Das Erbe der Roten Garden: Wie die Kulturrevolution Chinas heutige Führung prägt

Die berühmteste Rotgardistin der chinesischen Kulturrevolution ist vergangenen Monat gestorben, aber der Geist der Gewalt und Aggression ist noch lange nicht tot. Eine Analyse.
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Die Führung der Volksrepublik ist noch immer vom Geist der Roten Garden geprägt, behaupten Experten. Mit dem kürzlichen Tod der berühmtesten Rotgardistin, Song Binbin, eröffneten sich aber auch neue Chancen für China.Foto: Lintao Zhang/Getty Images
Von 7. Oktober 2024

Ein bekanntes Mitglied der Roten Garden der chinesischen Kulturrevolution, eines Jahrzehnts der Gewalt und des Chaos von Mitte der 1960er- bis in die 1970er-Jahre, Song Binbin, ist vergangenen Monat im Alter von 77 Jahren gestorben.

Experten berichteten jedoch der Epoch Times, dass der Geist der Kulturrevolution in China noch lange nicht tot sei.

Mitglieder der derzeitigen kommunistischen Führung Chinas haben in dieser Periode ihre Schul- und Hochschulbildung erhalten. Noch trügen sie die Spuren der Roten Garde in ihrer Politik und ihrem Verhalten, so die Experten. Dazu gehörten die berüchtigte „Wolfskrieger“-Diplomatie und das unerbittliche Streben nach einer gewaltsamen Vereinigung mit Taiwan.

Der China-Experte und Kommentator der Epoch Times, Shi Shan, sieht dieses Verhalten in der Tradition der Kulturrevolution, die kompromisslos auf Aggression setzte.

Ein Rotgardist als Staatschef

Shi Shan zufolge verwies der chinesische Staatschef Xi Jinping seit 2017 wiederholt auf den „hundertjährigen Sturm“. Damit sei die Etablierung einer neuen Weltordnung in einem besonderen Stil gemeint. Dieser spiegele den Anspruch des verstorbenen chinesischen kommunistischen Führers Mao Zedong wider. Der forderte in einem berühmten Gedicht, „es zu wagen, Sonne und Mond in einem neuen Himmel scheinen zu lassen“. Es beschreibt die Landnahme der Bauern von den Großgrundbesitzern in China.

Maos Nachfolger Deng Xiaoping leitete in den 1980er-Jahren die Wirtschaftsreform Chinas ein. Laut Shi hatte er in den 1960er-Jahren geborene Kader als Nachfolge für Chinas Staatspräsidenten Hu Jintao gewünscht. Er wollte die Roten Garden bewusst nicht in Führungspositionen bringen, da sie gewalttätig seien und in ihrer Jugend keine angemessene Bildung erhalten hätten.

Dengs Nachfolger Jiang Zemin unterstützte jedoch Xi als Nachfolger von Hu. Im Jahr 1975, ein Jahr vor dem Ende der Kulturrevolution, besuchte Xi die renommierte Tsinghua-Universität in Peking. Als „Arbeiter-Bauern-Soldaten“-Student war er einer besonderen Zulassungskategorie zugeordnet, die häufig von kommunistischen Kadern genutzt wurde. Xis Familie gehört keiner dieser drei Kategorien an. China wird also von Menschen regiert, die während der Kulturrevolution aufgrund ihrer Identität als Arbeiter, Bauern oder Soldaten und nicht aufgrund ihrer akademischen Leistungen an die Universität gegangen sind.

Shi sagte, dass Chinas Bildungssystem in den vergangenen zehn Jahren unter Xi zum Stil der Kulturrevolution zurückgekehrt sei und sich eine solche chinesische Generation in Zukunft in der internationalen Gemeinschaft entsprechend verhalten könnte.

Generation der Roten Garden

Die ehemalige Rotgardistin Song Binbin, die als Symbol für die Gewalt der Kulturrevolution gilt, war die Tochter von Song Renqiong, einem hochrangigen Funktionär der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh).

Sie wurde weithin bekannt, nachdem sie 1966 von Mao Zedong auf dem Platz des Himmlischen Friedens empfangen wurde, wo er sie für ihren revolutionären Eifer lobte. Während der Kulturrevolution soll Song einen Angriff auf den stellvertretenden Schulleiter ihres Gymnasiums in Peking organisiert haben. Der Pädagoge starb am 5. August 1966 an den Folgen schwerer Schläge.

Jahre später verließ Song China, um in den Vereinigten Staaten zu studieren. Dort hielt sie sich bedeckt und distanzierte sich von ihrer Vergangenheit. Im Jahr 2014 entschuldigte sie sich öffentlich für ihre Rolle bei der Gewalt und drückte ihr Bedauern über das Leid aus, das sie während der Kulturrevolution verursacht hatte. Sie starb am 16. September in den USA nach mehrjährigem Krebsleiden.

Die meisten Rotgardisten wuchsen in einem hasserfüllten Umfeld auf, das ihre psychische Gesundheit stark beeinträchtigte, so Wang Weiluo, chinesischer Hydrologieexperte in Deutschland, der während der Kulturrevolution aufwuchs.

„Es ist ein großes Unglück für das chinesische Volk, dass diese Generation jetzt in China an der Macht ist“, sagte Wang gegenüber der Epoch Times.

Sechs der sieben Mitglieder des Ständigen Ausschusses des Politbüros, dem obersten Entscheidungsgremium der KPCh, erreichten vor dem Ende der Kulturrevolution im Jahr 1976 die Volljährigkeit. Die einzige Ausnahme ist Ding Xuexiang, das sechste Mitglied, der 14 Jahre alt war, als die gewalttätige politische Bewegung endete.

Innerhalb der KPCh vertreten die Führer einer jüngeren Generation, die mindestens zehn Jahre jünger als die Roten Garden sind, sehr unterschiedliche Ansichten. Viele chinesische Generäle gehören dieser jüngeren Generation an und verfügen über Abschlüsse von renommierten Universitäten und ein ausgeprägtes technisches Fachwissen.

Laut Shi handele Xi ihrer Ansicht nach oft irrational, was sogar dem gesunden Menschenverstand widerspreche. Dies führe dazu, dass diese Untergebenen privat abweichende Meinungen hegten. Die Konflikte zwischen ihnen und Xis Regime würden sich zwangsläufig weiter verschärfen.

„Wolfskrieger“ setzen die Diplomatie der Roten Garden fort

Die „Wolfskrieger-Diplomatie“ hat ein weniger bekanntes Vorbild – die „Rote-Garde-Diplomatie“.

Im März 2021 bezeichnete die chinesische Botschaft in Frankreich einen französischen Think-Tank-Wissenschaftler öffentlich als „verrückte Hyäne“, die „China wütend angreift“, weil er die Haltung Pekings zu Taiwan kritisierte. Im selben Jahr sagte ein chinesischer Diplomat in Pakistan, ein Mao-Anhänger, auf Twitter, dass der Umgang mit Chinas Feinden darin bestehe, ihnen den Mittelfinger zu zeigen.

Nach dem Beginn der Kulturrevolution wurden fast alle Botschafter und Berater der KPCh im Ausland nach China zurückgebracht. Viele von ihnen wurden zur Zielscheibe von Denunzierungen und harten Razzien. Das schrieb der verstorbene Huang Hua, ehemaliger Außenminister der KPCh von 1976 bis 1982, in seinem Artikel „Absurde Diplomatie während der Kulturrevolution“.

Plötzlich konnten die ausländischen Botschaften der KPCh nicht mehr normal funktionieren, schrieb Huang. Unter dem Einfluss der ultralinken Ideologie konzentrierte die KPCh ihre Propaganda im Ausland auf die Förderung der Mao-Zedong-Ideen. Die neu ernannten Diplomaten missachteten diplomatische Normen und belehrten andere Länder darüber, dass Peking das Zentrum der Revolutionen der Welt sei.

Letztlich führten ihre aggressiven Handlungen zu einer Verschlechterung der bilateralen Beziehungen. Betroffen waren fast 30 der mehr als 40 Länder, mit denen die KPCh diplomatische oder quasi-diplomatische Beziehungen unterhielt, einige davon bis hin zum vollständigen Abbruch der Beziehungen, so Huang.

Sheng Xue, ein in Toronto ansässiger Demokratieaktivist und Autor für China-Angelegenheiten, beschrieb Xis Außenpolitik als brutal und anmaßend.

„Da es der Generation der Roten Garden an der Fähigkeit mangelt, mit der Außenwelt klug umzugehen, stützt sie sich auf harte marxistisch-leninistische Prinzipien als Rahmen für den Umgang mit der Welt. Dieser fehlgeleitete Ansatz hat uns in eine sinnlose Konfrontation mit der ganzen Welt gebracht“, sagte Sheng.

Sheng sagte auch, dass Xis Stil unter den Generationen von KPCh-Führern der Welt hilft, die KPCh als das zu sehen, was sie ist.

Eine Chance für China

Deng, der kurz nach dem Ende der Kulturrevolution zum Parteiführer wurde, war ein Opfer des politischen Umbruchs.

In den 1960er-Jahren verlor er die politische Gunst, weil er Wirtschaftsreformen befürwortete, die mit Maos Vision kollidierten, und musste alle seine Ämter niederlegen. Seine Familie litt wie viele andere unter dieser turbulenten Zeit. Sein ältester Sohn, Deng Pufang, war besonders betroffen – Rote Garden schlugen ihn brutal zusammen, warfen ihn dann aus einem Fenster und ließen ihn von der Hüfte abwärts gelähmt zurück.

Trotz dieser persönlichen Tragödie vermied Deng jegliche Kritik an Mao. Stattdessen versuchte er, die politische Stabilität aufrechtzuerhalten, indem er Maos Image als „großer Führer“ aufrechterhielt, der „zu 70 Prozent Recht und zu 30 Prozent Unrecht hatte“.

Shi ist überzeugt, dass Dengs pragmatischer Ansatz negative Auswirkungen hatte – er beraubte das chinesische Volk der Möglichkeit, wirklich über die Kulturrevolution nachzudenken.

Jetzt sieht Shi eine neue Chance für China.

„Song Binbin, eine Ikone der Roten Garden, ist gestorben. Ihr Tod signalisiert den Beginn des allmählichen Rückzugs dieser Generation von der Weltbühne“, sagte er.

„Ich hoffe, dass dies der Jugend Chinas ermöglicht, sich vom Geist der Kulturrevolution zu befreien.“

Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel „The Red Guard Spirit Still Haunts China and Its Current Leadership“. (deutsche Bearbeitung jw)

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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