Mehr vom Gleichen nach Ampel-Aus: Scholz, Lindner und Habeck wollen weitermachen
Seit Mittwochabend, 6. November, ist Christian Lindner nicht mehr Bundesfinanzminister. Dass er es jedoch bald wieder sein könnte, darauf spekuliert nicht nur die FDP selbst. Auch die Union, die Umfragen zufolge am stärksten vom Ende der Ampel profitiert, will diese Option nicht ausschließen.
Sollte die FDP so stark werden, dass sie erneut für eine Regierungsbeteiligung infrage komme, will er diese Option nicht ausschließen, erklärte Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz jüngst vor Journalisten. Dies allerdings „liegt allein in der Hand der FDP und nicht in unserer“, fügte er hinzu.
FDP: „Lieber nicht mehr als weiterhin schlecht regieren?“
Die jüngsten Umfragen lassen bezüglich der Wirkung des Ampelendes auf die Wahlaussichten der FDP keine eindeutigen Schlüsse zu. Forsa und die Forschungsgruppe Wahlen sehen die Liberalen nach wie vor bei drei Prozent und deutlich nicht mehr im Bundestag. Demgegenüber meinen infratest dimap und Ipsos eine signifikante Aufwärtsbewegung wahrzunehmen: Sie sehen die Partei wieder bei drei Prozent.
Dass die FDP bezüglich des Spitzenkandidaten auf Kontinuität setzt, hat nicht nur damit zu tun, dass für eine Neuaufstellung wenig Zeit bleibt. Lindner kann auch nach der Entlassung durch Bundeskanzler Olaf Scholz inklusive 14-minütiger Wutrede ein Narrativ in den Wahlkampf mitnehmen. Er kann sich als der Politiker darstellen, der ohne Rücksicht auf das Schicksal seiner eigenen Person die Wirtschaftswende voranzutreiben gewagt habe.
Scholz und die Grünen hätten sich seinen Vorschlägen gegenüber hingegen kategorisch verschlossen und einen „kalkulierten Koalitionsbruch“ inszeniert. Aus dem „Lieber nicht mehr regieren als falsch“ kann Lindner nun ein „Lieber nicht mehr…“ machen und für sich beanspruchen, es „immerhin versucht“ zu haben.
Habeck plant, die „Merkel-Lücke“ auszufüllen
Bei den Grünen setzt man ebenfalls auf Kontinuität – zumindest zur Hälfte. Annalena Baerbock und Robert Habeck werden auch im Wahlkampf die Gesichter der Partei sein. Als Kanzlerkandidat versucht sich dieses Mal jedoch der Bundeswirtschaftsminister. Für die eigene Anhängerschaft ist er nach wie vor ein Mobilisierungsfaktor. Mit der FDP und Lindner hat Habeck zudem einen passenden Sündenbock für das Scheitern der Ampel.
Strategisch will Habeck zudem das schließen, was er als „Merkel-Lücke“ bezeichnet. Die Grünen sollen demnach ein urbanes, wohlhabendes, bürgerlich-liberales Milieu ansprechen, das die CDU unter der Altkanzlerin als wählbar betrachtete, Friedrich Merz jedoch als zu konservativ wahrnimmt.
Unklar ist, inwieweit ihm die eigene Partei dabei Unterstützung leisten wird. Wie der „Focus“ schreibt, droht Habeck Gegenwind aus Parteikreisen, denen die Politik der Grünen zuletzt nicht links genug war. Sollten sich diese am nächsten Wochenende bei der Bundesversammlung durchsetzen, drohen interne Querelen den Wahlkampf zu überschatten.
Scholz will nach dem Platzen der Ampel Zeit gewinnen
Bundeskanzler Olaf Scholz zeigt unterdessen zwar Gesprächsbereitschaft über eine mögliche Vorverlegung der Vertrauensfrage – aber nicht um jeden Preis. Es ist nicht damit zu rechnen, dass der Rumpfbundesregierung, die seit dem Ende der Ampel noch amtiert, politisch noch viel gelingen wird.
Für Scholz ist hingegen jeder weitere Tag zwischen Status quo und Vertrauensfrage ein gewonnener. Er weiß: Je früher die Bundestagswahl stattfindet, umso stärker wird die Union vom Platzen der Ampel profitieren. Je mehr Zeit vergeht, umso mehr Chancen hat der Kanzler, um CDU und CSU für Vorhaben in die Pflicht zu nehmen, für die er auf ihre Stimmen angewiesen ist. Verweigert sich die Union zu lange und zu beharrlich, könnte Scholz dies im Wahlkampf gegen sie verwenden.
Unterdessen entfalten Medien in Deutschland Druck auf die SPD, in Anbetracht des Scheiterns der Ampel auch einen Wechsel in der Position des Kanzlerkandidaten vorzunehmen. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius, so die Argumentation, habe die deutlich höheren Beliebtheitswerte und könnte unbelastet in den Wahlkampf gehen. Bei Forsa erklärten demnach 57 Prozent der befragten Deutschen, die SPD solle Pistorius als Kanzlerkandidaten nominieren. Nur 13 Prozent – und dabei auch nur 30 Prozent der SPD-Anhänger selbst – votierten für Scholz.
Keine Partei der Palastrevolten
Dass es tatsächlich in der SPD zu einem Wechsel des Kanzlerkandidaten in letzter Minute kommen wird, ist jedoch unwahrscheinlich. Das vorzeitige Aus für die Ampel macht einen solchen Schritt zudem de facto unmöglich. Ein Grund dafür ist, dass die SPD sich bereits im September auf Olaf Scholz als Kanzlerkandidat festgelegt hatte.
Gleichzeitig ist die SPD keine Partei, die für Palastrevolten bekannt ist – erst recht nicht in letzter Minute. Eine solche gab es 1995, als Oskar Lafontaine unangekündigt Rudolf Scharping zu einer Kampfkandidatur auf dem Bundesparteitag herausforderte.
Im Juni 2019 trat Andrea Nahles aus freien Stücken zurück, nachdem deutliche Wahlniederlagen für innerparteilichen Druck gesorgt hatten. In beiden Fällen lag der Termin der nächsten Bundestagswahl jedoch noch mindestens zwei Jahre entfernt.
Ein zeitliches Fenster für eine Kandidatur von Pistorius hätte es gegeben, hätte die Ampel weiterbestanden. In diesem Fall wäre mit einer solchen Debatte zu rechnen gewesen, wäre es zu einer Niederlage der SPD bei den für Anfang März geplanten Bürgerschaftswahlen in Hamburg gekommen – bei gleichzeitig deutlichen Zugewinnen für die CDU.
Dieses Szenario wäre wahrscheinlich gewesen: Die SPD startet mit 39 Prozent Stimmenanteil in den Wahlkampf, die Union erzielte 2020 hingegen mit 11,2 Prozent das zweitschlechteste Landtagswahlergebnis aller Zeiten. Nun aber finden die Hamburg-Wahl und die Bundestagswahl möglicherweise am selben Tag statt.
Warum die SPD nach dem Ampel-Aus nicht auf Pistorius zurückgreift
Inwieweit es der SPD tatsächlich Vorteile brächte, Scholz durch Pistorius zu ersetzen, ist unklar. Die insgesamt hohe Beliebtheit des Bundesverteidigungsministers hat weniger mit überwältigender Begeisterung unter Sozialdemokraten selbst zu tun.
Unter SPD-Anhängern würden nur 58 Prozent Pistorius gegenüber Scholz bevorzugen. Unter Anhängern der Grünen (66 Prozent), Union (70 Prozent) und FDP (71 Prozent) wären es deutlich mehr. Dies würde jedoch nicht automatisch bedeuten, dass diese im Fall eines Wechsels des Spitzenkandidaten auch die SPD anstelle ihrer ursprünglich präferierten Partei wählten.
Am meisten von Pistorius profitieren könnte das Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit (BSW). Dessen Forderung nach „Kriegstauglichkeit“ und konfrontative Außenpolitik wären für die Wagenknecht-Partei eine Chance, sich auch im Westen noch einmal mit dem Friedensthema in Szene zu setzen.
Hat Trumps Wahlsieg dem BSW das Hauptthema genommen?
Das BSW ist in der jüngsten Forsa-Umfrage um gleich zwei Punkte auf nur noch sechs Prozent abgestürzt. Hält der Trend an, muss die Partei um den Einzug in den Bundestag fürchten. Als mögliche Erklärung für den deutlichen Rückgang liegen die internen Querelen rund um die Regierungsbildungen in Sachsen und Thüringen nahe.
Allerdings könnte auch die weltpolitische Großwetterlage dem BSW schaden. Der Wahlsieg von Donald Trump in den USA könnte die Angst vor einem Übergreifen des Ukraine-Krieges nach Deutschland verringern. Trump hatte ein Ende des Krieges in Aussicht gestellt. Sollte ihm eine Lösung gelingen, würde die Wagenknecht-Partei ihr großes Mobilisierungsthema einbüßen.
Dazu kommt, dass es der Partei bislang nicht gelungen ist, über das Nein zu Waffen für die Ukraine und die Forderung nach Diplomatie hinaus zu klären, wofür das Bündnis sonst noch steht. Zuletzt hat das BSW bei der Bundestagsabstimmung zum Schutz jüdischen Lebens versucht, ideologisch begründete „Israel-Kritik“ als weiteres Alleinstellungsmerkmal herauszustreichen. Ob gerade dies sich als Wählermagnet erweisen wird, ist jedoch fraglich.
Jedes Scheitern einer der kleineren Parteien bringt Grüne dem erneuten Regieren näher
Sollte der FDP, BSW und Linkspartei bei den Neuwahlen der Einzug in den Bundestag nicht gelingen, würde dies die Wahrscheinlichkeit einer erneuten Regierungsbeteiligung der Grünen deutlich erhöhen. In diesem Fall könnten Union und Grüne zusammen mit einer deutlichen Mehrheit von fast 56 Prozent der Sitze im Parlament rechnen. Die Merz-Partei hätte damit eine klare Alternative zu einem Bündnis mit der SPD, das zusammen auf 63,7 Prozent der Sitze käme.
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion