Deutschland als „engster und wichtigster Verbündeter“ – trotzdem mahnte Biden Scholz an

US-Präsident Joe Biden forderte in Berlin Scholz, Macron und Starmer auf, in der Unterstützung für die Ukraine „nicht nachzulassen“. Dass es dieses Appells bedurfte, lässt auf Folgendes schließen: Biden befürchtet, dass die führenden Mächte Europas kriegsmüde werden könnten. Auch der Krieg Israels in Gaza und gegen die Hisbollah stand auf der Agenda. Biden beabsichtigte offenkundig, auf seiner Abschiedstour vor allem die außenpolitischen Positionen der US-Demokraten kurz vor den amerikanischen Wahlen medienwirksam hervorzuheben.
Biden und Scholz treffen sich im Berliner Kanzleramt
Biden und Scholz treffen sich im Berliner KanzleramtFoto: Christoph Soeder/dpa
Von 19. Oktober 2024

Morgens wurde der amerikanische Präsident bei seinem ersten und gleichzeitig letzten offiziellen Besuch in Deutschland am 18. Oktober von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) empfangen und erhielt den höchsten Orden Deutschlands: das Großkreuz des Bundesverdienstordens. Danach gab es ein Mittagessen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Ab 14 Uhr stießen der britische Premier Keir Starmer und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zu dem sogenannten Quad-Meeting, also einem Vierertreffen, hinzu.

Worum es ging es?

Die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre, gab auf der Website der US-Botschaft in Berlin bekannt, es gehe bei dem Besuch darum, Freundschaften zu pflegen und diese weiter zu vertiefen. Dem ist entgegenzuhalten: Staaten pflegen per se nie Freundschaften. Sie vertreten Interessen. Und so hegte der im Januar 2025 aus dem Amt scheidende Joseph Biden auch die Absicht, noch einmal klarzustellen, wo die amerikanischen Interessen in Europa und dem angrenzenden Nahen Osten liegen.

Primär ging es nach Auskunft der US-Botschaft darum, geopolitische Prioritäten abzustimmen, darunter an erster Stelle die „Verteidigung der Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg“ und danach die „Ereignisse im Nahen Osten.”

Ukraine: „Putin hat sich verrechnet“

US-Präsident Joe Biden mahnte, Kiew stehe „ein düsterer Winter bevor“. Deshalb „müssen wir unsere Entschlossenheit aufrechterhalten“, bekräftigte Biden. Ihm sei bewusst, „dass die Kosten hoch sind, aber täuschen Sie sich nicht, sie sind niedrig im Vergleich zu den Lebenshaltungskosten in einer Welt, in der Aggression vorherrscht, in der große Staaten kleinere angreifen und schikanieren“.

Gleiches unterstrich der britische Premier Keir Starmer vor der Presse in Berlin. „Während die Ukraine in einen schwierigen Winter eintritt, ist es wichtig, festzustellen: Wir sind an ihrer Seite, wir sind uns in unserer Entschlossenheit absolut einig und werden die Ukraine so lange unterstützen, wie es nötig ist.“ Starmer gab sich überzeugt, dass Russland „schwächer“ werde. Das „Quad“ habe zudem diskutiert, wie es seine Unterstützung für die Ukraine „beschleunigen“ könne.

Bundeskanzler Scholz hob die deutsche „Sorge“ hervor, „dass die NATO nicht zur Kriegspartei wird“ und damit „dieser Krieg nicht in eine noch viel größere Katastrophe mündet“, sagte Scholz. „Diese Verantwortung ist uns sehr bewusst und niemand kann sie uns abnehmen“, erklärte Scholz als Gastgeber der vier Staatschefs. Scholz gab sich indes selbstsicher: „Putin hat sich verrechnet, er kann diesen Krieg nicht aussitzen.“

Biden ging es nach seinen Angaben bei seinem Gespräch mit Bundeskanzler Olaf Scholz außerdem darum, zu besprechen, „die militärische Unterstützung für die Ukraine zu erhöhen und ihre zivile Energieinfrastruktur zu stärken, indem dafür die eingefrorenen russischen Vermögenswerte freigesetzt werden“. Die Europäische Union hat seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine dessen Vermögenswerte nicht mehr freigegeben.

Nach Kommissionsangaben sind rund 210 Milliarden Euro der russischen Zentralbank in der EU eingefroren. Im Juli hatte die EU erstmals Zinserträge aus diesem russischen Vermögen für die Ukraine bereitgestellt. Nach dem Willen der USA sollen weitere solcher Schritte erfolgen. Der britische Premier Starmer fügte vor der Presse in Berlin hinzu: „Gemeinsam mit den G-7 [Zusammenschluss der sieben bedeutendsten Industriestaaten der westlichen Welt] arbeiten wir daran, 50 Milliarden Euro an Unterstützung für die Ukraine bereitzustellen, die aus den Erlösen eingefrorener russischer Vermögenswerte stammt.“

Der französische Präsident sieht als „entscheidende Frage die Art der Sicherheitsgarantien“ für die Ukraine. Dies teilte Macron laut dem französischen Auslandssender „Radio France Internationale“ (RFI) in Berlin mit. Auf weitere Details zu der „entscheidenden Frage“ ließ er sich jedoch nicht ein.

Israel: Keine Einigkeit im „Quad“

Der amerikanische Präsident wiederholte seine mehrfach geäußerte Forderung an den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, sich um Frieden zu bemühen, insbesondere jetzt nach der Tötung des letzten Hamas-Führers Jahja Sinwar. Dessen Tod bezeichnete er laut „Reuters“ „als einen Moment der Gerechtigkeit“.

Bundeskanzler Scholz glaubt, mit Sinwars Tod eröffne „sich jetzt hoffentlich die konkrete Aussicht auf einen Waffenstillstand in Gaza, auf ein Abkommen zur Freilassung der Geiseln der Hamas“. Frankreichs Präsident Macron schloss sich dieser Ansicht an und drückte ebenfalls die Hoffnung aus, „dass Sinwars Tod sowohl für Israelis als auch für Palästinenser eine glaubwürdige politische Perspektive eröffnen“ werde. Mit dieser Einschätzung dürften sich Scholz und Macron jedoch weit entfernt von der Realität bewegen.

Während Deutschland laut Bundesregierung die Sicherheit Israels zur „Staatsräson“ erhoben hat, liefert sich der französische Präsident seit Tagen ein offenes Wortgefecht mit Netanjahu über die Angriffe Israels auf UNO-Blauhelmsoldaten im Südlibanon. Nach Angaben des Élysée-Palasts, dem Amtssitz des französischen Präsidenten, habe sich Macron in einem Telefonat mit Netanjahu empört und diesen daran erinnert, dass Israel durch jene UNO gegründet worden sei, die er jetzt beschießen lasse.

Der britische Premier Starmer ging noch weiter. Nach dem Treffen der vier Staatschefs betonte er in seiner Pressekonferenz in Berlin, dass sich die Position Großbritanniens „zur Aussetzung der Waffenexporte nach Israel“ nicht geändert habe. Anfang September gab die Regierung in London bekannt, dass 30 von 350 Lizenzen für Waffenexporte an Israel eingefroren würden. London zeigt sich seither empört über das Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen. Es bestehe das Risiko, dass britische Ausrüstung „für schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht verwendet werden könnte“, erklärte damals Außenminister David Lammy. Es seien jedoch nur Waffen betroffen, die im Konflikt zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen eingesetzt werden können.

Wie erst vor einer Woche durch Exklusivinformationen der „Bild“ bekannt wurde, hatte auch Deutschland auf Betreiben von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) ein halbes Jahr lang heimlich Waffenexporte nach Israel ausgesetzt.

Auf seiner Berliner Pressekonferenz wandte sich der britische Premier Starmer direkt an Israel: „Die Welt wird keine Ausreden mehr für humanitäre Hilfe dulden. Zivilisten im nördlichen Gazastreifen brauchen jetzt Nahrung.“ Starmer forderte, dass es dem Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) mit Sitz in Gaza gestattet werden müsse, seine „lebensrettende Arbeit“ fortzusetzen. Er forderte außerdem Israel zu einem Waffenstillstand in Gaza und im Libanon auf.

NATO-Beitrag einhalten

Die Biden-Regierung weiß längst, dass die deutsche Regierung in Europa ihr wichtigster Verbündeter bei der Unterstützung der Ukraine geworden ist. Biden ging bei seinem Berlin-Besuch jedoch so weit, zu behaupten, Deutschland sei generell der „engste und wichtigste Verbündete“ der Vereinigten Staaten. Diese Aussage ist jedoch eher als respektvolle Anerkennung für Bundeskanzler Scholz als Gastgeber zu verstehen. Denn die wahren engsten Verbündeten der USA sind die Staaten der sogenannten „Five Eyes“, eine Geheimdienstallianz der englischsprachigen Länder Großbritannien, Australien, Kanada, Neuseeland und die USA. Deutschland ist davon explizit ausgeschlossen.

Allerdings verfügt die Bundesregierung über diplomatische Kanäle nach Osteuropa, die keiner der „Five Eyes“ vorweisen kann. Berlin spielte etwa eine entscheidende Rolle bei einem großen Gefangenenaustausch Anfang August zwischen Russland und dem Westen, bei dem mehrere Amerikaner aus russischer Haft freikamen. Dafür zeigte sich Biden öffentlich außerordentlich dankbar.

Ohnehin haben sich die transatlantischen Beziehungen in Bidens Regierungszeit und dem Regierungswechsel in Deutschland von Angela Merkel zu Olaf Scholz deutlich verbessert und vertieft. Dennoch konnte sich Biden bei seinem Abschied in Berlin eine Mahnung nicht verkneifen. Er erinnerte Scholz daran, das NATO-Beitragsziel von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) beizubehalten und seine Verteidigungsausgaben aufrechtzuerhalten. „Weil es darauf ankommt!“, meinte Biden vielsagend.

Über den Autor:

Tom Goeller ist Journalist, Amerikanist und Politologe. Als Korrespondent hat er in Washington, D.C., und in Berlin gearbeitet, unter anderem für die amerikanische Hauptstadtzeitung „The Washington Times“. Seit April 2024 schreibt er unter anderem für die Epoch Times.

 

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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