Bundeswehr zwischen Israel-Iran Front: Einsatz im Irak verlängert

Von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, gibt es ein Einsatzkontingent der Bundeswehr mit mehreren Standorten im Irak. Nun wurde am 18. Oktober seitens des Bundestages der deutsche Irak-Einsatz bis Januar 2026 verlängert. Warum? Und was genau macht die Bundeswehr in diesem nach wie vor instabilen arabischen Land, von wo aus auch Israel mit Raketen angegriffen wird?
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Ein Bundeswehrsoldat und Kämpfer der kurdischen Peshmerga während der Ausbildung nahe Erbil im Norden des Irak.Foto: Michael Kappeler/dpa/dpa
Von 22. Oktober 2024

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Vergangenen Sonntag, 20. Oktober, hat die Autonome Region Kurdistan im Irak gewählt. Dabei hat eine der beiden großen Parteien, die Patriotische Union Kurdistan (PUK) eine Schlappe erlitten. Die PUK konnte nur noch etwa die Hälfte an Sitzen (22) im Regionalparlament erringen von der Konkurrenz, der Demokratischen Partei Kurdistan (KDP), die 40 Sitze holte. Zuvor bestand ein Patt zwischen beiden. Ein innerkurdischer Konflikt ist damit abzusehen. Denn der Verlierer wird die Konsequenzen aus dem Wahlergebnis nicht ohne Empörung ziehen wollen. Was hat das mit Deutschland zu tun?

Deutscher Rat ist nicht teuer, sondern erwünscht

Einer der Aufträge für die Kommandeure des Deutschen Einsatzkontingentes lautet, „zur Förderung der Versöhnung“ beizutragen. Deshalb werden gerade jetzt wieder Moderatoren gebraucht, die zwischen der PUK und der KDP vermitteln – nicht auf politischer Ebene, diese obliegt den Diplomaten, sondern auf militärischer. Denn beide Parteien verfügen über eigene Streitkräfte, Peshmerga genannt, die seit 2017 im Peshmerga-Ministerium (MoPA) in der irakisch-kurdischen Hauptstadt Erbil Seite an Seite – mal mehr, mal weniger – zusammenarbeiten.

Die Bundeswehr findet seit September 2022 im MoPA aufmerksam Gehör, da der damalige Kommandeur sowie seine Nachfolger den Auftrag zur Versöhnung zwischen beiden Kontrahenten besonders überzeugend anpackte und umsetzte. Auch andere Nationen wie Großbritannien, die USA und die Niederlande beraten das MoPA. Jedoch tritt Deutschland selbstlos auf und kann überzeugend vermitteln. Denn es verfügt als einziges der westlichen Beraterländer über eine eigene Erfahrung, wie zwei unterschiedliche Lager aus dem gleichen Land – DDR und BRD – zusammenfinden. „Wir wissen, wie’s geht“, überzeugte im September 2022 der deutsche Kommandeur die Skeptiker unter den Peshmerga. Seit Februar 2023 hat deshalb das Peshmerga-Ministerium in Erbil der Bundeswehr ein „Deutsches Büro“ mit einem Verbindungsoffizier eingeräumt – das einzige seiner Art unter den westlichen Beratern. Deutsche Kommandeure erhalten jederzeit Zutritt zu den höchsten Generalstellen. Ihre Meinung wird oft sogar explizit angefragt. Dieses Vertrauen hat sich die Bundeswehr über viele Jahre erarbeitet.

Wegen IS: Deutsche Soldaten seit 2015 im Irak

Zu Beginn des Einsatzes stand ein völlig anderer Auftrag. Mit dem plötzlichen Auftreten und dem raschen Vorstoß der brutalen Terrormiliz Islamischer Staat (IS) von Syrien aus in den Irak im Jahr 2014 drohte eine Destabilisierung der gesamten Region sowie Völkermord an Ethnien wie Jesiden und Kurden und an Christen, Zoroastriern, Baha’i und zahlreichen weiteren Kleingruppen des an Glaubensrichtungen reichen Irak.

Aus diesem Grund entsandte 2015 die damalige Bundesregierung Soldaten der Bundeswehr, um in der Autonomen Region Kurdistan Peshmerga praktisch im Kampf gegen den IS auszubilden. Auch Waffen wurden geliefert, darunter das Panzerabwehrsystem MILAN, das sich im Kampf gegen die „Mad-Max-Fahrzeuge“ des IS besonders bewehrte, wie heute noch Peshmerga-General Sirwan Barzani in seinem mit Elitesoldaten aufgestellten „Black-Tiger-Camp“ an der Grenze zum Zentral-Irak erzählt.

Im Dezember 2017 konnte der IS im Irak, im März 2019 auch in Syrien zerschlagen werden. Dennoch gelang es vielen IS-Überlebenden, sich in den Weiten der Anbar-Wüste und in abgelegenen Bergregionen des Nord-Irak zu verstecken. Es gibt nach wie vor IS-Zellen, die aus dem Untergrund heraus in Guerrilla-Taktik operieren und Anschläge auf Militär- und Polizeistationen begehen.

Aktuell sind Soldaten der Bundeswehr an den markierten Stellen in Erbil, Bagdad und auch Al-Asrak stationiert. Örtlich liegen sie damit zwischen dem Konflikt zwischen Israel und Iran. Foto: Illustration: Matthias Kehrein/Epoch Times

IS droht wieder zu erstarken

Am 2. Oktober etwa gerieten laut kurdischen Medienberichten vier Soldaten im Wādī az Zaytūn in der kurdischen Süd-Provinz As Sulaymānīyah in einen Hinterhalt des IS und wurden getötet. Am 14. Oktober führte laut Angaben des amerikanischen CENTCOM in Tampa, Florida, die irakische Luftwaffe einen Präzisionsschlag in der Nähe der nord-irakischen Stadt Kirkuk aus, bei dem vier IS-Terroristen getötet worden sein sollen. Solche Meldungen gibt es wöchentlich. Und auch in Deutschland tauchen vermehrt Attentäter auf, die im Namen des IS Anschläge hierzulande verüben oder verüben wollen, wie jüngst ein Libyer, der mutmaßlich beabsichtigte, im Auftrag des IS die israelische Botschaft in Berlin zu überfallen.

Die Gefahr, die vom IS ausgeht, ist nicht gebannt. Im Gegenteil, versucht diese Terror-Gruppe sogar wieder ihre Bewegungsfreiheit auszubauen. Es gibt offenbar mächtige Hintermänner aus benachbarten Staaten, die ein Interesse daran haben, dass der Irak instabil bleibt. Daher ist es unerlässlich, den Druck auf den IS aufrechtzuerhalten. Und deshalb nennt sich eine der beiden Missionen der Bundeswehr im Irak immer noch „Counter Daesh“ (Gegen den IS). Dieses Einsatzkontingent mit einer Stärke von 80 bis 90 Soldaten operiert von Erbil im Kurdengebiet aus.

Stammesstrukturen berücksichtigen

Ein Zusatz des deutschen Auftrages lautet „Capacity Building“, damit ist gemeint, die örtlichen Streitkräfte zu befähigen, sich auf moderner militärischer Ebene des IS zu erwehren. Die Peshmerga kämpften hundert Jahre lang aus ihren Bergen heraus für die Freiheit der Kurden. Der Sprung zu einer zeitgemäßen Armee ist für sie riesig, vor allem mentalitätsmäßig. Denn die irakischen Kurden sind in Stämmen organisiert. Eine moderne Armee bedarf jedoch einer stammesübergreifenden Struktur, was vor allem für die alten Sheikhs nur theoretisch nachvollziehbar ist.

Doch auch für solch eine sensible Herangehensweise ist die Bundeswehr im Irak anders aufgestellt als andere Nationen. In ihrem Kontingent gibt es stets zwei „Interkulturelle Einsatzberater“, Spezialisten also, die Land und Leute kennen. Auf diese Weise können die sozio-kulturellen Eigenheiten der irakischen Kurden berücksichtigt werden.

Mit der NATO in Bagdad

Neben dem Kampf gegen den IS beteiligt sich die Bundeswehr seit 2020 an der „NATO-Mission Irak“ in der Hauptstadt Bagdad. Dort werden das reguläre irakische Militär sowie weitere Sicherheitskräfte auf strategischer Ebene beraten und unterrichtet. Deutschland beteiligt sich etwa mittels einer Computerschule am Aufbau von militärischen IT-Kräften. Ziel ist es, den gesamten Irak wieder zu stabilisieren.

Iran-nahe Milizen ein Problem

Als Haupthindernis erweisen sich indes seit Ende des Kampfes gegen den IS die vom Iran finanzierten schiitischen Milizen. Etwa 60 von ihnen haben sich in einem Dachverband organisiert, dem Al-Haschd asch-Schaʿbī, im Westen bekannter unter der englischen Bezeichnung „Popular Mobilization Forces“ (PMF), also kurz „Volkskräfte“. Sie sind inzwischen offiziell in die irakische Armee integriert, handeln dennoch nach wie vor auf Anweisungen aus Teheran. Die PMF kontrollieren außerhalb der Kurdenregion mittels Check-Points alle wichtigen Verkehrsstraßen im Irak, beschießen gelegentlich amerikanischen Konvois und Stützpunkte, mit dem Ziel, die USA aus dem Irak zu vertreiben. Manche dieser Milizen schließen sich temporär unter der Bezeichnung „Islamischer Widerstand im Irak“ zusammen, um bestimmte Anschläge zu verüben. Dies geschah etwa am 22. September, als aus diesen Milizreihen heraus Raketen- und Drohnenangriffe auf Israel gestartet wurden.

An allen Fronten

Und findet sich die Bundeswehr mit ihrem Einsatzkontingent im Irak plötzlich mit allen Fronten konfrontiert. Dass es bisher zu keinen namhaften Vorfällen kam, spricht für die präzise Planung des Einsatzführungskommandos in Potsdam. Im Irak ist seit Beginn des Einsatzes nur ein Bundeswehrsoldat ums Leben gekommen: durch einen Herzinfarkt in seinem Container. Doch die Gefährdung der deutschen Soldaten steigt.

Seit dem Überfall der Hamas und der Hisbollah auf Israel könnten auch die Bundeswehrkontingente ins Visier der Fanatiker geraten. Da sich die Bundesregierung eindeutig zum Existenzrecht des Staates Israel bekennt, besteht bei anhaltendem Konflikt im Nahen Osten die Gefahr, dass die immer gewalttätiger ausgetragene israelfeindliche Randale von radikalen Muslimen auf den Straßen von Berlin auf „deutsche Ziele“ im Irak übergreifen könnte. Dies gilt weniger für den Einsatz im Kurdengebiet, wohl aber für die Soldaten in Bagdad und anderen Orten im Zentral-Irak.

Sinn und Zweck

Es gibt viele gute und richtige Argumente gegen jedweden Auslandseinsatz der Bundeswehr. Derzeit gibt es jedoch keine öffentliche Debatte um den Sinn, Zweck und Dauer des Irak-Einsatzes. Der Grund dafür dürfte sein – so hart es klingen mag: Es gibt keine toten deutschen Soldaten. Nichts Spektakuläres für die Öffentlichkeit. Also scheint der Irak-Einsatz nicht gefährlich zu sein, so die Annahme vieler, die sich doch gelegentlich damit auseinandersetzen. Entscheidender ist jedoch: Welche Konsequenzen hätte es, wenn sich die Bundeswehr nicht im Irak engagieren würde? Deutschland würde es – wie bereits im Geheimdienstbereich – anderen westlichen Staaten überlassen, für Schutz vor dem IS zu sorgen und diesen zu bekämpfen. Die Mehrheit der Abgeordneten des Deutschen Bundestages ist jedoch offenbar davon überzeugt: Nur wenn der Druck gegen diese Terrororganisation vor Ort aufrechterhalten wird, besteht eine Chance, deren Bedrohung der internationalen Sicherheit irgendwann zu stoppen. So oder so ähnlich wird zwar bei jedem Auslandseinsatz argumentiert, dadurch wird das Argument für ein deutsches Militärengagement im Irak jedoch nicht falsch. Da, wo sich der Westen zurückgezogen hat – Somalia, Afghanistan, Mali, Niger – haben sich die Verhältnisse stets verschlimmert und die Migration verstärkt.

Über den Autor:

Tom Goeller ist Journalist, Amerikanist und Politologe. Als Korrespondent hat er in Washington, D.C. und in Berlin gearbeitet, unter anderem für die amerikanische Hauptstadtzeitung „The Washington Times“. Seit April 2024 schreibt er unter anderem für die Epoch Times.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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