Der Friedensnobelpreis 2008 geht an …?
Am Freitag, dem 10. Oktober um 11:00 Uhr MESZ wird er verkündet: Der Träger des Friedensnobelpreises des Jahres 2008. Traditionell wird der einflussreiche Preis am 10. Dezember, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel, im norwegischen Oslo verliehen. In diesem Jahr wird der Preisträger aus 197 nominierten Kandidaten, darunter 164 Einzelpersonen und 33 Organisationen ausgewählt.
Vorschläge für den Friedensnobelpreis dürfen nur von einem bestimmten aber umfassenden Personenkreis eingereicht werden. Neben den fünf Mitgliedern des Norwegischen Nobelpreiskomitees und früheren Preisträgern sind dies Regierungsmitglieder sowie Professoren der Fachrichtungen Sozialwissenschaft, Geschichte, Philosophie, Recht und Theologie und die Leiter von Friedensforschungsinstituten. Die Nominierungen müssen bis 1. Februar des jeweiligen Jahres erfolgen und sollen möglichst vertraulich bleiben, auch wenn sich nicht immer alle daran halten. Entschieden über die Vergabe wird von dem fünfköpfigen Nobelpreiskomitee, das auf sechs Jahre vom Norwegischen Parlament bestimmt wird.
Aus Kreisen des Nobel Instituts wird vor der Entscheidung keine Spekulation über mögliche Gewinner verlautbart und zu den oft kontroversen Diskussionen nach der Verleihung keine Stellung genommen. Die Entscheidung kann auch nicht zurückgenommen werden. Jedes Jahr wenden sich Journalisten an den Direktor des Friedensforschungsinstituts PRIO, Professor Stein Tønnesson, um ihn nach den aussichtsreichsten Kandidaten des Jahres zu befragen. Auf der Webseite des Instituts veröffentlicht er alljährlich eine Liste von Kandidaten, die seiner Analyse zufolge die besten Chancen auf den Preis haben.
- Gao Zhisheng und Hu Jia, (Rechtanwalt und Bürgerrechtsaktivist, China)
- Thich Quang Do (Buddhistischer Mönch, Vietnam)
- Lidia Yusupova (Menschenrechtsaktivistin, Russland)
- Iftikhar Muhammad Chaudhry (ehemaliger Oberster Richter in Pakistan)
- Die Koalition gegen Streumunition (CMC)
- Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) oder das Welternährungsprogramm (WFP) der Vereinten Nationen
Auch wenn Professor Tønnesson mit seinen Vermutungen nach eigener Aussage oft falsch liegt, so hatte er doch schon öfters den richtigen Preisträger voraussagen können, so zum Beispiel die Preisträger des Jahres 2007, Al Gore und den Weltklimarat. Die von ihm veröffentlichte Liste enthält aber nicht den von Tønnesson selbst nominierten und favorisierten Kandidaten. Diesen möchte er nicht nennen, um dem Wunsch des Nobel Instituts auf Vertraulichkeit entgegenzukommen und die Chancen seines Kandidaten nicht zu mindern. Es sei denn, er würde später den Preis verliehen bekommen.
ETD: Herr Professor Tønnesson, in Ihrer jüngsten Prognose geben sie an, dass zwei Dissidenten die besten Chancen zum Erhalt des diesjährigen Friedensnobelpreises haben. Wie kommen Sie zu dieser Annahme?
Stein Tønnesson: Dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen sind jetzt 60 Jahre seit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 vergangen. Es ist der gleiche Tag, an dem traditionell der Friedensnobelpreis vergeben wird, und daher sehr passend, jemanden auszuwählen, der sich für die Menschenrechte einsetzt. Da wäre z.B. Human Rights Watch als eine Organisation, Amnesty International hat den Preis schon einmal bekommen. Aber ich weiß, dass es das Nobelpreiskomitee bevorzugt, den Preis an Einzelpersonen zu vergeben, weil dies dem Preis ein besseres Profil gibt.
Carla del Ponte könnte eine mögliche Kandidatin sein. Die Schweizer Juristin war Chefanklägerin am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag für Ruanda sowie für das ehemalige Jugoslawien.
Dann dachte ich an mögliche Dissidenten. Es gibt eine lange Tradition darin, den Preis an jemanden zu geben der in Opposition zu einem totalitären Regime steht. Im Jahre 1935 ging der Preis an Carl von Ossietzky. Dies war eine sehr mutige Entscheidung des Komitees, denn er war damals in Deutschland in Nationalsozialistischer Gefangenschaft. 1960 bekam Albert Luthuli, der Präsident der südafrikanischen Befreiungsbewegung den Preis. Andrei Sacharow bekam den Preis 1975 als Unterstützung für die Dissidenten in der damaligen Sowjetunion.
Einer der wohl bekanntesten Fälle unserer Tage ist wohl der der Burmesin Aung San Suu Kyi im Jahre 1991. Sie hat vor und nach der Verleihung des Preises enorm leiden müssen. Aber sie gilt als Symbol für den Kampf der Burmesischen Bevölkerung gegen ein diktatorisches Regime. Man sieht, es gibt eine lange Reihe von solchen Beispielen. Und da es der sechzigste Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist, wäre es an der Zeit, wieder einen solchen Preis zu vergeben.
Ein weiterer Grund, warum ich an Gao Zhisheng und Hu Jia dachte, ist, weil es Zeit ist, dass China wieder einmal an die Reihe kommt. Es gab in der Geschichte bislang nur einen Chinesen, der den Friedensnobelpreis erhalten hat und das war der Dalai Lama im Jahre 1989. Und er lebt noch nicht einmal in China. Es gab in den vergangenen Jahren schon einige öffentliche Diskussionen über dieses Ungleichgewicht, denn der Preis ist als internationaler Preis gedacht. Er ist zwar meist nach Europa oder Nordamerika gegangen, doch seit den achtziger und neunziger Jahren hat sich das Komitee bemüht, den Blickwinkel zu erweitern und globaler zu denken. Daher ist er in den letzen Jahren öfters an Afrikaner, Südamerikaner und Asiaten gegangen. Doch bislang gab es nur einen einzigen Chinesen.
Außerdem denke ich schon länger, dass das Komitee in den vergangenen Jahren zurückhaltend gewesen ist, den Preis an einen chinesischen Dissidenten zu geben, weil China gerade dabei war, die Olympischen Spiele vorzubereiten. Dies wäre vielleicht als Angriff auf das Image der Chinesen aufgefasst worden und als Einmischung, gerade zu einer Zeit in der man hoffte, dass die Olympischen Spiele zu einer Verbesserung der Menschenrechtslage beitragen würden. Aber jetzt sind die Spiele vorbei und vom organisatorischen und nationalen Gesichtspunkt her gesehen waren die Spiele ein großer Erfolg für China. Doch sie führten nicht zu der erhofften Verbesserung in der Art und Weise wie mit der Opposition in China umgegangen wird. Im Gegenteil sind viele Maßnahmen ergriffen worden die Opposition auszuspionieren und wegzusperren, sodass sie die Olympischen Spiele nicht stören konnten.
Eines der meistbeachteten Ereignisse in der internationalen Presse war die Verurteilung von Hu Jia im April 2008 zu dreieinhalb Jahren Haft. Deshalb dachte ich, dass der Preis zu ihm gehen könnte. Wei Jingsheng oder andere Veteranen der Demokratiebewegung von 1989 haben geringere Chancen den Preis zu bekommen, da sie sich schon in der Sicherheit des Exils befinden. Wenn so ein Preis an einen Dissidenten geht, dann bevorzugt man normalerweise jemanden, der in Gefangenschaft ist, oder unter Hausarrest oder Beobachtung steht. Und dies trifft auf Gao Zhisheng und Hu Jia zu.
ETD: Kann Peking auf das Nobelpreiskomitee oder die norwegische Regierung Druck ausüben und damit die Entscheidung beeinflussen?
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Tønnesson: Auf keinen Fall. Wenn China versuchen würde das Komitee oder Nobel Institut direkt zu beeinflussen, würde dies sehr negativ aufgenommen werden, und sicherlich nicht den gewünschten Effekt zeigen. Ich glaube auch nicht, dass China dies tun würde, weil sie sehr genau wissen, dass dies nicht funktionieren würde. Was China in der Vergangenheit schon getan hat, ist es öffentlich davor zu warnen, den Preis an einen chinesischen Dissidenten zu vergeben. So wie es ein Vertreter des Außenministeriums jetzt getan hat. Aber auch dies wird keinen Effekt erzielen. Wenn die chinesische Regierung den Norwegischen Botschafter in Beijing zitiert, oder der chinesische Botschafter in Oslo die norwegische Regierung kontaktiert, dann wird man ihnen lediglich mitteilen, dass es sich nicht um eine Regierungsangelegenheit handelt und das Nobelkomitee die Entscheidung völlig unbeeinflusst fällt. Der norwegische Premierminister und der Außenminister in Norwegen werden nur eine Stunde vor der offiziellen Bekanntgabe informiert, so dass keine diplomatischen Auswirkungen die Preisvergabe beeinträchtigen können.
ETD: Was ist der Effekt eines solchen Preises?
Tønnesson: Das Nobelpreiskomitee möchte nicht, dass der Preis nur etwas auszeichnet, was jemand getan hat. Der Preis soll dazu beitragen, dass die Welt friedlicher wird. Friedlicher bedeutet hier nicht nur weniger Gewalt und weniger Waffen, sondern auch eine Welt die die Menschenrechte achtet, die gerecht ist. Das Komitee versucht normalerweise mit dem Preis jemanden auszuzeichnen, der nicht zu alt, aber sehr engagiert dabei ist, Dinge zu verbessern. Viele der bisherigen Preisträger haben erfahren, dass ihr Fall viel größere internationale Aufmerksamkeit erfuhr, nachdem sie den Preis bekommen haben.
Es ist unübersehbar, dass Aung San Suu Kyi von dem Preis profitierte, indem sie von der ganzen Welt als legitime Führerin der Burmesischen Nation respektiert wurde. Auch als der Preis 1996 an Carlos Filipe Ximenes Belo und José Ramos-Horta ging, hat er dazu beigetragen, dass sich die internationale Aufmerksamkeit auf Ost-Timor richtete, das seit der Besatzung in den siebziger Jahren von den meisten Teilen der Welt über zwei Jahrzehnte als Teil Indonesiens angesehen wurde. Nach der Verleihung des Friedensnobelpreises ist Ost-Timor ein unabhängiger Staat geworden.
Für den Fall, das der Preis an einen Dissidenten vergeben wird, vermute ich, dass der Preis steigen wird, den das betroffene Regime zahlen muss, um den Dissidenten weiter zu foltern oder zu misshandeln. Einige Regimes werden das in Kauf nehmen. Andere Regierungen werden dagegen nicht mehr so grob mit dem Preisträger umgehen, weil dies zu starken internationalen Reaktionen führen würde.
Wenn man zunächst auf Ossietzky schaut: er bekam den Preis und starb in der Haft. Doch Hitler wagte es nicht, ihn gleich zu töten. Er lebte noch drei Jahre nachdem er den Preis bekommen hatte. Sacharow wurde sehr bekannt durch den Preis und nach dem Ende des Kommunistischen Regimes wurde er zu einer gefeierten Person in Russland. Suu Kyi wurde nicht so grob behandelt wie die anderen. Sie konnte immerhin die meiste Zeit in ihrem Haus bleiben und mithilfe verschiedener Medien mit der Außenwelt in Kontakt stehen.
Die Frage wird also sein: Wie wird die chinesische Regierung reagieren, falls der Preis an Gao Zhisheng oder Hu Jia vergeben wird. China wird möglicherweise stark protestieren und sagen, dass es eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Chinas sei, und dass die Leute bestraft werden müssen, da sie das Recht gebrochen haben, und ähnliche Dinge. Der Preis wird dann zwar keinen unmittelbaren Effekt für denjenigen haben, der den Preis erhalten hat, aber wenn die Regierung so reagiert, dann trägt sie selbst dazu bei, im In- und Ausland weiter an Respekt zu verlieren.
Die andere Möglichkeit wäre, dass China die betroffene Person besser behandelt, um die Kritik zu entkräften. Wir haben schon öfters erlebt, dass China Menschenrechtfragen — nicht offen aber indirekt — in die Beziehungen mit den USA eingebracht hat. In Fällen, in denen China die Unterstützung der USA benötigte, zum Beispiel bei Chinas Beitritt zur WTO, gab es Fälle, dass Gefangene freigelassen wurden und ins Exil gehen konnten. Das wäre der einfachste Weg für China aus der Sache herauszukommen. In manchen Fällen schwächt dies auch den Dissidenten, der dies tut.
Wenn aber der Preis an einen chinesischen Dissidenten vergeben würde, dann würde es dieser Person in China auch zu größerer Bekanntheit verhelfen. Und das wäre ihnen möglicherweise eine große Hilfe. Ich habe erst kürzlich eine Gruppe von Chinesen zu Besuch gehabt, die von Hu Jia zum Beispiel noch nie etwas gehört haben.
Das Interview führte Thomas Kalmund.
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