„Bleib doch über Nacht und lass dein Herz guter Dinge sein!“

Reportage über eine Nacht der Kirchen im Oktober am Zürichsee
Titelbild
„Oh Mensch lerne tanzen, sonst wissen die Engel im Himmel nichts mit dir anzufangen!“ (Augustinus, 354 – 430) (Foto: Inka Ehrbar)
Von 1. November 2006
„Oh Mensch lerne tanzen, sonst wissen die Engel im Himmel nichts mit dir anzufangen!“ (Augustinus, 354 – 430) („Oh Mensch lerne tanzen, sonst wissen die Engel im Himmel nichts mit dir anzufangen!“ (Augustinus, 354 – 430) (Foto: Inka Ehrbar)

Als ich in unserer Tageszeitung im Oktober von der „Nacht der Kirchen“ lese, werde ich sehr neugierig. Es ist von Weltmusik, getanztem Gebet, von Schall und Rauch die Rede. Das Wichtigste und wohl auch Schönste ist der Gedanke der Gemeinsamkeit, des Miteinander der verschiedenen Konfessionen. Die ganze Veranstaltung soll von halb sieben am Abend bis zum nächsten Morgen um acht dauern. Die Wege zwischen den Veranstaltungsorten sollen zu Fuss oder mit dem Schiff zurückgelegt werden. Eines ist klar, da möchte ich mitmachen.

Schiffslandesteg Pfäffikon

Am 20. Oktober betrete ich das Schiff, das uns von der Anlegestelle Pfäffikon zur Insel Ufenau mitten im Zürichsee bringen soll. Ich staune nicht schlecht ob all dieser vielen Menschen, die sich schon an Bord befinden. Als das Schiff ablegt, versinkt die Sonne eben hinter dem Ütliberg, und sie taucht die Berge im Umkreis in ein verschwommenes Licht. Beim Anlegen an der Insel Ufenau reflektiert der See die allerletzten Sonnenstrahlen. Das Wasser wirkt wie poliertes Metall. Ich bemerke, wie mich eine innere Unruhe begleitet, ein durchaus gutes Gefühl – ein Gefühl, wie wenn man weiss, es kommt etwas Unbekanntes, Spannendes, aber sicher Schönes auf einen zu.

Kirche auf der Ufenau, der Insel der Stille (Kirche auf der Ufenau, der Insel der Stille (Foto: Inka Ehrbar)

Insel Ufenau: „Zurück zu den Wurzeln.“

So in Gedanken versunken geht es an Weinstöcken vorbei, der kleinen Kirche entgegen, wie in einer Prozession, Kinder, alte und junge Leute vor und hinter mir. Als ich das Gotteshaus betrete, ist es schon fast gefüllt. Eine Frau drückt mir eine Kerze in die Hand. Nachdem ich einen Platz an der Mauer direkt hinter der Eingangstüre gefunden habe, schweift mein Blick umher. Bald beginnen Musikinstrumente zu klingen. Der Pfarrer entzündet seine Kerze am Altarlicht und reicht sie weiter. So werden von einem zum anderen alle Lichter entzündet, die Kirche erstrahlt in einem märchenhaften Glanz. Wir halten Andacht und singen an diesem kraftvollen Ort.

Als wir die Kirche verlassen, ist es dunkel geworden. Die Menschen, die keinen Platz im Gotteshaus gefunden haben, empfangen uns mit brennenden Kerzen und nehmen uns in dem grossen Kreis auf, den sie vor der Kirche gebildet haben. Alle zusammen – egal welcher Konfession – bilden eine grosse Gemeinschaft. Ein sehr berührender Anblick für mich.

Anschliessend verlassen wir die Insel und die älteste Kirche dieser Region.

Pfäffikon, Schlosskapelle: „Der nächste Schritt“

Neben Gebet und Andacht erfahren wir viel über unsere Füsse. Wie selbstverständlich sie uns sind, so dass wir sie oft gar nicht wahrnehmen. Der Gemeindeleiter fordert uns auf, doch heute Nacht einmal auf sie zu horchen und sie zu fühlen.

Weiter geht es. Ich freue mich auf das Unterwegssein und gehe mit den ersten Leuten los. Vorbei an Geschäften, durch eine Wohnsiedlung, doch dann verfehlen wir den richtigen Weg. Wir müssen zurückgehen, einen Umweg machen, bevor wir die nächste Station erreichen. Mir kommt das Bild „Umwege“ von Klee in den Sinn. Es ist gerade wegen der vielen Um-Wege besonders schön.

Mit Felice auf einer musikalischen Weltreise (Mit Felice auf einer musikalischen Weltreise (Foto: Inka Ehrbar)

Pfäffikon, Gemeindehaus der Reformierten: „Weltmusik“

Hier erwartet uns Musik aus fernen Ländern.  

Felice, ein Künstler, oder besser gesagt, ein Musik-Zauberer, zieht uns mit Trommel, Didjeridoo, Flöten, Holzkisten, Regenstäben und klingenden Fröschen in seinen Bann. Während er uns auf eine musikalische Weltreise mitnimmt, Instrumente erklärt und spielt, ist es mucks-mäuschen-still. Als er die Zuhörer bittet, ein Instrument zu nehmen und es auch einmal zu versuchen, springen zuerst die Kinder, gefolgt von Erwachsenen. Nach wenigen Minuten erklingt das improvisierte Konzert. Es ist unglaublich! Ob das nun am Magier Felice oder am Zauber dieses Abends liegt, vermag ich nicht zu beurteilen. Hier gibt es auch ein Nachtmahl, bestehend aus Pasta und indischen Köstlichkeiten.

Feusisberg: „Auf dem Berg ankommen“

Zunächst führt uns eine kleine Strasse zum Dorf hinaus – stetig bergauf, gut 300 Höhenmeter gilt es zu überwinden.

Wir müssen uns entscheiden: entweder links weiter der Strasse entlang, oder rechts in den Wald hinein. Meine Begleiterin entscheidet sich für die Strasse, ich ziehe den Waldweg vor. Mit der Gewissheit, uns später wieder zu sehen, geht jede ihren Weg weiter.  Es ist stockdunkel, doch mit der Zeit gewöhnen sich meine Augen an das Dunkel. Ich erkenne die Stufen und weit vor mir sehe ich das Licht einer Taschenlampe. Es beruhigt mich, so weiss ich, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Ich denke an meine Füsse. Wie fühlen sie sich an? Wie gut die Füsse laufen können, wie gut sie mich tragen, stelle ich dankbar fest.

Doch das Schönste ist für mich das Alleinsein. Allein unter vielen Menschen, die ich sehen, hören, mit allen Sinnen wahrnehmen kann, oder auch gar nicht bemerke – alles zu seiner Zeit.

Inzwischen habe ich wieder die Strasse und mit ihr die Gefährten der Nacht erreicht. Ich schaue hinauf in den Himmel. Durch dunkle Äste sehe ich Sterne zwischen den Wolken leuchten. Bald erreichen wir die ersten Häuser von Feusisberg. Hier bin ich Zuhause. Es ist viertel nach Zwölf in der Nacht, als ich den Kirchenvorplatz erreiche. Vertraute Gesichter, Menschen, die mir mit den Worten: „Dich kenne ich doch“, und mit ausgestreckter Hand entgegen treten. Sie bieten mir warme Getränke und Brot an.

Ein wunderbarer Gesang dringt aus der Kirche und in meine Ohren und in mein Herz.

Schindellegi: „Getanztes Gebet“

Der Weg führt uns weiter bergauf. Wir haben eine phantastische Sicht auf den Zürichsee. Unten am See sind die Lichter weniger geworden. Ein Zug schiebt sich wie eine Spielzeugeisenbahn über winzige silbrig glänzende Schienen in Richtung Zürich.

Als wir das Tor öffnen, kommt uns Wärme und ein heller Schein aus dem Inneren der Kirche entgegen. Vor dem Altar ist der Teppich weg gerollt, stattdessen steht eine südamerikanische Tonfigur in der Mitte. Sie besteht aus Menschen, die sich zu einem Kreis zusammen gefunden haben und tanzen. In der Mitte brennt eine Kerze, und aussen herum liegt Weinlaub in den schönsten Herbstfarben.

Der Pfarrer fordert uns auf mit dem Spruch: „Mensch lerne tanzen, sonst wissen die Engel im Himmel nichts mit dir anzufangen!“

Fast alle Kirchenbesucher folgen dem Aufruf. Eine Frau bittet uns (trotz fortgeschrittener Stunde etwa 100 Anwesende), zwei Kreise um die Tonfigur zu bilden und ihren Anweisungen zu folgen. Nach kurzer Zeit bewegen sich alle beschwingt im Kreis. Sich abwechselnd an den Händen haltend und um die Schultern fassend, folgen wir den Texten und wiegen wir uns mit der Musik. Bis zur Zeit des Aufbruchs ist die Müdigkeit wie weggetanzt.

Wollerau, Katholische Kirche: „Eine kleine Nachtmusik“

Jetzt heisst es wieder den Berg hinunter gehen. Die Leute sind sich näher gekommen und unterhalten sich angeregt. Es ist ein prickelndes Gefühl, so spät in der Nacht zu Fuss unterwegs zu sein. In der Kirche werden wir mit Mozarts „Kleiner Nachtmusik“ empfangen.

Beschwingt geht es weiter zur nächsten Station.

Wollerau/Wilen, Reformierte Kirche: „Unsere Traum-Kirche“

In der kleinen Kirche werden wir von jungen Leuten begrüsst. Sie wirken völlig frisch, während ich langsam mit der Müdigkeit zu kämpfen habe. Sie stehen auf der Empore, und jeder, der Lust hat, bekommt per Flaschenzug einen Hot Dog und ein warmes Getränk gereicht. Die jungen Leute zeigen uns zwei Filmausschnitte. Das Thema ist die Liebe – Liebe über alle Grenzen hinweg. Ich freue mich über die Gedanken der Jungen, schliesslich sind sie unsere Zukunft.

Wilen: Freie Evangelische Gemeinde, Kapellhof: „Gemeinsam unterwegs“

Es ist nun schon halb vier Uhr in der Früh. Wir sind immer noch etwa 50 Personen, die gemeinsam unterwegs sind. Die Gemeindeleiter bitten um ein Podiumsgespräch. Wie geht es uns? Wie empfinden wir die gemeinsame Nacht? Eine Frau erzählt, wie gut sie sich fühlt, wollte sie doch zuerst gar nicht mitgehen, jetzt fühlt sie sich reich beschenkt.

Noch zwei Stationen bis zum Ziel. Es geht den Hügel hinunter auf dem von Rebstöcken gesäumten Weg. Es ist still geworden. Nur hier und da das Gebell eines aus dem Schlaf geweckten Hundes. Schliesslich erreichen wir die weiss gestrichene Kirche.

Kirche Freienbach: „Schall und Rauch“

Beim Betreten der Kirche kommt mir Weihrauchduft entgegen. Ich suche mir einen Platz in den ersten Reihen. Meine Augenlider sind schwer. In Abständen höre ich die Worte, ein bisschen, wie wenn man im Zug in Halbschlaf versinkt und die Unterhaltung der anderen Reisenden nur bruchstückweise vernimmt.

Nun zur letzten Etappe. Der Wind ist kalt. Ich ziehe meine Kapuze auf. Im Osten wird es allmählich hell und im Dorf werden die Marktstände aufgebaut. Die Menschen erwachen.

Unser Ziel: Pfäffikon, „Happy Hour“ 

Die Müdigkeit ist fast wieder vorbei. Es ist ein grossartiges Gefühl, die Nacht singend, tanzend, laufend, nachdenkend, schweigend und gemeinsam mit so vielen Menschen verbracht zu haben. Wir sind noch etwa 50 Personen in dieser schönen hellen Kirche. Wir singen und beten ein letztes Mal zusammen, bevor es zum gemeinsamen Morgenessen geht.

Für mich war die Nacht der Kirchen eine ganz tiefe, besondere Erfahrung.

Ich hoffe, dass in baldiger Zukunft nicht nur ein Treffen zwischen Christen verschiedener Konfessionen möglich ist, sondern ein friedliches Zusammensein aller Religionen näher rückt und wir alle ein offenes Ohr und Herz haben, um die Lebensweise und Kultur anderer verstehen zu lernen. Nacht der Kirchen am Zürichsee/Schweiz vom 20. zum 21. Oktober 2006  

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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