US-Soldat ermordet Deutschen: Freispruch

Wie kommt es, dass die deutschen Behörden in einem Mordfall nicht weiter ermitteln? Ein NATO-Abkommen spielt eine Rolle, die Nationalität des mutmaßlichen Mörders eine andere. Familie und Freunde des Opfers demonstrieren.
Titelbild
Die Spangdahlem Air Base. Hier war der mutmaßliche Täter stationiert.Foto: Lukas Schulze/Getty Images
Von 26. November 2024

Am 19. August 2023 wird im rheinland-pfälzischen Wittlich ein Deutscher erstochen. Tatverdächtig: zwei US-Soldaten vom nahe gelegenen Fliegerstützpunkt „Spangdahlem Air Base“. Sie werden von der Polizei verhaftet, aber umgehend der US-Militärpolizei überstellt. Ein Jahr später stellt sich heraus: Einer der Soldaten hatte die Tat gestanden, wurde aber vor dem US-Tribunal freigesprochen. Warum?

Der Haupttäter hatte bereits im ersten Verhör gegenüber der deutschen Polizei ein Geständnis abgelegt. Obwohl sich die Tat auf deutschem Boden und in der Freizeit des US-Soldaten ereignet hatte, wurde er vor ein amerikanisches Militärgericht gestellt. Möglich macht dies das sogenannte NATO-Truppenstatut. Nach diesem Abkommen dürfen die USA ihr Militärpersonal selbst strafrechtlich verfolgen.

Ein Prozess vor einem deutschen Gericht ist untersagt. Der Fall sei aus deutscher Sicht damit „abgeschlossen“, gab Polizeisprecher Marc Fleischmann damals zwei Tage nach der Tat bekannt.

Opferfamilie will Ende des NATO-Statuts

Für die Angehörigen und Freunde des Opfers ist hingegen nichts abgeschlossen. Sie begannen im Oktober, nach dem Bekanntwerden des Skandalurteils, mit Demonstrationen vor dem US-Luftwaffenstützpunkt und forderten Konsequenzen. So auch wieder am 24. November, mit rund 800 Teilnehmern. Die Polizei war im Großeinsatz und schützte mit einer Polizeikette den Zugang zur Kaserne.

Wie der „Südwestrundfunk“ (SWR) berichtete, sei das Geständnis des Angeklagten gegenüber der deutschen Polizei nicht berücksichtigt worden. Die Opferfamilie strebt nun an, das „System“ zu ändern – also das NATO-Truppenstatut.

Justizministerium in Mainz „prüft“

Das Mainzer Justizministerium teilte am 19. November umständlich mit, es werde das „konkrete Verfahren zum Anlass nehmen, etwaigen Handlungsbedarf im Hinblick auf die Durchführung des NATO-Truppenstatuts und des Zusatzabkommens zu prüfen“. In einem Zusatzabkommen vom 3. August 1959 hatte die Bundesrepublik Deutschland darauf verzichtet, Straftaten von US-Soldaten auf deutschem Boden selbst juristisch zu verfolgen.

Dieser vor 65 Jahren unterzeichnete Verzicht könne jedoch „innerhalb von drei Wochen zurückgenommen werden, wenn im Einzelfall wesentliche Belange der deutschen Rechtspflege die Ausübung der deutschen Gerichtsbarkeit erfordern“, gab das Justizministerium in Mainz bekannt. Dieser „Einzelfall“ scheint im vorliegenden Mordfall für die rheinland-pfälzische Landesregierung jedoch nicht vorzuliegen.

Das NATO-Truppenstatut

Seit 1951 gibt es das sogenannte NATO-Truppenstatut, das von allen Bündnisstaaten bei ihrem Beitritt unterzeichnet wurde. In diesem Vertrag, der kleinteilig zahlreiche Angelegenheiten regelt, geht es auch um die Gerichtshoheit über ausländische Soldaten in den jeweiligen NATO-Ländern.

1959 wurde auf 120 Seiten der besagte Zusatzvertrag geschlossen, 1993 wurde das NATO-Truppenstatut um ein weiteres Abkommen ergänzt, um es nach der deutschen Einheit an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Zunächst waren Berlin sowie das Gebiet der ehemaligen DDR von diesem Abkommen gänzlich ausgenommen.

Entgegen Art. 5 Abs. 3 des deutschen Einigungsvertrages (Zwei-plus-Vier-Vertrag) von 1990, der damals vorsah, dass ausländische Streitkräfte und Atomwaffen oder deren Träger im innerdeutschen Beitrittsgebiet weder stationiert noch dorthin verlegt werden dürfen, räumte die Bundesregierung 1993 den damals „sechs ständigen Nato-Stationierungsstreitkräften vorübergehende Aufenthalte in den neuen Bundesländern“ und damit auch die Rechte des NATO-Truppenstatuts ein.

Bislang blieb diese Vertragserweiterung jedoch bedeutungslos, da sich fünf NATO-Staaten – Kanada, Belgien, Großbritannien, Niederlande und Frankreich – aus Deutschland nahezu gänzlich zurückgezogen haben und die verbliebenen 35.000 US-Soldaten in den westlichen Bundesländern Rheinland-Pfalz, Bayern, Baden-Württemberg und Hessen stationiert sind.

Hat deutsche Justiz Möglichkeiten nicht genutzt?

Unabhängig von dem NATO-Vertrag bleibt nicht nachvollziehbar, warum die deutsche Polizei ihre Ermittlungen im Wittlicher Mordfall gänzlich eingestellt hat. Denn das Truppenstatut bietet durchaus die Möglichkeit, gemeinsame deutsch-amerikanische Untersuchungen durchzuführen. Laut Paragraf 22 des Zusatzabkommens hätten die deutschen Behörden auch weiterhin Zugang zu den zunächst zwei Inhaftierten verlangen können.

Der SWR zitiert dazu Mohamad El-Ghazi, Experte für internationales Strafrecht an der Uni Trier. Dieser meint, dass die Amerikaner auf ihre deutschen Kollegen sogar angewiesen seien. Denn grundsätzlich hätten die US-Militärbehörden außerhalb ihrer Militärstützpunkte keine Befugnisse für Zwangsmaßnahmen.

Im Auftrag der Ehre

Die Militärgerichte bestehen aus einer Jury mit einem Richter („Euer Ehren“). Der Richter ist Volljurist, die acht Geschworenen werden aus den Rängen von Offizieren benannt. Die Verteidiger des Angeklagten sind ebenfalls ausgebildete Juristen. Alle Militärjuristen sind gleichzeitig Soldaten und tragen entsprechend ihrer Position hohe Dienstgrade.

Viele Zuschauer in Deutschland dürften mit US-Militärgerichten vertraut sein, sofern sie die US-TV-Serie „JAG – Im Auftrag der Ehre“ gesehen haben. Die zwischen 1995 und 2005 gedrehten Episoden schildern 227 fiktive Fälle eines JAG – eines Judge Advocate General der US Navy.

Deutsche Soldaten im Ausland

Wie sieht es mit der Straffälligkeit deutscher Soldaten im Ausland aus? In den USA und Kanada sind etwa 350 deutsche Soldaten stationiert. Über sie sind keine vergleichbaren Fälle bekannt. Der rechtliche Status der Bundeswehr für den jeweiligen Auslandseinsatz wurde laut Angaben des Auswärtigen Amtes bisher in Verträgen „mit dem jeweiligen Aufenthaltsstaat näher bestimmt“.

Im Falle von UN-Auslandseinsätzen der Bundeswehr wird der rechtliche Status der deutschen Soldaten hingegen durch Abkommen zwischen der UNO und dem jeweiligen Aufenthaltsstaat geregelt.

Andere Länder, andere Sitten

Nicht in allen der 160 Länder, in denen nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums und dessen Defense Manpower Data Center rund 170.000 US-Militärangehörige stationiert sind, genießen die US-Streitkräfte die gleichen Freiheiten wie in Deutschland.

Dies wurde letztes Jahr in Südkorea – einem engen Militärpartner der USA – zufällig offenkundig. Dort saß ein US-Gefreiter nach einer Straftat 50 Tage in einem südkoreanischen Gefängnis. Danach lief er nach Nordkorea über, weil ihm außerdem militärische Disziplinarmaßnahmen drohten.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion