Ampel-Aus und Parlaments-Aus: FDP vor entscheidender Risikoabwägung
Nicht nur in Deutschlands Wirtschaft und bei den Verbrauchern ist die Stimmung auf dem Tiefpunkt. Auch die Ampelkoalition selbst kommt nicht zur Ruhe – wie der jüngste Konflikt um das EU-Lieferkettengesetz offenbart. Trotz des knapp gescheiterten Mitgliederentscheids ist das Thema „Ampel-Aus“ vorwiegend in der FDP nicht vom Tisch. Jüngste Umfragen sind Wasser auf die Mühlen derer, die nach einer Notbremse in Form eines Koalitionsausstiegs rufen.
Welcher Ausstiegszeitpunkt wäre für die FDP der am wenigsten riskante?
Gleich drei Institute sehen die Liberalen in ihren jüngsten Umfragen unterhalb der Fünf-Prozent-Hürde. Bis dato lautete eines der Hauptargumente gegen einen Koalitionsbruch, dass die Verursacher von Neuwahlen dafür vom Wähler bestraft würden. Dies würde unweigerlich zum Parlament-Aus für die FDP führen.
Mittlerweile zeichnet sich ab, dass auch ein Verbleib in der Ampel eine solche Konsequenz hätte. Die Partei hat vor diesem Hintergrund abzuwägen, welche Variante die längerfristig risikoärmere wäre – und gegebenenfalls wann es die beste Zeit wäre, um die Reißleine zu ziehen. Hinter den Kulissen soll es bereits Gedankenspiele in dieser Richtung geben.
Zu den denkbaren Optionen würde es gehören, die Koalition als Reaktion auf ein katastrophales Ergebnis bei der EU-Wahl oder nach den Landtagswahlen im Herbst zu verlassen. Denkbar wäre aber auch ein schnelleres Ende. Immerhin wäre mangels Fünf-Prozent-Hürde nicht mit einem Ende der liberalen Präsenz in Straßburg zu rechnen. Gleichzeitig könnte es der Partei in Thüringen und Sachsen sogar helfen, würde zeitgleich der Bundestag neu gewählt werden.
Lieferkettengesetz belastet Klima in Ampelkoalition
Derzeit ist das Veto der FDP bezüglich des EU-Lieferkettengesetzes der große Aufreger in der Ampelkoalition. Deutschland wird sich am kommenden Freitag, 9. Februar, in Brüssel deshalb wohl enthalten.
Juso-Chef Philipp Türmer fordert darob ein Machtwort von Bundeskanzler Olaf Scholz – und wirft den Liberalen vor, sich in der Koalition „wie ein bockiges Kind“ zu verhalten. Es ist nicht sicher, dass das Gesetz, das die Regierung Merkel 2021 auf den Weg gebracht hatte, auf EU-Ebene ohne Deutschland zustande kommt.
Unternehmen ab einer Größe von 500 Mitarbeitern oder einem Jahresumsatz von mehr als 150 Millionen Euro sollen demnach die „Einhaltung von Menschenrechten und Umweltschutz-Standards“ sicherstellen. Diese Verpflichtung soll nicht einmal nur sie selbst treffen. Sie müssten diese auch bei Lieferketten-Partnern in Schwellen- und Entwicklungsländern sicherstellen.
Vor allem würden sie umfassende Berichtspflichten treffen – und Konkurrenten aus anderen Ländern träfen solche Verpflichtungen häufig nicht. Dies sorgt nicht nur für Bürokratie, sondern auch für einen potenziell erheblichen Wettbewerbsnachteil. Deshalb hat sich die FDP dazu entschieden, diese zusätzliche Belastung für die Unternehmen nicht mitzutragen.
„Münchner Merkur“: FDP muss „historischen Irrtum korrigieren“
Das Lieferkettengesetz hat möglicherweise nicht ausreichend emotionalen Gehalt, um zu einem Auseinanderbrechen der Koalition zu führen. Allerdings ist die wirtschaftliche Lage im Land so durchwachsen, dass sich möglicherweise in der Energie- oder Haushaltspolitik potenzielle Reißleinen finden.
Selbst die jüngste Einigung auf eine Kraftwerkstrategie zwischen den Ministern Christian Lindner und Robert Habeck war ein Minimalkompromiss. Wie konkret die Umsetzung aussehen soll, ist nach wie vor ungeklärt. Die Grünen setzen auf Subventionen, die FDP auf Steuerentlastungen – und die Einbeziehung der CO₂-Speicherung stößt schon jetzt auf Widerstand aus der grünen Fraktion.
Georg Anastasiadis deutet im „Münchner Merkur“ an, dass Fragen wie die Reform des Arbeitsmarkts und die Senkung der Unternehmenssteuern zur Nagelprobe für die FDP werden könnten. Es deute wenig darauf hin, dass SPD und Grünen diese Frage zum Herzensanliegen werde. Aber für die Liberalen wäre es eine zentrale Frage der deutschen Wettbewerbsfähigkeit.
Es sei, so Anastasiadis weiter, ein „historischer Irrtum“ der FDP gewesen, mit den „übermächtigen staatsgläubigen Parteien SPD und Grüne“ zu koalieren. Nun sei sie in der Verantwortung, Schlimmeres zu verhindern:
„Sie muss den Weg freimachen für den Neuanfang, damit eine sich im Todeskampf dahinschleppende Regierung die Rechtsradikalen nicht noch stärker macht.“
Lindner: „Ampelkoalition gibt es wegen Markus Söder“
Auch Ulf Poschardt in der „Welt“ ist davon überzeugt, dass es nicht mehr ausreichen könne für die FDP, darauf zu verweisen, was sie in der Regierung verhindert hätte. Dafür gebe es keinen Dank mehr. Die Verhinderung des Schlimmsten „reicht nicht mehr, um den Wohlstand des Landes zu retten, geschweige denn zu wachsen“.
Parteichef Lindner gibt derweil der CSU die Schuld daran, dass es die Ampel überhaupt gibt. Bei einer Veranstaltung in Lübeck äußerte er, diese habe Armin Laschet die Gefolgschaft aufgekündigt und ihn damit für die Bundestagswahl beschädigt. Während andere Ausrutscher wie die „Lach-Affäre“ im Ahrtal als wesentlich für Laschets Wahlniederlage betrachten, ist Lindner sich sicher:
„Man kann ganz offen sagen, diese Ampelkoalition gibt es wegen Markus Söder.“
Risiko für Bundestags-Aus bleibt vorhanden – wird aber immer kalkulierbarer
Selbst wenn dieser Umstand die Entscheidung der FDP beeinflusst haben sollte, in die Ampel zu gehen, liegt es nun an ihr, die Risiken bezüglich einer möglichen Entscheidung abzuwägen, sie zu verlassen.
Mittlerweile scheint das Risiko, als Verursacher vorgezogener Wahlen unter die Räder zu kommen, relativ gesehen immer geringer zu werden. Ob die Partei im Bundestag bleiben würde oder nicht, ist ungewiss – ebenso wie ihr Verbleib in einer möglichen künftigen Regierungskoalition. Es besteht in jeder Konstellation, dass die Grünen weiterhin in der Regierung bleiben, dann unter einem CDU-Kanzler. Gegenwind durch den größten Teil der Medien hätte die FDP auch in beiden Fällen zu erwarten.
Andererseits gibt es aktuellen Umfragen zufolge eine nicht unerhebliche Anzahl an Bürgern, die der FDP ein Ende der Ampel danken würden. Vor allem aus der Union könnten Leihstimmen abfallen, um der Partei den Wiedereinzug zu sichern. Der nur mäßig beliebte Friedrich Merz wäre kein Kanzlerkandidat, der Unionswählern einen solchen Schritt übermäßig erschweren würde.
Außerdem könnte sich die FDP möglicherweise trotz ihrer Vorstellung in den Ampel-Jahren als Bannerträgerin zumindest einiger wirtschaftsliberaler Positionen inszenieren. Immerhin ist dies eine Qualität, die man Protestparteien wie AfD oder BSW nur bedingt zutraut. Auch drängt sich kein zwingender Lindner-Nachfolger auf für den Fall, dass die Operation schiefgeht. In Summe wäre ein Ampel-Aus für die Liberalen zumindest ein kalkulierbares Risiko.
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