Einsame Wölfe und Terror-Franchising: Warum die IS-Gefahr nicht gebannt ist
Am 28.1. wird in den USA ein Buch über eine Organisation erscheinen, die über die vergangenen Jahre hinweg in Europa zunehmend von Radar verschwunden war. Der „Islamische Staat“ (IS) galt in Syrien und im Irak als besiegt. Es hatte den Anschein, als hätte die Terrormiliz nur noch regionale Bedeutung – und ihre Aktivitäten von westlichen Ländern weg verlagert.
Wie die jüngsten Entwicklungen zeigen, war die verhältnismäßige Ruhe trügerisch. Warum dies so ist und warum der IS nicht unterschätzt werden darf, darüber hat Moign Khawaja mit der englischsprachigen Epoch Times gesprochen. Der Sicherheitsexperte von der City-Universität Dublin bringt Ende des Monats sein Buch „Islamic State, Media, and Propaganda“ auf den Markt.
Territoriale Gewinne zuletzt in Mozambique
Khawaja macht deutlich, dass er nicht mit einem unmittelbaren Comeback der Terrormiliz in ihren Stammländern Irak und Syrien rechne – obwohl die neue Lage dort potenzielle Freiräume eröffne. Territorial übe der IS in Ländern wie Mozambique die Kontrolle aus. Dort gebe er de facto den Ton an in nördlichen Bezirken an der Grenze zu Tansania.
Dennoch inspiriere die Idee dahinter noch potenzielle Terroristen – und dies habe sich erst jüngst wieder beim Anschlag in New Orleans gezeigt. Vor allem für sogenannte Einsame Wölfe böten der IS, seine Brutalität und seine Botschaften einen Radikalisierungsanlass.
Khawaja illustriert dies anhand des Attentäters Shamsud-Din Jabbar von New Orleans und von Omar Mateen. Dieser hatte im Juni 2016 insgesamt 49 Menschen vor einem hauptsächlich von Homosexuellen genutzten Nachtklub in Orlando getötet. Mateen hatte den Klub zuvor selbst besucht.
Attentäter von New Orleans will seit Sommer 2024 dem IS angehört haben
Es gebe einige Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Terrorakten. In vielen Fällen habe es Brüche oder persönliche Probleme im Leben der Betroffenen gegeben. Jabbar habe nach seiner Scheidung und im Angesicht von Geldproblemen zu viel Zeit damit verbracht, extremistische Inhalte am Computer zu konsumieren. Dann habe „eines zum anderen geführt“. Dem IS will er sich einem selbstproduzierten Video zufolge vor dem Sommer 2024 angeschlossen haben.
Christopher Raia von der Antiterroreinheit des FBI, hatte erst am Sonntag, 5.1., darauf hingewiesen, dass der IS bereits seit Jahren zu Anschlägen mithilfe von Fahrzeugen aufgefordert habe. In einem der Videos, die Jabbar vor seiner Tat aufgenommen hatte, machte er deutlich, dass er eigentlich seine eigene Familie hätte töten wollen.
Er habe sich jedoch zu einer anderen Attacke entschlossen, da ansonsten in der Berichterstattung der Aspekt des „Krieges zwischen Gläubigen und Ungläubigen“ zu kurz gekommen wäre. Ob ein homophobes Motiv eine Rolle spiele, sei unklar, meint Raia. In der Bourbon Street, wo Jabbar seine Todesfahrt mit 15 Todesopfern unternommen hatte, gebe es eine Reihe von LGBTQ*-Klubs.
Al-Kaida im Irak als Ausgangspunkt
Die Anfänge des IS gingen auf al-Qaida im Irak (AQI) zurück. Die Gruppe hatte erst Abu Musab al-Zarkawi angeführt, der aus Afghanistan in den Nahen Osten gelangt war. Im Juni 2006 wurde er von US-Truppen getötet. Seine Nachfolge trat Abu Omar al-Baghdadi an, der 2010 starb. Anschließend übernahm Abu Bakr al-Baghdadi die Führung. Dieser wandelte die Gruppe später in den „Islamischen Staat im Irak und in Syrien“ (ISIS).
Trotz seiner dschihadistischen Selbstdarstellung verdankte die Gruppierung ihre militärische Schlagkraft entlassenen Armeeoffizieren aus dem Irak der sozialistisch-nationalistischen Baath-Diktatur von Saddam Hussein. Die US-Militäradministration hatte die Armee nach der Einnahme des Landes 2003 weitgehend aufgelöst.
Im Zuge des sogenannten Arabischen Frühlings entsandte al-Baghdadi, als die Gruppe noch AQI hieß, eine Person nach Syrien, um dort einen Zweig aufzubauen. Es handelte sich um Abu Mohammad al-Dscholani (auch: al-Dschulani / al-Julani / al-Golani). Khawaja erklärte:
„Im Grunde spaltete sich al-Qaida damals auf. Aus dem Teil, dem al-Baghdadi vorstand, wurde ISIS. Der andere war die Al-Nusra-Front, die al-Dscholani befehligte.“
Al-Nusra änderte ihren Namen später in Hayat Tahrir al-Sham (HTS) und Al-Dscholani seinen in Ahmed Hussein al-Scharaa (auch al-Sharaa / asch-Schar’a). Heute ist er der faktische Herrscher über Syrien.
Ende des „Kalifats“ war nicht das Ende der Terrormiliz
Bevor sich Al-Nusra regenerieren konnte, hatte sie in Syrien einen tiefgreifenden Bedeutungsverlust zu verkraften. Stattdessen gelang es ISIS unter al-Baghdadi, 2014 im Norden des Irak und im Osten Syriens umfangreiche Landstriche zu erobern. Die Ausrufung eines „Kalifats“ und eine propagandistische Inszenierung besonders brutaler Gewalt machten den „Islamischen Staat“ (IS) weltweit bekannt. Von allen Kontinenten begaben sich Kämpfer in das Kriegsgebiet, um sich der Miliz anzuschließen.
Gleichzeitig organisierte die Terrormiliz Anschläge mit einer hohen Opferzahl auch in Europa. Im Januar 2015 starben 17 Menschen bei einem Angriff auf die Satirezeitung „Charlie Hebdo“ in Paris. In der gleichen Stadt töteten IS-Terroristen im November 2015 insgesamt 130 Menschen nahe dem Stade de France und in der Bataclan-Konzerthalle. Ein erster Anschlag eines „einsamen Wolfs“ folgte 2016 am Nationalfeiertag.
Nachdem der IS durch US-amerikanisch und russisch geführte Koalitionen in Syrien und dem Irak zurückgedrängt werden konnte, häuften sich in Europa Anschläge von Einzeltätern. Khawaja schilderte, wie die Miliz eine eigene Form von „Terror-Franchising“ entwickelte:
„Der Modus operandi war, dass ISIS dann, wenn der Täter bei der Attacke starb, den Anschlag für sich reklamierte. Blieb er am Leben oder wurde verhaftet, gab man erst nach Tagen eine Erklärung heraus.“
Treueschwur auf den IS als PR-Maßnahme?
Nach der weitgehenden Verdrängung aus Syrien und dem Irak bildeten sich weltweit kleinere IS-Zellen in unterschiedlichen Territorien. Die Miliz trat in völlig unterschiedlichen Ländern wie Afghanistan, den Philippinen, der DR Kongo, Mali oder Nigeria zutage. Im Jahr 2019 tötete sich der Anführer al-Baghdadi während einer US-Militäroperation. Auch einige Nachfolger wurden liquidiert. Mit dem Anschlag auf die Crocus City Hall in Moskau meldete sich der IS in Gestalt des „Khorasan“-Zweigs jedoch nach Europa zurück.
Rossa McPhillips, ein britischer Experte für Terrorismusbekämpfung, äußerte gegenüber Epoch Times:
Ob ISIS als Gruppe existiert oder nicht, ist irrelevant.“
Terroristen würden ihr die Treue schwören, weil sie über eine hohe „Street Credibility“ verfüge und einen Namen habe, wenn es um ideologisch motivierte Gräueltaten gehe. Bei al-Qaida sei in früheren Jahren ein ähnliches Phänomen zu beobachten gewesen. Diese habe jedoch aufgrund des Aufstiegs des IS an Bedeutung eingebüßt.
Khwaja erklärte, das „Terror-Franchising“ funktioniere auch in der Gegenrichtung. Es gebe – etwa im Kongo – Gruppen, die mit dem IS nie etwas zu tun gehabt hätten. Sie würden sich jedoch aus taktischen Gründen dazu bekennen:
„Manchmal tun die Organisationen das nur, um Angst zu verbreiten und um sich Fachwissen anzueignen. Sie schwören ISIS die Treue, obwohl sie anfangs nichts mit ISIS zu tun hatten, nur weil das mehr Aufmerksamkeit in den Medien erregt und mehr Menschen auf sie aufmerksam werden.“
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