Britischer Journalist sorgt sich mehr um „antidemokratische Eliten“ als um Kapitol-Stürmer
Was am 6. Januar im Kapitol in Washington geschah, ist in keiner Weise kleinzureden oder gar zu verharmlosen, darüber ist sich die Welt einig.
Die Eindringlinge, so lächerlich sie teilweise auch ausgesehen haben mögen, mit beschmiertem Gesicht und Büffelhörnern auf dem Kopf – was sie taten war kein Spaß, sondern ernst.
Diese Meinung vertritt auch Brendan O’Neill, Redakteur des britischen Magazins „Spiked“. In einem Meinungsbericht schreibt er: „Sie betraten illegal die demokratische Zitadelle der Vereinigten Staaten, ein Leuchtfeuer der Demokratie für viele Menschen auf der ganzen Welt.“ Sie taten dies „mit der ausdrücklichen Absicht, den friedlichen Übergang der Macht zu blockieren, für den ihre Mitbürger gestimmt hatten. Sie begingen einen gewaltsamen Übergriff gegen die Praktik und das Ideal der Demokratie“.
Das, was geschehen ist, rechtfertige aber in keiner Weise den Begriff „faschistisch“, wie er von vielen Gegnern im Anschluss gebraucht wurde, fügt er hinzu. O’Neill spricht in diesem Zusammenhang sogar von einem „schamlosen Gebrauch des Wortes“, das immer dann gebraucht werde, wenn es um die Beschreibung einer politischen Bewegung gehe, die man missbilligt. Dies sei jedoch eine „Beleidigung für Vernunft und Geschichte“.
O’Neills Meinung nach, war der sogenannte Sturm auf das Kapitol „kein Putsch“. Denn die Nationalgarde habe die Protestler zurückgedrängt und selbst Donald Trump habe sie aufgefordert, nach Hause zu gehen.
„Ein Putsch ist ein bewusster Versuch, der Regierung illegal die Macht zu entreißen. Diese Leute konnten nicht einmal glauben, dass sie es bis ins Gebäude des Kapitols geschafft hatten. Sie waren wie Kinder, die einen Süßigkeitenladen unbewacht vorfinden“, beschreibt O’Neill die Situation.
Es sei auch kein Aufstand gewesen, wie Joe Biden und andere es nennen würden, sondern könne eher als „pantomimischer Kostümaufstand“ bezeichnet werden, „eine aufgeheizte Version von jenen Geschichtsliebhabern, die ihre Wochenenden als Soldaten der amerikanischen Revolution oder dem amerikanischen Bürgerkrieg verkleidet verbringen“, so O’Neill.
Deutschland verurteilt Trump
Vor allem unter deutschen Politikern waren die Gemüter sehr erhitzt und man verurteilte fast im Gleichklang die Geschehnisse in Washington – nicht ohne zu betonen, wer Schuld an dem allen trägt – Donald Trump.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte am Donnerstag, sie sei „wütend und auch traurig“. Trump habe mit seinem Verhalten die Atmosphäre für die Ausschreitungen bereitet.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach vom „Sturm auf das Herz der Demokratie“. Er sprach von einem „bewaffneten Mob, aufgestachelt von einem amtierenden Präsidenten“. Die Unruhen in Washington seien „das Ergebnis von Lügen und noch mehr Lügen“ und „von Hass und Hetze auch von allerhöchster Stelle“.
Der Bundespräsident mahnte zugleich zur Wachsamkeit auch in Deutschland. „Wir vergessen nicht jene Bilder, als Gegner der Demokratie die Stufen unseres Reichstags besetzten.“
Außenminister Heiko Maas (SPD) äußerte sich ähnlich: „Auch bei uns, in Hanau, Halle, auf den Stufen des Reichstags, haben wir erleben müssen, wie Hetze und aufrührerische Worte in hasserfüllte Taten umschlagen“, schrieb er in einem Gastbeitrag für den „Spiegel“.
Zur Lage in den USA schrieb Maas, wer wie Trump „jahrelang mit Worten zündelt und seine eigenen Anhänger ständig aufhetzt, der trägt Verantwortung für diese Attacke auf das Herz der amerikanischen Demokratie.“
Der Chefredakteur des ZDF, Peter Frey, ging sogar noch einen Schritt weiter und sprach von „Hochverrat“ seitens Trump. In einem Kommentar schrieb er:
„Die stolze republikanische Partei konnte und wollte ihren skrupellosen Präsidenten nicht stoppen. Im Gegenteil: Viel zu lange hat sie opportunistisch auf ihn gesetzt. Ein Präsident, der seine Anhänger zum Sturm aufs Parlament aufruft, begeht faktisch Hochverrat. Das muss bestraft werden.“
„Angemessene Sichtweise auf die Ereignisse vom 6. Januar fordern“
O’Neill versucht in seinem Beitrag einen ungetrübten Blick zu werfen auf das, was wirklich geschehen ist. Für ihn werde hier zu schnell ein ganz bestimmtes Narrativ aufgebaut, dass am Ende nur eine Konsequenz zur Folge haben wird: „eine stärkere autoritäre Kontrolle politischer Handlungen und sogar politischer Reden“.
Er schreibt: „Diejenigen von uns, die wirklich an Freiheit und Demokratie glauben, sollten eine angemessene Sichtweise auf die Ereignisse [der letzten Nacht] fordern, nicht um die antidemokratischen Trottel zu entschuldigen, die sich randalierend verhalten haben, sondern um sich vor einer illiberalen, antidemokratischen Reaktion der Führungseliten zu schützen; um sicherzustellen, dass die Reaktion auf dieses Ereignis am Ende nicht die Demokratie mehr bedroht als das Ereignis selbst. Ich fürchte, das wird sie, und zwar bald.“
Nicht nur, dass man Trump nach den Vorfällen sofort in den sozialen Netzwerken sperrte und ihm damit die Möglichkeit nahm, mit seinen Wählern zu kommunizieren, ist für O’Neill ein Zeichen für die „Doppelmoral“ der herrschenden Elite, sondern auch der Umstand, dass man die monatelangen gewalttätigen Ausschreitungen durch BLM und linke Randalierer in amerikanischen Großstädten nicht einmal verurteilt hat. Da wurden ganze Gebäude in Brand gesteckt, es habe keine Kritik von Joe Biden oder anderen führenden Demokraten gegeben, stellt O’Neill fest.
Jetzt gehe es darum, so der Autor weiter, „die wachsende Herrschaft zu verstehen, die der neue Klerus über das politische Narrativ und sogar über die Sprache und Worte selbst genießt“.
Ihre kulturelle und mediale Vorherrschaft bedeute seiner Meinung nach, dass sie „zunehmend die Macht haben, die BLM-Krawalle als gar keine Krawalle darzustellen, während ein gewaltsamer Überfall auf das Kapitol buchstäblicher Faschismus ist; es bedeutet, dass sie sagen können, dass Anti-Lockdown-Proteste während eines Lockdowns tödlich für die öffentliche Gesundheit sind, Anti-Polizeiproteste aber nicht; es bedeutet, dass sie das Verstummen und sogar die Entlassung von jedem sichern können, der die BLM-Gewalt als Plünderung bezeichnete und die Nationalgarde zum Eingreifen aufrief, während sie jubelten, als die Polizei im Kapitol Demonstranten erschoss“.
Es sei „diese Kontrolle der politischen Darstellung, des Denkens selbst, der eigentlichen Bedeutung von Wörtern wie Aufruhr, Plünderung, Faschismus, friedlich und so weiter, die hervorgehoben und konfrontiert werden muss“, so O’Neill.
Es sei wichtig zu verstehen, dass sich gerade „etwas sehr Politisches abspielt“. Die „Inflation der Bedrohung, die wilden Behauptungen über einen faschistischen Putsch“ seien „durchsichtige Bemühungen der verhätschelten politischen und kulturellen Eliten, ihrem Projekt moralische Bedeutung zu verleihen“ – und zwar dem Projekt ihrer „Wiederherstellung der managerialen, technokratischen Macht nach dem vierjährigen populistischen Experiment“, meint der Autor.
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