Wiedererweckte Märchen: Familie Glück und ihr alter Schatz

Das jüngst veröffentlichte Märchenbuch „Glücks Märchen“ hat eine lange und bewegte Entstehungsgeschichte. Jetzt laden seine zeitlos schönen Geschichten zum Lesen und Vorlesen ein.
Titelbild
Illustration „Der Wolkenhund“ von Frank Herrmann für das Märchenbuch Glücks Märchen, 1950er-Jahre.Foto: Michael Glück Verlag
Von 20. Mai 2024

Jahrelang schlummerte ein Manuskript unveröffentlichter Märchenerzählungen auf einem Berliner Dachboden – bis es 
dort vom Ehepaar Glück entdeckt und als Familienschatz verwahrt wurde.

Im noch unzerstörten Berlin Lankwitz des Jahres 1943 brachten der erfolgreiche Anthropologe und die Schauspielerin, Julius und Hanna Glück, voller Entdeckerfreude das dicke Konvolut beschriebener Blätter vom Dachboden jedoch hinunter in ihre Mietwohnung.

Sicher gefiel den Glücks auch der Gedanke, ihrem gerade geborenen Sohn Michael eines Tages aus diesem alten Manuskript vorlesen zu können.
 Doch es kam ganz anders.

Bleibende Erinnerung

Sohn Michael Glück, heute 81 Jahre jung, erinnert sich an die Berichte seiner Mutter, die von der Bombennacht im Jahr 1944 erzählte, in der nicht nur der geheimnisvolle Märchenschatz, sondern auch das ganze Haus mit all seinen Wohnungen ein Raub der Flammen geworden war.

Nur die Kasperlepuppe des Kindes und die Kleidung, die sie am Körper trugen, seien der Familie geblieben. Und doch: Die Glücks waren dankbar, wenigstens mit dem Leben davongekommen zu sein.

Vielleicht waren es gerade diese erschütternden Erlebnisse, die Schrecken und Ängste des Krieges, die bei Hanna und Julius Glück die Erinnerung an den wundersamen Märchenfund so wach und lebendig hielten.

Eltern und Märchenerzähler Hanna und Julius Glück Anfang der 1950er-Jahre. Foto: Mit freundlicher Genehmigung von Michael Glück

Das Rätsel, wer wohl der Autor oder die Autorin der fantasievollen Geschichten gewesen sein mochte, blieb auf ewig ungelöst. Doch so sehr waren die scheinbar endgültig verloren gegangenen Märchen in den Gedanken der Eltern gegenwärtig, dass sie Anfang der 1950er-Jahre begannen, die einzelnen Geschichten aus dem Gedächtnis nachzuerzählen und diese Nachdichtungen aufzuschreiben.

Wiedererweckte Märchen

Inzwischen war auch Tochter Petra geboren worden. Die mittlerweile Vierjährige und ihr Bruder Michael wurden zu den ersten Hörern der wieder zum Leben erweckten Märchen. Abends beim Zubettgehen setzten sich Vater Julius und Mutter Hanna an die Kinderbetten und erzählten ihren Kindern diese Geschichten.

Illustration zu „Das Sonnenmädchen“ aus dem Märchenband Glücks Märchen, kolorierte Zeichnung von Frank Herrmann, 1950er-Jahre. Foto: Michael Glück Verlag

Noch jahrelang sei ihm dabei nicht bewusst gewesen, berichtet Michael Glück heute, dass er und seine kleine Schwester so den Ergebnissen eines gemeinsamen literarischen Projektes der Eltern lauschen durften. Beide Geschwister hätten die Märchenerzählungen der Eltern einfach nur genossen, erinnert sich Michael Glück.

An den tiefen Seufzer seiner kleinen Schwester, die Märchen seien dann besonders schön, „wenn man vor lauter Freude weinen muss“, denkt der Bruder voll Herzlichkeit zurück.

Kinder lieben Märchen

Diese so persönlichen Erinnerungen an die freudvolle Innigkeit, mit der die beiden Kinder die Märchenerzählungen aufnahmen, sind ein eindrucksvoller Beleg für die Thesen des österreichisch-amerikanischen Kinderpsychologen Bruno Bettelheim.

1976 in New York als „The Uses of Enchantment: The Meaning and Importance of Fairy Tales“ erschienen, werden sie ab 1977 unter dem Titel „Kinder brauchen Märchen“ auch im deutschsprachigen Raum ein überwältigender Erfolg.

 Bettelheim ergreift in seiner psychologischen Betrachtung explizit Partei für die literarische Gattung des Märchens. Just in einer Dekade, in der sie von akademischer Seite besonders scharf kritisiert wird.

Märchen seien –  so die seit 1968 immer öfter erhobene sozialwissenschaftliche Anklage – angsterzeugende Mittel der Unterdrückung und Lenkung und als solche nicht kindgemäß und abzulehnen.

Illustration zu „Die versunkene Stadt“ aus dem Märchenband Glücks Märchen, kolorierte Zeichnung von Frank Herrmann, 1950er-Jahre. Foto: Michael Glück Verlag

Hören, miterleben, seelisch wachsen

Der Kinderpsychologe Bruno Bettelheim hingegen beschreibt in „Kinder brauchen Märchen“ die erstaunliche Ähnlichkeit von kindlichem Fühlen und Erleben mit der Märchenwelt. Ebendiese Verwandtschaft sei es, die Märchen für Kinder so anziehend und wertvoll machten.

In der besonders wichtigen Phase der kindlichen, seelisch geistigen Entwicklung, seien gerade märchenhafte Geschichten für Kinder eine wunderbare Möglichkeit, Ängste und Freuden in der Fantasie zu durchleben.

Die an Sicherheit grenzende Gewissheit, alles werde sich zum Guten wenden, führe das Kind geradezu spielerisch durch Tiefen und Höhen der menschlichen Existenz.

Eingebettet in die kindliche Sehnsucht nach fantasievollen und abenteuerlichen Erlebnissen, würden dadurch, so Bruno Bettelheim, krisenhafte Situationen beispielhaft durchlebt.

Sieg von Güte und Gerechtigkeit

Der Lohn dieses Miterlebens ist wiederum die Freude über Glück und Gerechtigkeit, die den Märchenhelden zu guter Letzt widerfahre. So reife in Kindern, die sich mit den Märchenfiguren identifizierten, zukunftsfrohes Selbstbewusstsein.

Bruno Bettelheim bezieht sich besonders auf die archaischen Erzählungen und Muster alter Volksmärchen, doch auch die Glücks Märchen tragen diese wunderbare Kraft, Kinder zu Miterlebenden zu machen, in sich. So sehr, dass Freudentränen fließen können, wenn Glücksche Märchenfiguren Gefahren trotzen und Abenteuer bestehen.

Edle Herzen und gute Taten

Besiegen eine kleine Heldin und der freundliche Wolkenhund eine freche Hexe, die arme Wolken mit Zauberfäden an die alte Eiche festgebunden hat und diese wieder in die Freiheit schweben dürfen, jubelt jedes Kinderherz.

Das Zwerglein Dschibi und ein Mäuserich grüßen sich freundlich. Kolorierte Zeichnung von Frank Herrmann, 1950er-Jahre aus dem Märchenband. Foto: Michael Glück Verlag

Auch wenn das Zwerglein Dschibi – zuerst wegen seiner Gestalt verlacht – durch frohe Unverdrossenheit und Freundlichkeit über sich hinaus wächst und anderen zum wunderbaren Helfer wird oder der arme Bursche Kasimir von seinen Freunden, den Tieren des Waldes, vor falscher Anklage gerettet wird – immer siegt der gute Wille edler Herzen über Angriffe und Gefahren.

Begeisterte Zuhörer: Michael und Petra Glück, Anfang der 1950er-Jahre. Viele Jahre später veröffentlichte Michael Glück nun das Märchenbuch seiner Eltern. Foto: Mit freundlicher Genehmigung von Michael Glück

Auch Erwachsene verzaubert der Charme der feinsinnigen, bildhaften Erzählweise, die schönen vignettenhaften Illustrationen und die qualitätvolle, 
buchbinderische Gestaltung des Märchenbuches.

Freude am Vorlesen und Lauschen

Was einst entdeckt, verloren, nacherzählt und schließlich wieder zum privaten Familienschatz wurde, steht durch das Engagement des Journalisten und Verlegers Michael Glück inzwischen vielen Familien zur Verfügung.

Beim Vorlesen und gespannten Lauschen werden diese Märchen Großeltern, Eltern und Kinder ab vier Jahren gleichermaßen beglücken, die Herzen erwärmen und liebevolle Nähe schenken.

„Glücks Märchen“, erschienen beim Michael Glück Verlag, 267 Seiten, mit vielen farbigen Abbildungen, www.michael-glueck-verlag.de. Dort erhältlich zum Preis von 32,50 Euro, ISBN 9783982141008. Für Kinder ab vier Jahren geeignet. Innerhalb Deutschlands versandkostenfrei.



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