„Damals hielt ich den Stalinismus nur für eine Entgleisung des Kommunismus“
„Das kam 1989, nach der friedlichen Revolution, wie vom Himmel geflogen in meinen Kopf, nämlich alle die Bücher zu sammeln, die in der DDR verboten waren, zur Aufklärung über die Verbrechen des Kommunismus. Ich wollte auch wissen, was das war, was die Intellektuellen in den zwanziger, dreißiger Jahren so fasziniert hat am Kommunismus, dass sie alle in die Sowjetunion gepilgert sind, den Arbeiter- und Bauernstaat. Warum diese Mao-Faszination unter den Studenten in den sechziger, siebziger Jahren, was war die Wurzel der Faszination? Das wollte ich gerne wissen.“ So beginnt die lebhafte Vorsitzende des ‚Fördervereins Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Stalinismus e.V.’, Ursula Popiolek die Schilderung über die Entstehung „ihrer“ Bibliothek in Berlin Mitte.
An einem fast verwunschenen Platz neben der Nikolaikirche betritt man eine Bücherwelt, die warm und anziehend mit Sesseln und Tischchen ausgestattet ist. Auf den ersten Blick ist nicht zu erkennen, wie viele Leidensgeschichten aus dem 20. Jahrhundert dort dokumentiert sind.
„Anhand der Bücher wollte ich das meinen Mitbürgern kundtun, mit den in der ‚DDR’ verbotenen Büchern. Denn ich bin ein richtiger ‚DDR’-Bürger. Ich habe Slawistik studiert und habe auch viel russische Literatur gelesen. Da ist mir schon früh aufgefallen, dass so viele Intellektuelle und Schriftsteller in der Sowjetunion 1937/38 gestorben sind, bis ich schließlich viel später herausfand, dass damals die großen sogenannten ‚Säuberungen’ der Stalinzeit stattfanden mit Millionen von Toten.“
Erkenntnis über kommunistische Machtstrukturen
Diese Idee einer Büchersammlung wurde von vielen unterstützt, vom Neuen Forum und Bürgerrechtlern, von staatlichen Stellen, von Stiftungen und Interessierten aus dem Westen. Ursula Popiolek hatte nicht nur innerhalb eines Jahres 150.000,- DM gesammelt, sondern auch schnell gelernt, dass man im Westen einen gemeinnützigen Verein gründen muss, um Ideen, die der Allgemeinheit nützen sollen, auch umzusetzen.
Der erste Treffpunkt entstand in Räumen am Hausvogteiplatz in Berlin, die Eröffnung wurde mit Wolfgang Leonhard als Redner gefeiert, dem Autor des 1955 erschienen Buches „Die Revolution entlässt ihre Kinder“. Ein ehemaliger überzeugter Kommunist, aufgewachsen in der damaligen Sowjetunion, der nach seiner Abkehr vom Stalinismus und Flucht in den Westen 1949 viel zum Verständnis kommunistischer Machtstrukturen beigetragen hat.
Konzipiert wurden die Räume für die ständig wachsende Bibliothek und für Begegnungen zwischen ehemaligen Ostlern und ehemaligen Westlern, die nun zusammenwachsen durften. Ursula Popiolek richtete eine Begegnungsstätte ein, die wohnlich war, in der man sich zu Gesprächen in kleinen oder größeren Runden treffen konnte. Opfer konnten mit Opfern reden, Ältere mit Jüngeren und jedermann mit Prominenten. Die Aufbruchstimmung der frühen 90er Jahre in Berlin ermöglichte viele ungewöhnliche Kontakte.
Menschen waren tief verletzt
Ursula Popiolek: „Ich wollte eigentlich nur ein großes Ohr sein. Ich wollte Menschen Gelegenheit geben, endlich frei über das zu sprechen, was sie erlebt hatten. Natürlich entdeckten wir mit der Zeit, dass längst nicht alle Themen sofort angesprochen werden konnten. Menschen waren tief verletzt. Andere waren noch ganz im sozialistischen Gedankengut befangen. Wir waren ja durch und durch in diesem Geist erzogen worden. Damals hielt ich auch noch – wie viele andere – den Stalinismus nur für eine Entgleisung des Kommunismus. Der Kommunismus war immer noch ein Ideal. Davon bin ich inzwischen geheilt und meilenweit entfernt. Das Vorhaben der kommunistischen Ideologie, ‚Wir ändern den Menschen’, setzt den Menschen, der dafür die Maßstäbe setzen will, an die Stelle Gottes. Das kann nicht gut gehen, das führt in eine Zerstörung des Lebendigen. Das ist permanente Kontrolle, das kann niemals Freiheit geben.“
Was Ursula Popiolek nicht ahnte und bitter durchstehen musste, waren Verdächtigungen, Verleumdungen, Missverständnisse, öffentliche Kampagnen gegen sie und „ihre“ Bibliothek. Die Hintergründe sind bis heute nicht wirklich aufgeklärt.
Das Nikolaiviertel wird gern auch von Touristen besucht, manch einer bleibt in den Räumen der Bibliothek hängen auf einer Reise in eine kaum noch verstehbare Vergangenheit. Schon jetzt kann man jedoch annehmen, dass es in nicht zu ferner Zeit eine weitere Welle der „Aufarbeitung“ geben wird, wenn wieder einmal junge Erwachsene die Eltern- oder Großelterngeneration befragen: „Wie war das eigentlich damals, was hast du gewusst, was hast du gedacht und was hast du getan während der Herrschaft der Kommunisten?“
www.gedenkbibliothek.de
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