte festhalten, welche Situation für alle Beteiligten entstanden ist, auch für die Pflegerinnen und Pfleger, die bis an ihre Grenzen gegangen sind.“
Möglicherweise war es dieser persönliche Bezug und die Erzählperspektive, welche Wursters Corona-Maßnahmenkritik nicht zum Teil einer oppositionellen Erzählung werden ließ. Die Autorin und der Verlag hatten sich offenbar entschieden, diese Passagen einer emotionalen und tiefgreifenden Anklage in „Papa stirbt, Mama auch“ nicht als große Anklage gegen die Corona-Politik der Regierung zu verkaufen.
Entsprechend wurde diese Arbeit von der Corona-Maßnahmenkritik nicht explizit aufgenommen. Die Wucht der Erzähltiefe und das Schaudern, das diese autobiografische Arbeit auszulösen in der Lage ist, wären wohl auf fruchtbaren Boden gefallen. Diese Entscheidung erzählt unausgesprochen viel über Spaltung und den gesellschaftlichen Kollaps am Rande eines Nervenzusammenbruchs.
Die Selbstisolation über dem weißen Blatt Papier
Führt diese Distanz gegenüber der Corona-Maßnahmenkritik zu einer Art Selbstisolation? Andererseits ist die Schriftstellerei grundsätzlich ein einsames Arbeiten über dem weißen Blatt Papier. Die Autorin hat eine Interviewanfrage von Epoch Times auf den Sommer verschoben, sie sei derzeit zu stark in Projekte eingebunden.
Vielleicht ermutigt von einem zunehmend kritischen Blick auch einiger etablierter Medien auf die Corona-Maßnahmen und die Impfpolitik der Bundesregierung hat Maren Wurster drei Jahre nach Erscheinen von „Papa stirbt, Mama auch“ jetzt in der „Berliner Zeitung“ öffentlich gemacht, was sie selbst während der Corona-Jahre Traumatisierendes erfahren hatte. Wurster ist nämlich ungeimpft. Sie erlebte wie Millionen anderer die Odyssee der Ungeimpften.
Jene Ungeimpften, denen 2021 von keinem geringeren als Frank Ulrich Montgomery, dem Vorstandsvorsitzenden des Weltärztebundes, eine „Tyrannei der Ungeimpften“ attestiert wurde. Der ehemalige Ethikratsvorsitzende Peter Dabrock bestätigte Montgomery damals in einem Essay im „Philosophie Magazin“, dass diese Zuschreibung in der Sache zutreffend sei.
Der Titel des Essays von Frau Wurster in der „Berliner Zeitung“ lautet: „Aufarbeitung der Corona-Zeit: ‚Ich habe Grausames und Unmenschliches erlebt‘“. Die Autorin schreibt über Ablehnung, die sie erfuhr, weil sie ungeimpft ist. Und sie schreibt es in einer etablierten Zeitung, die sich in den letzten Monaten zunehmend einer kritischen Haltung gegenüber die Corona-Politik der Regierung geöffnet hat.
Am Anfang steht die Abgrenzung vom ultimativen Bösen
Das sind Lautäußerungen aus einer Parallelwelt. Denn die Corona-Maßnahmen und Impfkritik bieten bereits eine ganze Reihe von Autoren und Protagonisten auf, die beginnend mit dem ersten Lockdown öffentlich wurden und sich positionierten, wie etwa Gunther Frank, Prof. Homburg oder auch zuvor weniger bekannte Autoren wie Toddn Kandziora, der als Ungeimpfter ab Januar 2021 eine wöchentliche Kolumne über die Odyssee der Ungeimpften schrieb.
Im April 2024 startet Maren Wurster ihren Essay mit einer Abgrenzung. Bereits im zweiten Absatz betont sie, dass sie keine Querdenker kenne und selbst auch keiner sei. Eine Freundin meinte ihr gegenüber, dass Querdenker Menschen seien, „denen der Tod anderer Menschen egal ist“, schreibt Wurster entsetzt und distanziert sich sofort.
Querdenken, gegründet von Michael Ballweg, ist allerdings kein Sportverein und auch keine Partei, sondern eine Sammelbewegung Gleichgesinnter. Es gibt keine Mitgliedschaften oder irgendwelche Initiationsriten. Oder anders ausgedrückt: Mit ihrer Veröffentlichung wäre Autorin Wurster 2020 oder 2021 in der Hochphase des Querdenken-Protestes wahrscheinlich eine der Heldinnen des Protestes geworden. Sie hätte den Ungeimpften eine Stimme geben können.
Noch 2023 beschreibt sich Autorin Wurster selbst als „paralysiert“, als man sie in die Nähe von Querdenken rückt.
In ihrem Essay erzählt sie von ihrer Heimat, dem Wendland, einem schon traditionell rebellischen Flecken, geprägt von den Endlagerdemonstrationen rund um Gorleben und getragen von einem bäuerlich autonomen Lebensgefühl. Hier hatten Bonner oder Berliner Regierungen nie einen leichten Stand. Hier wurde schon quergedacht, als es Querdenken noch nicht als politische Bewegung gab.
Wurster schreibt:
„Ich habe mich nicht gegen COVID-19 impfen lassen. Wie die meisten meiner Freundinnen und Freunde im Wendland. Das sind: eine Therapeutin, eine Architektin, ein Musiker, ein Masseur, eine Sozialarbeiterin, eine Literatur-, eine Sozialwissenschaftlerin, eine Heilpraktikerin, eine Künstlerin. Manche haben Kinder, andere keine, eine ist alleinsorgend, andere leben in Gemeinschaften. Eine hat Schafe, einer betreut einen beeinträchtigten Menschen, eine andere arbeitet mit psychisch Erkrankten, wieder eine andere baut gerade ein Haus.“
Nach der Zwangsisolation in eine tiefe Demenz
Maren Wurster erzählt in ihrem Essay von dem Schicksal ihrer Eltern. Der Vater starb im Altenheim nach der zweiten Impfung, die Mutter fiel als Ungeimpfte nach Wochen der Isolation in eine tiefe Demenz. Die Nacherzählung von Wurster ist hier besonders stark und kaum zu ertragen. Das sind kraftvolle Worte, die im Innersten nachhallen:
„Ich habe Grausames und Unmenschliches erlebt, was im Namen des Schutzes und als Corona-Maßnahmen in der Pflege geschehen ist. Meine demenzkranke Mutter war in einer fünfwöchigen Quarantäne, was heißt, dass sie fünf Wochen allein in einem fremden und ausgekühlten Zimmer lag. Sie ist nur minimal und von Menschen in Schutzkleidung, die wie Raumanzüge wirkten, versorgt worden. Jedes Lächeln hinter Maske und Schutzbrille verborgen, jede Berührung mit Plastik dazwischen. Meine Mutter konnte nicht mehr sprechen und nicht mehr gehen nach dieser Zeit. Sie hat einen Schub in die Demenz hinein gemacht, der so riesig war, dass sie wie ein anderer Mensch wirkte. Oder fast nicht mehr wie ein Mensch, sondern wie ein verschrecktes Wesen, das irgendwie noch lebt, aber Kommunikation und Fortbewegung unwiederbringlich verloren hat.“
Eine Zwischenüberschrift des Wurster-Essays lautet: „Andersdenkende und Ungeimpfte wurden diffamiert“. Eine Diffamierung, die immer auch eine Ausgrenzung war. Und es gehörte über die Corona-Jahre hinweg auch für viele weitere Prominente zum guten Ton, öffentlich zu machen, dass man alles andere sei, aber bloß kein Querdenker.
Die Tragik dieses Essays auf der Meta-Ebene: Maren Wurster bleibt auch im Frühjahr 2024 bei dieser Tradition. Dass sie sich damit allerdings mitten in dem von ihr selbst als Befreiung empfunden Akt des Öffentlichmachens ihres Schmerzes und ihrer Erfahrungen als Ungeimpfte ein weiteres Mal zum Opfer macht, gehört ebenfalls zu den traurigen Momenten des Lesens. Ein Stockholm-Syndrom zwischen den Zeilen.
Maren Wurster, „Eine beiläufige Entscheidung“, Carl Hanser Verlag, Berlin, ISBN 978-3-446-27380-1, 22€
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