„Derzeit in ganz China keine Glaubensfreiheit“
„Das 21. Jahrhundert ist das Jahrhundert des Dialogs“. Mit seiner Rede auf einer Kundgebung vor dem Brandenburger Tor in Berlin am 19. Mai beendete der Dalai Lama seinen Deutschlandbesuch. Er bekräftigte sein Bekenntnis zur staatlichen Einheit Chinas und sprach weiterhin vom Dialog mit der chinesischen Regierung über eine kulturelle Autonomie in Tibet. Nach seinen Worten zeigen viele Menschen Sympathie für dieses tibetische Anliegen. Was soll unter „Kulturautonomie“ verstanden werden? Wie kann diese Autonomie in dem kommunistischen China realisiert werden? Hat die Kommunistische Partei in China echten Dialogwillen? Zu diesen Fragen hat Epoch Times Deutschland im Anschluss an die Rede des Dalai Lama Wolfgang Grader interviewt. Er ist der Vorsitzende der Tibet Initiative Deutschland und Mitorganisator des Deutschlandbesuchs des Dalai Lamas.
ETD: Vorhin sprach der Dalai Lama über die kulturelle Autonomie in Tibet. Was beinhaltet diese substantielle Kulturautonomie der Tibeter konkret?
Grader: Das bedeutet, dass die Tibeter selbst entscheiden können, wie sie ihre Religion ausüben und wie das Schulsystem zum Beispiel in Tibet aussieht. Es kann nicht sein, dass die Tibeter, nur weil sie tibetisch sprechen, keine gute Schulausbildung haben.
ETD: Wenn Sie sagen, die Tibeter können selbst bestimmen, wie man eine Religion ausübt, bedeutet das nicht Glaubensfreiheit? Gibt es in China wirkliche Glaubensfreiheit?
Grader: Derzeit besteht in ganz China keine Glaubensfreiheit. Es gibt Probleme mit der römisch-katholischen Kirche, wo der Papst zum Beispiel nicht anerkannt wird, es besteht auch das Problem von Falun Gong, wo auch viele Menschenrechtsverletzungen stattfinden und auch eben die Uighuren und Tibeter. Man darf die Tibetfrage nicht losgelöst von dem gesamten China sehen.
ETD: Kann die tibetische Kultur mit der kommunistischen Parteikultur koexistieren?
Grader: Sagen Sie mir, wo der Kommunismus in China existiert. Es ist ein autoritärer Staat, aber von Kommunismus keine Spur mehr. Die Volksrepublik China könnte ich mir mit einem taiwanesischen Regierungssystem vorstellen. Das wäre das langfristige Ziel, worauf die Chinesen eigentlich selbst hinarbeiten müssten, damit im gesamten China Meinungsfreiheit herrscht.
ETD: In China selbst wurde viel von der traditionellen Kultur zerstört. Sind Sie der Meinung, dass die Tibeter mit dem chinesischen Volk in der Frage von Kultur-Autonomie in einem Boot sitzen?
Grader: Letztendlich sitzen alle Menschen, die in China leben in einem Boot. Es muss gemeinschaftlich erwirkt werden, dass wirkliche Kulturfreiheit herrscht. Wie sich dann natürlich jede einzelne Gruppierung dabei einbringt, ist der Gruppierung überlassen. Aber gemeinsam werden sie alle stärker.
ETD: In den chinesischen Medien ist während der jüngsten Ereignissen mit Tibet sehr stark an das Nationalgefühl der Chinesen appelliert worden. Denken Sie, dass Peking die Konflikte forciert hat, um von inneren Konflikten abzulenken?
Grader: Man muss sagen, es gibt bei den Chinesen selbst jahrzehntelange Propaganda. Das heißt, die chinesische Bevölkerung ist ja selbst überrascht was in Tibet passiert. Weil ihnen vorgespielt wurde, dass Tibet einen wirtschaftlichen Aufschwung bekommen hat und dass es den Tibetern besser gehe. Daher ist es nicht verwunderlich, wenn sich die chinesische Bevölkerung mit der chinesischen Regierung solidarisiert. Weil sie das Problem einfach nicht versteht.
ETD: Das Treffen mit dem Dalai Lama spaltet die deutsche Politik. Eigentlich spiegelt dies die schon seit langem vorhandene Spaltung in der Chinapolitik wieder. Welche Chinapolitik halten Sie für richtig, eine weltorientierte oder wirtschaftliche Chinapolitik?
Grader: Man kann das eine vom anderen nicht trennen. Es sollte eine weltoffene Politik sein und auf Grund der Globalisierung sind die Wirtschaftszusammenhänge so stark, dass man auch Wirtschaftspolitik mit China machen muss, aber alles mit Augenmaß.
Ich sage, es gibt große politische innere Probleme [in Deutschland]. Man versucht mit der Innenpolitik Außenpolitik zu machen. Es gibt ja keine einheitliche Meinung zu Tibet, keine einheitliche Meinung zu Russland, keine einheitliche Meinung zu Syrien. Es geht nicht um das einzelne Thema, sondern grundsätzlich gibt es Meinungsverschiedeneinheiten in der Regierung. Und alle sind schon auf das Jahr 2009, wo die nächsten Bundestagswahlen stattfinden, eingestellt und jeder versucht sich zu profilieren. In diesem Fall auf Kosten Tibets. Im nächsten Fall vielleicht auf Kosten der Nahostpolitik.
ETD: Es hat sich gezeigt, dass das chinesische Regime gegen den Empfang des Dalai Lamas von Angela Merkel viel stärker protestiert hat, nachdem Außenminister Steinmeier die Bundeskanzlerin kritisiert hatte. Kann es sein, dass die chinesische Regierung diese Meinungsverschiedenheiten absichtlich ausnutzt?
Grader: Wer am lautesten brüllt hat eigentlich die größte Schwäche, weil sonst braucht man ja nicht zu brüllen. Wenn die chinesische Regierung immer lauter brüllt, stellt sie sich mit den Protestaktionen bloß. Es gibt hier zehn Demonstrationen heute in der Nähe des Brandenburger Tors von Chinesen. Ich möchte es gerne haben, dass nur ein einziger Tibeter in Peking demonstrieren kann.
Vielen Dank für das Gespräch!
Die Fragen stellte Maria Zheng
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