„Soli“ rückwirkend unwirksam? Bundeshaushalt könnte 66-Milliarden-Euro-Eklat bevorstehen
Die Bundesregierung muss sich in den kommenden Wochen auf besonders heikle Momente einstellen.
Am 5. November könnten die US-Amerikaner mit der Wahl von Donald Trump zu ihrem nächsten Präsidenten das politische Deutschland vor neue Herausforderungen stellen.
Ob die Bereinigungssitzung im Haushaltsausschuss des Bundestags am 14. November einen Etatplan 2025 zutage fördern wird, mit dem das gesamte Kabinett wird leben können, ist ungewiss – auch, weil die aktuelle Steuerschätzung vom 24. Oktober und die andauernde Wirtschaftsschwäche die Lage nicht wirklich leichter macht, wie auch das Bundesfinanzministerium einräumte.
Womöglich aber stellt auch die finale Abstimmung über Lindners Haushaltszahlenwerk im Bundestag am 29. November die Koalition vor eine Zerreißprobe, der sie dieses Mal womöglich nicht mehr standhalten würde.
Mündliche Verhandlung über „Soli“ am 12. November
Doch selbst wenn in der Ampel die Lichter noch den ganzen November leuchten sollten, könnte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) das mühsam verhandelte, rot-grün-gelbe Haushaltsgesetz (PDF) wenig später noch zum Einsturz bringen – und mit ihm das gesamte Koalitionskonstrukt.
Denn im Raum steht der „Welt“ zufolge eine zusätzliche Rückzahlungsverpflichtung von bis zu 66 Milliarden Euro, die der Bund seit 2020 aus dem Solidaritätszuschlag kassiert hatte. Sofern das BVerfG entsprechend urteilen sollte, müsste die Bundesregierung diese Einnahmen an Unternehmen und Gutverdiener zurückerstatten.
Hintergrund ist die jahrelang diskutierte Frage, ob die einst für den Wiederaufbau der ehemaligen DDR eingeführte Ergänzungsabgabe seit 2020 überhaupt noch rechtmäßig erhoben werden durfte. Eine Antwort darauf zu finden, ist ab dem 12. November die Pflicht der Karlsruher Richter. Dann beginnt vor dem Zweiten Senat unter dem Vorsitz von Verfassungsrichterin Prof. Doris König die lange erwartete mündliche Verhandlung (Az: 2 BvR 1505/20, Sitzungsgliederung: PDF).
FDP: Vom Beschwerdeführer zur Regierungspartei
An jenem Dienstag obliegt es nach Informationen der „Welt“ ausgerechnet dem FDP-Fraktionsvorsitzenden Christian Dürr, Argumente für die Abschaffung des „Soli“ vorzutragen. Laut BVerfG sind er und seine Mitstreiter der Meinung, „dass die Weitererhebung des ursprünglich mit den Kosten der Wiedervereinigung begründeten Solidaritätszuschlags mit Auslaufen des sogenannten Solidarpakts II am 31. Dezember 2019 verfassungswidrig geworden sei“. Außerdem sähen die Kläger das Recht auf Gleichbehandlung verletzt, weil durch das Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 (PDF) seit Jahresbeginn 2021 neben Unternehmen nur noch Bürger ab einem bestimmten Einkommensniveau per Soli zur Kasse gebeten würden.
Dürr hatte die entsprechende Verfassungsbeschwerde (PDF) zusammen mit einer Handvoll weiterer Liberaler im August 2020 eingereicht. Damals stand die FDP noch in Opposition zur schwarz-roten Merkelregierung, musste sich um Verantwortung für den Haushalt keine Sorgen machen.
Doch trotz der aktuellen Finanzmisere sind die FDP-Beschwerdeführer, Bundesfinanzminister Christian Lindner und Dürr selbst noch immer davon überzeugt, dass der Soli endlich komplett weg muss: „Es gibt keine Rechtfertigung mehr für diese Sonderabgabe“, erklärte Dürr nach Angaben der „Welt“. „Es ist gut, dass das Bundesverfassungsgericht jetzt darüber entscheidet. Ein Urteil bringt Klarheit in die deutsche Politik“.
Bundesfinanzhof und Wirtschaftsexperten halten Soli für verfassungsgemäß
Im Namen der Regierung werden nach „Welt“-Informationen die
Steuerstaatssekretärin Luise Hölscher (CDU) und der Würzburger Verfassungsexperte Prof. Kyrill-Alexander Schwarz auftreten, um den Soli wenigstens in Teilen zu retten.
Um deren Standpunkt zu untermauern, hatte das Bundesfinanzministerium laut „Welt“ eigens eine Expertise (PDF) erstellen lassen: Die Fachleute vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin waren darin übereingekommen, dass auf Bundesebene noch immer „einigungsbedingte überproportionale Belastungen“ existierten – und zwar jedes Jahr in einer Höhe von gut 13 Milliarden Euro. Der Soli sei demzufolge nicht zu beanstanden.
Auch der Bundesfinanzhof in München hatte als höchstes deutsches Finanzgericht bereits im Januar 2023 entschieden, dass für die deutsche Wiedervereinigung nach wie vor ein erhöhter Finanzbedarf bestehe (Az: IX R 15/20).
Finales Urteil noch in diesem Jahr?
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird nach Informationen der „Welt“ aus Regierungskreisen „frühestens kurz vor Weihnachten“ erwartet.
Sollte das BVerfG den Beschwerdeführern folgen und den Soli beerdigen, würden dem Bund weitere rund 12 Milliarden jährlich an Einnahmen wegbrechen. Geld, das auch im kommenden Haushalt 2025 von Finanzminister Lindner eingeplant wurde.
Vor rund elf Monaten hatte ein Entscheid aus Karlsruhe den Koalitionären im Bund schon einmal das Leben schwer gemacht: Am 15. November 2023 erklärte die höchste Instanz der deutschen Judikative das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 für verfassungswidrig. Geklagt hatte damals die Unionsfraktion im Bundestag (Az: 2 BvF 1/22).
Das BVerfG hatte bemängelt, dass die Haushaltsplaner nicht verbrauchte Kredite in Höhe von 60 Milliarden Euro aus dem Corona-Sonderfonds nachträglich in den Klimatopf verschoben hatten. Schon damals forderte nicht nur die Union, sondern auch Thomas Berbner, der Leiter der NDR-Fernsehredaktion, das Ende der Ampelregierung und Neuwahlen.
Doch darauf ließen sich Lindner, Wirtschaftsminister Habeck und Kanzler Scholz nicht ein. Gehen musste nur Werner Gatzer, der bis dahin als untadeliger Haushaltsstaatssekretär im Bundesfinanzministerium galt. Lindner verhängte damals zunächst eine Haushaltssperre und ordnete einen strikten Sparkurs in möglichst allen Ressorts an.
Es dauerte Wochen, bis die Regierungsspitzen sich auf neue Pläne einigen konnten, die den Verlust von 60 Milliarden Spielraum ausgleichen sollten. Insbesondere die Kürzung von Landwirtschaftssubventionen trieb die Bauern in Massen auf die Straße, bis die Story von angeblichen Deportationsplänen der AfD dem Elan der Treckerfahrer ein Ende setzte und Millionen Deutsche fortan „gegen rechts“ demonstrierten.
Speziell Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nutzte die Gunst der Stunde, um eine Grundgesetzänderung anzuregen: Nach ihren Vorstellungen sollten „die zentralen Regelungen zu Organisation und Verfahren des BVerfG“ so geändert werden, dass speziell die AfD im Fall eines Wahlerfolgs möglichst wenig Einfluss auf das Gericht haben sollte.
Die CDU aber brach die Beratungen mit Vertretern der Ampelkoalition im Februar 2024 unerwartet ab. Da ohne ihre Stimmen die nötige Zweidrittelmehrheit im Bundestag nicht erreicht werden konnte, liegt die Idee seitdem auf Eis.
BVerfG greift immer wieder korrigierend ein
Zuletzt hatte das BVerfG der Ampel Anfang Oktober einen Dämpfer verpasst: Einzelne Befugnisse aus dem Bundeskriminalamtgesetz (BKAG) seien verfassungswidrig, weil sie mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nicht vereinbar seien – beispielsweise die heimliche Überwachung von Kontaktpersonen. Das BKAG muss nun bis zum 31. Juli 2025 überarbeitet werden.
Im Kern pro Ampelregierung hatte das BVerfG dagegen im Sommer entschieden, als es die Wahlrechtsreform vom März 2023 für grundgesetzkonform erklärte. Lediglich die geplante Abschaffung der sogenannten „Grundmandatsklausel“ fand vor den Richtern keine Gnade. Der Beschluss stärkte die Ausgangslage für „kleine“ Parteien wie die Linke oder die CSU.
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