Zu Tisch! Die Kunst des guten Geschmacks
Wann und wodurch entstanden Essmanieren und die bürgerliche Tischkultur? Welche kuriosen Prunkstücke kamen im 16. und 17. Jahrhundert am Tisch zum Einsatz? Epoch Times sprach mit Andrea Jahn, Direktorin des Saarlandmuseums, über abenteuerliche Fantasiekreationen und aufwendige Tischinszenierungen am fürstlichen Hof.
Noch bis zum 16. Oktober 2022 lädt die Alte Sammlung des Saarlandmuseums zur Ausstellung „Zu Tisch! Die Kunst des guten Geschmacks“ in das Kreisständehaus zu einem facettenreichen Kunstmenü rund um das Thema Esskultur ein.
Worauf kann man sich als Besucher freuen, wenn man die Ausstellung „Zu Tisch!“ besucht? Was erwartet einen?
Wir wollten keine klassische Ausstellung machen, sondern das Thema Tischkultur bewusst in den Mittelpunkt rücken als etwas, das auch in engem Zusammenhang zu unserem eigenen Leben steht. Aus der absolutistischen Tradition beziehungsweise aus der absolutistischen Form des Repräsentierens ist letztendlich unsere bürgerliche Tischkultur entstanden. Wir, die Bürgerlichen, haben versucht, dem Adel nachzueifern. Spätestens ab dem 19. Jahrhundert, als der Reichtum auf einen größeren Teil der Bevölkerung übergegangen ist.
Wie kam es zur Entstehung der Ausstellung? Was war hier das besondere Anliegen der Stiftung?
Diese Dinge zu vermitteln und sie für das Publikum nachvollziehbar zu machen, ist unser Anliegen. Den Zusammenhang herzustellen zu unserer eigenen Geschichte hier im Saarland, die gerade auch mit der Porzellanmanufaktur einhergeht. Porzellane wurden in absolutistischer Zeit in Europa als das Weiße Gold bezeichnet. Es war noch viel wertvoller als Silber und Gold. Die Fürsten haben in die Staatskasse gegriffen, sie geplündert, um die Porzellanmanufakturen am Laufen zu halten.
Wann und wodurch sind Essmanieren und die Tischkultur entstanden?
Unter der Herrschaft Ludwigs des XIV. Im Grunde entwickelte sich eine ganz neue staatliche Organisation. Man ging weg von den kleineren Machtzentren, es hat sich alles zentralisiert. Eine Einzelperson war die zentrale Anlaufstelle, die auch letztlich die göttliche Macht beansprucht hat. Er hat seine Macht an die anderen weitergegeben. Man muss sich das vorstellen wie Revierkämpfe, die stattgefunden haben. Im Mittelalter wurden diese tatsächlich mit Degen und Schwert ausgefochten.
Es gibt Berichte aus dieser Zeit, die belegen, was für ein enormer Aufwand betrieben wurde, um die höfischen Sitten umzusetzen. Das hat sich von Ludwig, dem XIV. ausgehend fortgesetzt. Diese Gepflogenheiten wurden an allen europäischen Fürstenhöfen eingeführt. Wer mithalten wollte, versuchte dem möglichst präzise nachzueifern. Das gelang allerdings den wenigsten, da enorme Summen notwendig waren, um sie überhaupt aufrechtzuerhalten.
Inwieweit hat sich die Ess- und Tischkultur im Laufe der Zeit verändert? Worauf wird heute weniger Wert gelegt als früher?
Mit dem Bürgertum hat sich der repräsentative Aspekt reduziert. Es ist nun für alle zugänglich und kein Prestigeobjekt mehr. Es gibt heute auch ungemein teure Besteck-Designs und dergleichen, es ist zu einer Industrie geworden. Heute ist es ein Massenphänomen. Damals war es aber etwas für eine ganz ausgesuchte kleine Gruppe, die das untereinander teilen konnte.
Was waren im 17. und 18. Jahrhundert besondere Prunkstücke am Tisch, die heute so nicht mehr zum Einsatz kommen?
Das war damals ein richtiges Spektakel. Es gibt unterschiedliche Formen: Der Service à la française, wo alle Speisen gleichzeitig aufgetragen wurden. Heute ist es üblich, einen Gang nach dem anderen zu servieren, damit die Speisen auch warm bleiben. Damals hat man aufwendige Hauben konstruiert, mit denen das Essen abgedeckt wurde. Es wurden tatsächlich auch riesige Tischaufbauten konstruiert. Tischler und Schreiner waren am Werk, die dafür gesorgt haben, dass Tierskulpturen, beispielsweise ein ganzer Schwan am Tisch inszeniert wurde.
Das Stück wurde dann mit Pralinés dekoriert. Man dachte sich die abenteuerlichsten Fantasiekreationen aus. Exotische Früchte kamen zum Einsatz, Tierskulpturen, die man gar nicht essen konnte, die aber wunderschön ausgesehen haben, wie zum Beispiel ein Pfau, der auf dem Tisch sein Rad schlägt. Drumherum wurde dann noch alles Mögliche an Getränken gruppiert. Der Fantasie waren keine Grenzen gesetzt. Der halbe Hofstaat war damit beschäftigt, nur für diese Inszenierung zu sorgen.
Die Ausstellung lebt von der Spannung zwischen Tradition und Gegenwart. In der Ausstellung wird ein Dialog zwischen alten Objekten und zeitgenössischer Kunst gezeigt. Die Esskultur wurzelt in der Tradition. Was können wir als Gesellschaft heute aus der Tradition schöpfen?
Die Auseinandersetzung mit der Tradition ist ganz wichtig, denn es ist unsere eigene Geschichte. Vieles von dem, was wir heute noch an kulturellen Gepflogenheiten haben und an Objekten besitzen, hängt mit der Entwicklung der Gesellschaft und von Individuen zusammen. Wir kennen es auch von unseren Familiengeschichten. Dinge werden ganz bewusst aufbewahrt. Man schätzt das Porzellan von der Oma, weil die Oma eine ganz wichtige Bezugsperson war und man aus bestimmten Tassen oder Gläsern mit ihr gemeinsam getrunken hat.
An diesen Gegenständen macht sich etwas fest. Es ist ein Bezug vorhanden. Dieser persönliche Bezug ist ganz wichtig, wie es ja auch mit Schmuckstücken der Fall ist. Diese Gegenstände haben zum einen eine gesellschaftliche Funktion, zum anderen tragen sie etwas sehr Persönliches mit sich. Das zu haben, ist ein unglaublicher Schatz. Das können auch ganz einfache Dinge sein.
Heutzutage ist es weniger bedeutend, ob das ein Luxusobjekt ist, ein diamantbesetztes Collier. Es ist für viele viel eher die emotionale Verbundenheit, die sich über solche Objekte mitteilt. Das finde ich ganz wichtig. Es kann auch generationsübergreifend sein. Es hat in der Vergangenheit eine wichtige Rolle gespielt, auch um den Familienzusammenhalt herzustellen. Heute ist es für uns ein persönliches Erinnerungsstück.
Ein kulturelles Bewusstsein ist wichtig, weil wir damit unser Wissen und all jenes, das uns geprägt hat, greifbar machen und mitnehmen können. Ein Mensch ohne Kultur ist ein ganz armes Wesen, Kultur zeichnet die Menschheit aus. Wir bringen Kunstwerke und kulturelle Erzeugnisse hervor, die beweisen, dass wir nicht nur destruktiv sind. Das sind die zwei Seiten der Menschheit: Auf der einen Seite grandiose Errungenschaften, fantastische Erfindungen, die unser Leben auf dieser Welt bereichern. Auf der anderen Seite die unglaubliche Destruktivität und Neigung zur Selbstzerstörung, wie wir das jetzt gerade mit dem Ukrainekrieg mitbekommen.
Das sind eher philosophische Überlegungen, die man hat, wenn man im Museum arbeitet und sieht, wie großartig menschliche Leistung sein kann und dass wir das mit allen Mitteln bewahren wollen. Das, was uns unsere Vorfahren hinterlassen haben, bringt uns auch immer wieder ein Stück weiter.
Das Interview führte Ani Asvazadurian.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 54, vom 23. Juli 2022.
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