Andersdenkende unter sich: Am Sonntag heißt es „Deutschland spricht“
Bei umstrittenen politischen Themen rasten manche gleich aus. Menschen mit gegensätzlichen Standpunkten können sich oft kaum an einen Tisch setzen, ohne laut zu werden. Polarisierung nennen das einige, Kultur der Sprachlosigkeit andere. Die von „Zeit Online“ zusammen mit einer Reihe weiterer Medien initiierte Aktion „Deutschland spricht“ versucht es trotzdem: Am 23. September treffen sich in allen Teilen Deutschlands Menschen zu zweit, um sich mit einem Gegenüber zu unterhalten, von dem sie wissen, dass derjenige politisch anders tickt als sie. Die Schirmherrschaft hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier übernommen.
Nach Angaben von „Zeit Online“ haben sich bis Ende August rund 28 000 Interessenten dafür angemeldet. Bei der Premiere vor der Bundestagswahl 2017, für die „Zeit Online“ mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet wurde, waren es erst 12 000.
Die beteiligten Medien haben ihren Lesern zunächst Fragen gestellt wie „Sollte Deutschland seine Grenzen strikter kontrollieren?“, „Sollte Fleisch stärker besteuert werden, um den Konsum zu reduzieren? oder „Können Muslime und Nicht-Muslime in Deutschland gut zusammen leben?“. Wer bei „Deutschland spricht“ mitmachen will, musste sie beantworten. Anschließend hat eine Software das sogenannte Matching übernommen: „Der Algorithmus sucht Paare, die im Sinne unserer Aktion möglichst gut passen – also Menschen, die mit ihren Meinungen weit auseinanderliegen, aber nah beieinander leben, damit sie sich gut treffen können“, erklärte „Zeit Online“-Chefredakteur Jochen Wegner das Prinzip.
Knapp zwei Wochen nach Ende der Bewerbungsfrist standen 10 293 infrage kommende Paare fest, mehr als 4000 davon treffen sich am Sonntag, nachdem beide Gesprächspartner ihre Verabredung im Café, Biergarten, Stadtpark oder anderswo inzwischen bestätigt haben. Rund 60 Prozent der Teilnehmer kommen aus Großstädten, nur 14 Prozent aus ländlichen Regionen. Ostdeutsche sind „Zeit Online“ zufolge mit 16 Prozent leicht unterrepräsentiert – angesichts von 22 Prozent der Deutschen, die in den östlichen Bundesländern und im östlichen Teil Berlins leben.
Wie die zu beantwortenden Fragen bewertet werden, entscheidet sich allerdings weniger an der Herkunft aus Ost und West, als zum Beispiel am Alter und Geschlecht: „Am meisten trennt junge Frauen und alte Männer“, lautet ein Fazit nach der Auswertung.
Bei einigen der Fragen ist das Bild sehr klar: So gaben 85 Prozent an, Muslime und Nichtmuslime in Deutschland könnten gut zusammen leben, und 70 Prozent der Teilnehmer sind gegen strengere Grenzkontrollen. Deutlich umstrittener ist beispielsweise die Frage, ob Innenstädte autofrei werden sollten: 63 Prozent sind dafür, 37 Prozent dagegen. Da gibt es noch viel zu diskutieren.
Und was bringt das? „Es wäre vermessen, zu glauben, dass man durch Sprechen allein die Welt verändert“, sagte Jochen Wegner. „Der Zauber liegt aber schon in der Tatsache, dass sich zwei Menschen, die sich normalerweise nicht begegnen würden, treffen – und wissen, der hat zu fünf oder sieben Fragen genau das Gegenteil geantwortet wie ich.“
Schon beim ersten Mal seien Teilnehmer erstaunt aus dem Gespräch gekommen, weil sie festgestellt hätten, dass sie gut nachvollziehen konnten, was der andere gesagt habe. „Hat das jetzt die Welt verändert?“, fragt Wegner. „Nein, aber es hat vielleicht den einen Gesprächspartner verändert.“
Am Projekt „Deutschland spricht“ sind eine Reihe von Medienhäusern beteiligt: Neben „Die Zeit“ und „Zeit Online“ engagieren sich „Der Spiegel“, „Süddeutsche Zeitung“ und „SZ.de“, die Südwest-Presse, „Der Tagesspiegel“, die „Schwäbische Zeitung“, „tagesschau.de“ und „Tagesthemen“ (ARD-aktuell), „t-online.de“, die „Landeszeitung Lüneburg“, „Chrismon“ und „evangelisch.de“ sowie dpa. (dpa)
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion