Thomas Haldenwang und die Transformation des Verfassungsschutzes
Gesundheitliche Gründe sollen für seinen Rückzug ausschlaggebend sein. Laut „Bild“ habe Haldenwang zwei Herzinfarkte erlitten. Der 64-Jährige gilt als „AfD-Jäger“, so habe er die Partei in zahlreichen Analysen als rechtsextremistisch und gefährlich eingestuft.
Wie kam Thomas Haldenwang in seine derzeitige Position? Kurz nach der Wiedervereinigung wurde der gebürtige Wuppertaler im Bundesinnenministerium eingesetzt, um über ein Jahrzehnt hinweg mitzuhelfen, in den neuen Bundesländern demokratische Institutionen aufzubauen, wie eine Online-Enzyklopädie berichtet. 2009 wechselte Haldenwang zum Bundesverfassungsschutz (BfV) und war ab Mitte 2013 Vizepräsident unter Hans-Georg Maaßen, den er nach dessen Rausschmiss im November 2018 ablöste.
Haldenwang arbeitete als Leiter der Bundesoberbehörde unter Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), der bei Haldenwangs Antritt selbst erst wenige Monate im Amt war. Seit Ende 2021 ist Nancy Faeser (SPD) Ministerin.
Bei der Ernennung von Haldenwang erklärte Seehofer, er sei überzeugt, „dass das BfV mit Herrn Haldenwang an der Spitze seine für die Sicherheit der Bürger wichtige Tätigkeit erfolgreich fortsetzen wird“. Haldenwang sei ein „ausgewiesener Fachmann und genau der Richtige für diese Aufgabe“. Seehofer betonte 2018 zudem, er habe seine Entscheidung für Haldenwang „mit allen Partnern in der Koalition einvernehmlich“ getroffen.
Zu Beginn nur gute Beurteilungen
Die „Zeit“ zitierte damals Regierungskreise, wonach Haldenwang als „unaufgeregt, bescheiden und ideologisch unverdächtig“ gelte.
In den Amtswechsel hinein fällt das Anliegen Seehofers, eine „bitter notwendige“ Novellierung des Bundesverfassungsschutzgesetzes durchzuführen, um das Bundesamt insbesondere im digitalen Bereich zu stärken.
Die Amtszeit von Thomas Haldenwang steht im Zeichen einer grundlegenden Reform und Neuausrichtung des Verfassungsschutzes, insbesondere mit einem Fokus auf eine Bedrohung durch den Rechtsextremismus und die Priorisierung des Schutzes demokratischer Werte. Unter Haldenwang erfolgte relativ rasch eine Einstufung der Alternative für Deutschland (AfD) zunächst als Prüffall. Später wurden Teile der Partei als Verdachtsfall eingestuft, darunter der radikale „Flügel“ um Björn Höcke sowie die „Junge Alternative“ (JA).
Das Verwaltungsgericht Köln kassierte diese Einstufung zunächst mit Beschluss vom 26. Februar 2019 und untersagte dem Bundesamt für Verfassungsschutz, die AfD als „Prüffall“ zu bezeichnen (Beschluss vom 26.02.2019, Az.: 13 L 202/19).
Das Grauen von Halle und Hanau als Taktgeber
Unter dem neuen Präsidenten wurden die Ressourcen gegen Rechtsextremismus erweitert. Nach den Anschlägen von Halle (2019) und Hanau (2020), stockte Haldenwang die personellen und finanziellen Mittel zur Bekämpfung des Rechtsextremismus im BfV auf.
Analog zu verschiedenen Äußerungen von Nancy Faeser betonte Thomas Haldenwang nach 2021 mehrfach, dass der Rechtsextremismus die größte Bedrohung für die innere Sicherheit sei. So zeigen auch die entsprechenden Verfassungsschutzberichte einen verstärkten Fokus auf rechtsextreme Gruppen und subversive Bewegungen. Dabei wurde die Zahl der gewaltorientierten Rechtsextremisten kontinuierlich hervorgehoben und die Verfassungsschutzarbeit stärker öffentlich kommuniziert.
So heißt es etwa im Vorwort des Verfassungsschutzberichts 2019 von Minister Seehofer, er habe als Reaktion auf die schrecklichen Bluttaten „zahlreiche personelle und organisatorische Maßnahmen (…) zur Bekämpfung von Rechtsextremismus veranlasst.“
Neue Bedrohungen durch fremde Geheimdienste
Eine strategische Neuausrichtung unter Haldenwang wurde bereits mit dem Verfassungsschutzbericht 2021 erkennbar. Bei verschiedenen öffentlichen Erklärungen des BfV betonte Haldenwang, wie wichtig es sei, sich auf hybride Angriffsformen und neue Bedrohungen durch fremde Geheimdienste einzustellen. Mit Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine warnte Haldenwang vor allem vor einer zunehmenden Einflussnahme der Geheimdienste Russlands und Chinas.
Der BfV setzte dabei auf einen Mix aus technologischen Mitteln und verstärkter internationaler Zusammenarbeit. Haldenwang setzte sich auch für eine engere Kooperation mit Cybersicherheitsbehörden ein: Die Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und anderen Sicherheitsbehörden sollte es ermöglichen, gezielter gegen Desinformation und Cyberangriffe vorzugehen.
Im Juni 2023 erklärte der Präsident des BfV bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes für das Jahr 2022: „Bereits vor dem aktuellen Konflikt hat das BfV immer wieder, auch öffentlich, vor nachrichtendienstlichen Operationen Russlands gewarnt. Wegen dieser Gefährdungslage hatten wir auch in der Vergangenheit unsere Cyber- und Spionageabwehr personell und organisatorisch deutlich gestärkt.“
Damals erneuerte Haldenwang einmal mehr seine Warnung vor dem Rechtsextremismus: „Der Rechtsextremismus bleibt dabei die größte Bedrohung für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung und auch die Sicherheit.“
Die Delegitimierung des Staates
Von besonderer Relevanz und Bedeutung für die bisherige Amtszeit von Thomas Haldenwang an der Spitze der Behörde ist auch ein neuer Umgang mit sogenannten „Verschwörungstheorien“ und einer behaupteten „Delegitimierung des Staates“. Die während der Corona-Pandemie populär gewordene Querdenken-Bewegung soll aus Sicht des Verfassungsschutzes und der Sicherheitsbehörden teilweise extremistische und staatsfeindliche Züge getragen haben.
Unter Haldenwang wurde schließlich die Kategorie einer „Delegitimierung des Staates“ eingeführt, um gegen Gruppierungen vorzugehen, die aus Sicht der Verfassungsschützer das Vertrauen in staatliche Institutionen untergraben. Haldenwang begründete sein Vorgehen unter anderem mit dem Auftrag seiner Behörde, vorbeugend zu agieren:
„Es ist der gesetzliche Auftrag des Bundesamtes für Verfassungsschutz, genau dort hinzusehen, wo (…) aus Skepsis gegenüber dem Verfassungsstaat seine Bekämpfung wird.“
Die Kritik an den Corona-Maßnahmen habe, so Haldenwang, „in einzelnen Fällen auch als Vorwand und Hebel [gedient], um die demokratische und rechtsstaatliche Ordnung als solche zu bekämpfen.“
Reichsbürger und Selbstverwalter
Insbesondere der Abwehr von verfassungsfeindlichen Bestrebungen von sogenannten „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“ hat Thomas Haldenwang eine hohe Priorität eingeräumt. Er rückte sie stärker in den Fokus und ließ Verdächtige noch intensiver beobachten.
Explizit schaute Haldenwang dabei auf Beamte, die mutmaßlich solchen Bestrebungen anhängen könnten:
„Ich wiederhole ganz deutlich: Für Rechtsextremisten, „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ ist kein Platz im öffentlichen Dienst. Wir werden alles daran setzen, um entsprechende Personen zu entdecken und zu entfernen.“
Aus diesem Anlass führte Haldenwang 2021 einen Lagebericht „Rechtsextremisten, ,Reichsbürger‘ und ,Selbstverwalter‘ in Sicherheitsbehörden“ ein. Weiter kündigte der Präsident an, dass sein Bundesamt mit einer eigens eingerichteten Zentralstelle „Rechtsextremisten im öffentlichen Dienst“ eine koordinierende Rolle einnehmen werde.
Im Zusammenhang mit diesen Bedrohungen wurden die Befugnisse des Verfassungsschutzes ausgeweitet, etwa zur Telefonüberwachung und verdeckten Datenermittlung in extremistischen Netzwerken.
Extremistische Rückkehrer aus Kriegsgebieten
Auch wenn der islamistische Terrorismus weiterhin eine Bedrohung darstellte, verlagerte Haldenwang den Schwerpunkt des BfV stärker auf den Rechtsextremismus und den hybriden Terrorismus.
Das bedeutete aber nicht, dass der islamistische Terrorismus von Haldenwang nicht mehr als Bedrohung empfunden wurde. So verschärfte das Bundesamt die Beobachtung von Rückkehrern aus Kriegsgebieten. Insbesondere seit dem Überfall der Hamas auf Israel bekommt diese Bedrohungslage auch mit Blick auf eine große Zahl von Zuwanderern aus den Regionen eine neue Bedeutung für das Bundesamt.
„Das Risiko dschihadistischer Anschläge ist so hoch wie seit langem nicht mehr“, sagte der Präsident des BfV gegenüber der „Deutschen Presse-Agentur“ in Berlin. Die Sicherheitsbehörden bearbeiten nach seinen Worten vermehrt entsprechende Hinweise.
Auch intern steht Haldenwang für eine Reihe von Veränderungen, was die organisatorische und personelle Modernisierung der Bundesoberbehörde angeht. So setze Haldenwang auf eine intensivere Öffentlichkeits- bzw. Pressearbeit, er gab häufig Interviews, um die Aufgaben des BfV transparenter zu kommunizieren und das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen.
Mitarbeiterzuwachs um rund 38 Prozent
Der BfV unter Haldenwang investierte zudem massiv in neue Technologien, um sowohl in der Cyberabwehr als auch in der Erfassung und Analyse extremistischer Inhalte in sozialen Medien mithalten zu können. Die Anzahl der Mitarbeiter wurde unter Haldenwangs Führung deutlich erhöht angestellt: Im Jahr 2023 waren im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) 4.414 Personen beschäftigt. Damit wuchs die Anzahl der Bediensteten im BfV innerhalb der vergangenen sechs Jahre um rund 38 Prozent.
Was die Zusammenarbeit auf internationaler und europäischer Ebene betrifft, steht Haldenwang für einen verstärkten Austausch mit europäischen und internationalen Geheimdiensten insbesondere in den Bereichen Terrorismusbekämpfung, hybride Kriegsführung und Abwehr staatlicher Einflussnahme. Haldenwang betonte auch, dass das BfV unter seiner Führung seine Rolle in der EU stärken werde.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Verfassungsschutz unter Haldenwang eine grundlegende Transformation durchgemacht hat. Die Fokussierung auf rechtsextremistische Bedrohungen und hybride Kriegsführung, die Modernisierung durch digitale Technologien und die verstärkte Kooperation auf europäischer Ebene kennzeichnen seine Amtszeit. Der Verfassungsschutz unter Haldenwang gilt heute als moderner und stärker gegen aktuelle Bedrohungen aufgestellt, steht jedoch weiterhin in der Diskussion, ob seine Maßnahmen das richtige Gleichgewicht zwischen Freiheit und Sicherheit finden.
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