William Turner – Reisender durch Farbe, Licht und Zeit
Als Sohn eines Barbiers und Perückenmachers und dessen Frau wird Joseph Mallord William Turner am 23. April 1775 in London geboren. Über 76 ereignisreiche, abenteuerliche und unermüdlich arbeitsame Jahre später, am 19. Dezember des Jahres 1851, stirbt er in seiner Geburtsstadt und vermacht dem englischen Staat sämtliche Werke aus seinem Privatbesitz – mehr als 20.000 an der Zahl.
Angefochtenes Testament und Glücksfall
Ausdrückliche Bedingung ist es, dass alle vollendeten Gemälde, wenn möglich unter einem Dach, immer wieder öffentlich gezeigt werden sollen. Darüber hinaus hat Turner in seinem letzten Willen verfügt, dass sein beträchtliches Vermögen von 140.000 Pfund Sterling in einer Stiftung für notleidende Künstler anzulegen sei.
Doch Cousins des zeitlebens unverheiratet gebliebenen Turner fechten das Testament an – mit finanziellem Erfolg. Das künstlerische Erbe des Malers bleibt hingegen weitgehend unangetastet in staatlicher Hand.
Ein Glücksfall, denn nur wenigen Künstlernachlässen ist es vergönnt, in so großem Umfang und auf Dauer zugänglich und sichtbar zu bleiben.
Magnetische Anziehungskraft
In der National und der Tate Gallery in London üben Turners Gemälde und Aquarelle auch heute noch eine geradezu magnetische Anziehungskraft auf Kunstbegeisterte aus aller Welt aus. 80 Werke sind nun aus London nach München gereist, um fern der britischen Insel auf dem Kontinent bewundert werden zu können.
Vermutlich hätte William Turner, der sich zeitlebens für Architektur und Technik begeisterte, seine Freude an dem ungewöhnlichen Münchner Ausstellungsort. Beim sogenannten Kunstbau des Lenbachhauses handelt es sich um eine unterirdische Kunsthalle, deren lang gestreckter Grundriss den des exakt unter ihr liegenden Untergrundbahnhofs nachzeichnet.
Während also ein Stockwerk tiefer Züge im Minutentakt abbremsen und beschleunigen, wandern Betrachter von Exponat zu Exponat und versinken in den Bildwelten des Romantikers, dessen Lebenszeit von alles verändernden rasanten technischen Entwicklungen und revolutionären Umwälzungen geprägt war.
Das Skizzenbuch – ein ständiger Begleiter
In William Turners Kindheit und Jugend ist davon jedoch noch kaum etwas zu erahnen. Der Junge verbringt viel Zeit bei Verwandten auf dem Land. Als er elf Jahre alt ist, erkrankt seine Mutter schwer und er wird nun ganz von der Familie seines Onkels mütterlicherseits aufgenommen, der ebenso wie Williams Großvater Metzgermeister ist.
In dem kleinen Landstädtchen Brentford, 13 Kilometer vom Londoner Zentrum entfernt, geht er auch zur Schule. Sein ungewöhnlich großes zeichnerisches Talent scheint sich hier schon bald gezeigt zu haben, denn nur wenig später koloriert er bereits wertvolle Kupferstiche aus der umfangreichen Sammlung eines Brentforder Kunstliebhabers.
Von dem gerade Zwölfjährigen stammen dann die ersten eigenständigen auf das Jahr 1787 datierten und signierten Aquarelle. Gleichzeitig beginnt er mit ausgedehnten Streifzügen durch die Natur, bei denen er sein allererstes Skizzenbuch mit Zeichnungen füllt, das der Vater Williams voll Freude über die Begabung des Sohnes gemeinsam mit ihm gebunden hat.
Von nun an sind Skizzenbücher William Turners treue, lebenslange Begleiter. In ihnen hält er Eindrücke und Stimmungen mit Bleistift und Aquarellfarben fest und schärft dabei seine Wahrnehmung und sein Können unermüdlich weiter.
Historische und persönliche Wendezeit
Im Barbiergeschäft, das unweit der Londoner Kunstakademie liegt, stellt der Vater die Arbeiten des Sohnes erstmals aus und weckt so für sie lebhaftes Interesse. Während sich im Frankreich des Jahres 1789 ein blutiger Umsturz anbahnt, ereignet sich für den 14-Jährigen in London eine freudvolle Lebenswende. Ein Stipendium ermöglicht ihm das Studium an der besten Akademie des Landes: der Royal Academy of Arts.
William Turner nimmt sein Studium und die Kunst aber nicht nur um ihrer selbst willen sehr ernst, sondern auch als Arbeit und echten Broterwerb. Bald verdient er sich zusammen mit seinem gleichaltrigen Künstlerfreund Thomas Girtin seinen Lebensunterhalt, indem er dekorative Perspektiven, Architekturzeichnungen, topographische Aquarelle und Vorlagen für Kupferstiche von Landschaften erstellt.
Unermüdlich und erfolgreich
Dafür unternimmt er ab 1792 Reisen nach Wales und in den malerischen Lake District im Norden Englands. Immer mehr Kunstkenner werden auf William Turner aufmerksam, so auch der Architekt und Sammler John Sloane, in dessen bis dato unverändertem Londoner Privathaus man auch heute noch die Arbeiten bestaunen kann, die Sloane ab den 90er-Jahren des 18. Jahrhunderts von William Turner erwarb.
Neben meisterhafter Beherrschung von Zeichen- und Aquarelltechnik rückt in William Turners Studienjahren auch die Ölmalerei immer stärker in den Fokus seiner kaum stillbaren künstlerischen Neugier.
Mit 21 Jahren stellt er sein erstes großes Ölgemälde „Fischer auf See“ aus und wird schon mit 24 Jahren zum außerordentlichen Mitglied der Royal Academy ernannt, was einem künstlerischen Ritterschlag gleichkommt.
Durch Auftraggeber und Sammler schon früh finanziell unabhängig geworden, bleibt er dennoch unverändert wissbegierig und unternehmungsfreudig.
Er bereist 1801 Schottland und ein Jahr darauf – während eines kurzen, friedlichen Intermezzos zwischen zwei Napoleonischen Kriegen – Frankreich und die Schweiz. Als unschätzbar wertvolle Souvenirs bringt er gefüllte Skizzenbücher, prägende Eindrücke und neue Werkideen mit zurück.
Ideenreichtum und große Wirkung
Neue Wege geht er auch in der Präsentation seiner Arbeiten. Schon 1804 lässt er einen Gebäudetrakt an sein Londoner Wohnhaus anbauen, der ausschließlich der Ausstellung eigener Kunstwerke gewidmet sein soll, was in der englischen Kunstwelt ein fast skandalöses Novum darstellt.
In gewisser Hinsicht nimmt er hier schon den Gedanken voraus, ein Oeuvre in seiner Entwicklung sichtbar werden lassen zu wollen, eine Idee, die er in seinem letzten Willen wieder aufgreifen wird.
Wie prägend die facettenreiche Künstlergestalt William Turner für Kunstgeschichte und -vermittlung in seiner Zeit und weit darüber hinaus war und ist, ist tatsächlich kaum zu ergründen.
Als langjähriger Professor für Perspektive an der Royal Academy, als neugierig reisender, genau beobachtender und lustvoll experimentierender Künstler hat er seine Epoche in unvergleichlicher Weise geprägt, so wie auch er und seine Kunst sich von genauer Beobachtung, Reisen, der Epoche, ihrer Architektur und ihren technischen Umwälzungen beeinflussen ließen.
Leidenschaftliches Interesse für die Naturkräfte
So bringt er von ausgedehnten Italienreisen eine völlig neue Auffassung von der Darstellung des Lichts in Aquarell und Ölgemälde mit.
Und immer stärker wächst mit den Jahren seiner langen Künstlerlaufbahn sein geradezu leidenschaftliches Interesse an den Urgewalten der Natur.
Nebel, Sonnenlicht, Feuer, Wassermassen, Gischt, Wind und Geschwindigkeit, die wirkenden und doch so schwer fassbaren Kräfte von Natur und Technik ziehen Turner immer mehr in ihren Bann.
Insgesamt über 550 Ölgemälde, 2.000 Aquarelle und über 30.000 Zeichnungen, Kupferstiche und Skizzen umfasst Turners Werk.
Wagemutig und facettenreich
Erstaunt und begeistert kann sich der Betrachter und die Kunstgeschichte immer neue Wege durch dieses einzigartige Oeuvre bahnen. Jeder Weg zeigt einen anderen Turner und doch immer denselben Menschen und Künstler, der sich furchtlos der selbst gewählten Aufgabe stellt, Bilder von der Schönheit und den unergründlichen Wundern und Geheimnissen der Welt zu erschaffen.
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