EU-Kommission warnt vor „Desinformation“ gegen sich selbst und Milliardär George Soros
Seit dem Brexit-Votum im Juni 2016, spätestens aber seit der unerwarteten Niederlage der demokratischen Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton gegen Donald Trump bei den US-Wahlen im November desselben Jahres geht in Politik und Medien Europas und Nordamerikas ein Gespenst um: jenes der „Desinformation“, die bestimmte Akteure im In- und Ausland betreiben würden, um Wahlen zu beeinflussen.
Erst jüngst hat eine Studie der Northeastern University in Boston nachgewiesen, dass der reale Verbreitungsgrad nachweislicher Falschmeldungen über soziale Medien im US-Wahlkampf insgesamt sehr gering war und sich zu einem hohen Prozentsatz auf einen weithin gleichbleibenden Nutzerkreis beschränkte. Auch aus der Russischen Föderation in Auftrag gegebene Anzeigenkampagnen fanden hauptsächlich nach den Präsidentenwahlen statt, waren inhaltlich zum Teil widersprüchlich und wurden ebenfalls nur von einen beschränkten Nutzerkreis überhaupt wahrgenommen.
Dennoch hält die EU-Kommission insbesondere vor dem Hintergrund der bevorstehenden Europawahlen „Desinformationskampagnen“ für eine besonders ausgeprägte Gefahr. Deren Zweck sei es der Außenbeauftragten Federica Mogherini zufolge, „Hass, Spaltung und Misstrauen gegenüber der Demokratie [zu] schüren“.
Um dieser „Desinformation“ zu begegnen, hatte die EU bereits im Vorjahr einen „Aktionsplan“ auf den Weg gebracht. Darin war unter anderem die Rede von der „Einrichtung eines Schnellwarnsystems“ und einer „genauen Überwachung der Umsetzung des von den Online-Plattformen unterzeichneten Verhaltenskodex“. Im Vorfeld hatte Brüssel also bereits die sozialen Medien unter erheblichen politischen Druck gesetzt, um die freie Rede und die unternehmerische Tätigkeit auf diesen Plattformen nach ihren Vorgaben zu managen.
„Proaktive und objektive Kommunikation über die Werte und Politiken der Union“
Zudem gönnte man der „Task Force für strategische Kommunikation im Europäischen Auswärtigen Dienst“ (EAD) eine Aufstockung ihres Etats von 1,9 Mio. Euro im Jahr 2018 auf 5 Mio. Euro im Jahr 2019. Die EU-Delegationen in den Nachbarländern sollten zudem durch zusätzliches Fachpersonal und Instrumente zur Datenanalyse verstärkt werden.
Darüber hinaus hatte man ein spezielles Schnellwarnsystem zwischen den EU-Institutionen und den Mitgliedstaaten eingerichtet, um „den Datenaustausch und die Bewertung von Desinformationskampagnen zu erleichtern und Warnmeldungen über Desinformationsbedrohungen in Echtzeit bereitzustellen“. Die Organe der EU und die Mitgliedstaaten würden sich in weiterer Folge auf eine „proaktive und objektive Kommunikation über die Werte und Politiken der Union konzentrieren“.
Zielten die bisherigen Maßnahmen schwerpunktmäßig auf Russland, das man als hauptsächlichen Urheber der „Desinformation“ im Rahmen seiner „hybriden Kriegsführung“ identifiziert haben wollte, hat sich der Fokus mittlerweile auf die „Rechtspopulisten“ verlagert. Die „Welt“ empört sich unter anderem über eine „Schmutzkampagne“, die Ungarns Premierminister Viktor Orbán erst jüngst gegen die EU und den bekannten US-amerikanischen Milliardär und Philanthropen George Soros gestartet habe.
Dabei beschränke sich diese nicht auf eine Reihe von Plakaten, die in Ungarn selbst affichiert werden und auf denen Soros und dem scheidenden EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker vorgeworfen wird, weitreichende Pläne zu verfolgen, um noch mehr Einwanderung nach Europa zu ermöglichen – und die Mitgliedstaaten der EU dazu zu zwingen, sich zu beteiligen.
Die ungarische Regierung erklärt über die beiden Genannten:
„Sie wollen die verpflichtende Ansiedlungsquote einführen. Sie wollen das Recht der Mitgliedstaaten auf Grenzschutz schwächen. Mit Migrantenvisa wollen sie die Einwanderung erleichtern.“
Will niemand in der EU mehr Einwanderung und verpflichtende Quoten?
Aus Sicht der „Welt“ stellt diese Plakatkampagne den „bisherigen Höhepunkt des Desinformationswahlkampfes“ dar. Soros und der EU-Kommission zu unterstellen, diese wolle einen zusätzlichen Zuzug von Asylbewerbern ermöglichen und bislang nicht aufnahmebereite Länder dazu zwingen, sich an deren Betreuung und Versorgung zu beteiligen, ist ihrer Auffassung zufolge eine „Verschwörungstheorie“.
Dass die EU-Kommission bereits seit 2010 Untersuchungen über mögliche Wege zu einer politischen, finanziellen, rechtlichen und praktischen Möglichkeiten einer Neuverteilung der Asylsuchenden zwischen den europäischen Ländern anstellt und mehrere Länder einen verpflichtenden Verteilungsschlüssel anstreben, sei demnach offenbar unzutreffend.
Die EU-Kommission scheint demnach auch im Rahmen der Europäischen Migrationsagenda im Sommer 2017 kein neues Neuansiedlungsprogramm der EU im Zusammenhang mit dem UNHCR angekündigt zu haben und es gäbe auch keine Vertragsverletzungsverfahren gegen mehreren Länder, die sich nicht am Lastenausgleich für die Folgen einer Asylpolitik beteiligen wollte, die Deutschland und einige weitere Länder eigenmächtig im Jahr 2015 in die Wege geleitet hatten.
Die „Desinformation“ und die „Verschwörungstheorien“ verbreiteten sich jedoch mittlerweile europaweit, ohne dass die EU eine passende Antwort darauf finden würde. Als Beispiel dafür führt die „Welt“ einen Beitrag über Prepaid-Kreditkarten der UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR an, die Flüchtlingen auf dem Balkan vom US-Unternehmen Mastercard zur Verfügung gestellt werden sollen. Der Vorgang wird mit George Soros in Verbindung gebracht, zudem werde suggeriert, die Karten sollten helfen, die Flucht zu finanzieren. Tatsächlich dienen sie nur zur Finanzierung alltäglicher Ausgaben.
Die Meldung ging von einer slowenischen Nachrichtenseite aus, habe den Weg zu Infowars in den USA gefunden und sei dann über „PI-News“ nach Deutschland und von dort aus weiter nach Norwegen und Italien gelangt.
Soros – ein Opfer zügelloser Hasskampagnen?
Im Wege dieses „grenzüberschreitenden Propagandakrieges“ wollten die „Rechtspopulisten“ am Ende „Hassfiguren“ schaffen, „auf die sie alle Verfehlungen und Probleme projizieren können“. Dadurch würden sie nicht nur eigene Wähler mobilisieren, sondern auch das Vertrauen in ihre Gegner zerstören.
Eine Figur, die dabei stets auftaucht, ist George Soros. Der Milliardär, der unter anderem durch erfolgreiche Spekulationen gegen Währungen ein Vermögen erlangt hat, nimmt seit 2004, dem Jahr der Wiederwahl von George W. Bush zum US-Präsidenten, aktiv Anteil an politischen Debatten und Kampagnen.
Wie der „ARD-Faktenfinder“ darlegt, gibt Soros „einen großen Teil seines Vermögens für politische und gesellschaftliche Zwecke aus“, der Webseite seiner „Open Society Foundations“ (OSF) zufolge ist die Rede von 32 Milliarden US-Dollar. Diese sollen in Stiftungen und Förderprogramme gewandert sein. Auf der „Forbes“-Liste der reichsten Menschen der Welt, auf der er 2014 noch unter den Top 30 war, ist er seines Mäzenatentums wegen auf Platz 190 gefallen – wobei ihm viele seiner Kritiker eine bessere Platzierung von Herzen gönnen würden, würde er im Gegenzug auf seine „Philanthropie“ verzichten.
Aber „Menschenrechte, Gerechtigkeit und Demokratie“ sind ihm und seinen OSF zu wichtig und deshalb sind diese nach eigenen Worten deren „weltweite größte private Förderer“. Ähnlich wie im Fall von Amnesty International und anderen sogenannten „zivilgesellschaftlichen Organisationen“ reicht das Verständnis von „Menschenrechten“ weiter und ist stärker ideologisch vorgezeichnet als das, was im klassischen Sinne darunter verstanden wurde.
Unter anderem spielt nach dem Verständnis von Soros dabei das Ziel der „sozialen Gerechtigkeit“ eine tragende Rolle – was ihn auch dazu motiviert, auch Einrichtungen ohne staatliche Hoheitsgewalt wie religiöse Gemeinschaften mit seinem Mäzenatentum zu versehen. So förderte er unter anderem kirchliche Initiativen, die sich zum Ziel gesetzt hatten, die religiösen Lehren ihrer Glaubensgemeinschaft in einer liberal-progressiven Art und Weise umzugestalten. Auch Kampagnen wie jene zur Aufhebung der restriktiven Abtreibungsgesetze in Irland fanden das Wohlwollen und auch die finanzielle Unterstützung des Milliardärs.
„Keine inhaltlichen Vorgaben“
Die Stiftungen wollen von ihrem Gesamtbudget bislang 14 Milliarden US-Dollar vergeben haben. Das Budget für 2018 habe, so die ARD, eine Milliarde US-Dollar betragen, rund zehn Prozent davon seien an Projekte in Europa geflossen. Eine Million, die nach Deutschland gegangen sei, wäre unter 45 Organisationen verteilt worden. Themenbezogen seien „55 Prozent davon an Projekte zu Gleichberechtigung und Anti-Diskriminierung gegeben worden, 35 Prozent für Demokratieförderung und zehn Prozent an Menschenrechtsbewegungen“. Ein Aktionsfeld seien dabei Initiativen zur Verbesserung der Beziehungen zwischen den Berliner Schulbehörden und Eltern von Kindern mit Migrationshintergrund.
Zu den größeren Projekten, die Soros fördert, gehören unter anderem Rechercheverbünde wie im Zusammenhang mit den „Panama-Papers“ oder Korruptionsvorwürfen gegen politische Führer autoritärer Staaten wie Russland oder Aserbaidschan.
Das Recherchenetzwerk „Correctiv“ in Deutschland erhalte, so Geschäftsführer David Schraven, im Bereich ihres „Comic-Fellowship“ eine Vollfinanzierung, im Rahmen des Faktenchecks eine Unterstützung im unteren zweistelligen Prozentbereich für ein Teilprojekt. Es würden zwar zusammen mit den Geldgebern aus dem Bereich der OSF „Meilensteine“ erarbeitet – detaillierte inhaltliche Vorgaben erfolgten jedoch keine, wie dies auch bei anderen Geldgebern der Fall sei.
Inwieweit es Auswirkungen auf das Ob und Wie der Förderung hätte, sollte das Netzwerk aktiv Positionen einnehmen, die wesentlichen weltanschaulichen Überzeugungen von George Soros zuwiderlaufen, erläutert weder Schraven noch der „Faktenfinder“. Möglicherweise ist ein solcher Fall bis dato nicht aufgetreten. Gerald Knaus von der Denkfabrik „Europäische Stabilitätsinitiative“ gibt zu bedenken, dass es Soros nicht zuletzt auf Grund der Vielzahl von ihm geförderter Projekte gar nicht möglich wäre, inhaltliche Feinsteuerungen vorzunehmen.
In Osteuropa, so beklagt der ARD-Faktenfinder, „tragen Kampagnen wie die von Orban dazu bei, dass Unterstützung durch die OSF und anderen internationalen Geldgebern für Aktivisten zu einem Glaubwürdigkeitsproblem führen kann“. Deshalb hätten sich auch beispielsweise Protagonisten der „Samtenen Revolution“ in Armenien demonstrativ von einer möglichen Unterstützung aus dem Ausland distanziert.
Kein Beleg für koordinierte Desinformationskampagnen
Dass zwei der Organisationen, die Unterstützung von der Soros-Stiftung erhalten hätten, in Georgien entscheidend zur „Rosenrevolution“ 2003 beigetragen hätten, stellt der Faktenfinder nicht in Abrede. Dass sich der Nutznießer Micheil Saakaschwili „später zwar als Modernisierer, jedoch nicht als Demokrat“ erwiesen habe, wertet man eher als einen Betriebsunfall – bedingt dadurch, dass ein „breites Engagement […] allerdings die Gefahr [birgt], dass die erhofften Ziele nicht erreicht werden“.
Was die „Lügen- und Schmutzkampagnen“ der Rechtspopulisten im laufenden Wahlkampf angeht, muss auch die „Welt“ einräumen, dass dem Betreiber des italienischen Fact-Checker-Portals „Pagella Politica“, Giovanni Zagni zufolge kein Beleg für die Existenz „koordinierter Desinformationskampagnen“ bestehe. Es gebe lediglich „ein Netzwerk von Internetseiten, die hin und wieder falsche oder ungenaue Informationen veröffentlichten und sich dabei gegenseitig zitierten – auch über Landesgrenzen hinweg“.
Im Kern also zeichnet sich ein ähnliches Szenario ab wie vor den US-Präsidentenwahlen, wonach mehr oder weniger seriöse alternative Medien Meldungen verbreiten, die mehr oder weniger fundiert sind, aber die innerhalb eines bestimmten Meinungsspektrums ein hohes Maß an Verbreitung finden, weil sie exakt den inhaltlichen Erwartungen des Zielpublikums entsprechen – ähnlich wie die Reportagen des Ex-„Spiegel“-Journalisten Claas Relotius hohe Beachtung und weite Verbreitung fanden, weil sie dem etablierten Konsens so passgenau entsprachen.
Auch in diesem Fall gehe es oft nicht so sehr darum, andere Menschen von bestimmten Positionen zu überzeugen, sondern um Agenda-Setting (wie im Fall des UN-Migrationspakts) oder einfach nur um Feindbildpflege. Und was diesbezüglich den Rechtspopulisten ihr Soros ist, ist dem Relotius-Umfeld eben Donald Trump, zusammen mit den Klischee-Hillbillys aus US-amerikanischen Provinzdörfern.
Die Frage nach dem „Warum“ gescheut
Die EU-Kommission und Einrichtungen wie die Stiftung Neue Verantwortung geben zu bedenken, dass der Verbreitung von Falschnachrichten nur in begrenztem Maße mit Fakten-Checks oder Richtigstellungen begegnet werden könne. Andererseits aber – so zeigt die Studie der Northeastern University in Boston – finden nachweisliche Falschnachrichten wie jene um einen angeblichen Pädophilenring in einer Pizzeria in Washington, D.C. von vornherein nur geringe Verbreitung, und das vorwiegend unter den gleichen Nutzern, die ohnehin schon von deren Richtigkeit überzeugt sind.
Es sprechen daher einige Anhaltspunkte dafür, dass die EU-Kommission und einige Politiker und Mainstream-Medien das Thema der „Desinformation“ vor allem deshalb so stark in den Vordergrund spielen, weil dies hilft, von eigenen Verfehlungen abzulenken. Dabei läge es durchaus nahe, der Frage nachzugehen, warum das Misstrauen in etablierte Parteien und Medien oder zivilgesellschaftliche Organisationen wie jene im Umfeld der Soros-Stiftung in Teilen der Bevölkerung so hoch ist, dass diese bereit sind, selbst besonders bizarren Darstellungen über diese auf zweifelhaften Portalen Glauben zu schenken.
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