Wie tibetische Künstler ihre Umgebung sehen
Maler haben den Pinsel mit der Kamera vertauscht – elf tibetische Künstler der Gendün Chöpel Gallery in Lhasa, die meisten von ihnen auch international in Galerien vertreten, wurden für diese Ausstellung gebeten, ihren Alltag in Lhasa aus ganz persönlicher Sicht zu dokumentieren.
Aus den von ihnen eingesendeten rund 700 Fotos sind 32 in der Ausstellung zu sehen, genügend, um unerwartete Facetten zu entdecken und unser Bild vom heutigen Tibet auf solide Füße zu stellen. Wer hätte schon erwartet, hier Fotos von einem Fest muslimischer Tibeter zu sehen? Eine alte Moschee, einen kleinen Jungen in tibetischem Festgewand mit typischer muslimischer Kopfbedeckung, muslimische Frauen mit Schador? Dazu der dezente Hinweis der Kuratorin, dass sogar der Provinzgouverneur zu diesem Fest gekommen war.
Islam neben Buddhismus
Suo Mani, der Künstler und Fotograf dieser Bilder, ist Maler, wie alle Fotografen dieser Ausstellung. Er hat in Lhasa an der Kunstfakultät studiert und er lebt, wie die anderen Künstler auch, in Lhasa. Er ist Muslim, gehört zu der großen Gruppe von Muslimen, die vor Jahrhunderten von Kaschmir eingewandert sind und schon immer friedlich mit den überwiegend buddhistischen Tibetern zusammen leben.
Eine Reihe von drei Fotos eines anderen Künstlers zeigt den Niedergang der berühmten buddhistischen Klosteranlage Drepung, ehemals eine hoch geschätzte Klosteruniversität. Drepung, Jahrhunderte lang beliebtes Ziel von Pilgern, scheint inzwischen verkommen zu einem großen Freilichtmuseum, rote Pfeile an den alten Mauern weisen dem Touristen den Weg. Noch bis 1959 lebten hier bis zu 10.000 Mönche. Jetzt sind es höchstens noch einige Hundert. Resultat der chinesischen Kulturrevolution (1966 – 1976). Auch die später von Deng Xiaoping eingeleitete Liberalisierung und eine Zeit relativer Ruhe konnte das Rad nicht mehr zurück drehen. Inzwischen haben sich die Spannungen zwischen Tibetern und der chinesischen Obrigkeit wieder deutlich verstärkt.
Moderne neben Tradition
Tradition und moderne Technik – ein Widerspruch im heutigen Tibet? Mehrere Fotos belegen das Gegenteil. Die vielschichtige moderne Gesellschaft in Tibet wird bei uns weitaus seltener wahrgenommen, als die Berichte über Unterdrückung und Mythen. Ein Bild aus dem Alltag zeigt einen Mann und eine Frau; sie sitzen an einem Tisch, sie hat eine Thermosflasche vor sich, er eine traditionelle Schale mit Buttertee. Sie liest in buddhistischen Schriften (die standardisierte tibetische Schrift wurde bereits im 7. Jh. im tibetischen Großreich unter König Songtden Gampo entwickelt), während der Mann das Handy ans Ohr hält. Handys seien in Tibet der Renner, jeder Tibeter habe mindestens eins, auch die Nomaden, so Elke Hessel, die Kuratorin der Ausstellung. Elke Hessel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Tibethaus Deutschland e.V. Sie hat ihre langjährigen, engen Kontakte zu den Künstlern genutzt und diese zu den Fotos animiert.
Tradition neben Moderne auch auf dem Foto „Großmutter und Enkelsohn“. Sie sitzen nebeneinander vor dem Haus, die Großmutter mit den traditionellen Ärmelschonern, eine Birne schälend, der Junge im Jogging-Anzug, ein Comic-Heft lesend. Warum im Jogging-Anzug? Es ist die vorgeschriebene Schulkleidung, auch im meist sehr kalten Lhasa. Die billige Form der Globalisierung wird hier spürbar. Ebenso wie auf dem Foto „Kleinkind mit Puppe“. Die Puppe hat westliches Aussehen und ist fast so groß wie das Kind selbst. Dieses schaut mit Befremden in die Kamera. „Spielzeug“ war bisher in Tibet nicht gebräuchlich.
Reiterfeste sind im höchst gelegenen Land der Welt noch immer sehr beliebt, auch wenn der Staub nur so aufwirbelt. Geschicklichkeit und Schnelligkeit sind bei Reiter-Wettbewerben gefordert. Zum Beispiel muss der Reiter während des schnellen Ritts vom Pferd aus den am Boden liegenden weißen Katak, das tibetische Ritualtuch, aufheben und andere artistische Übungen auf dem Pferderücken vollführen. Ein Foto zeigt farbenprächtig geschmückte Pferde und Reiter, Freude und Stolz der Tibeter werden spürbar. Das Foto hängt neben einer Aufnahme, die den Künstler selbst zeigt, die Arme in ganz untibetischer Haltung ausgebreitet vor dem „Vogelnest“, dem Pekinger Olympia-Stadion von 2008, mit gemischten Gefühlen, wie es scheint.
Kunst und die Sehnsucht nach Freiheit
Einige Künstler-Fotografen haben ihre eigene Kunst als Gegenstand genommen. Wie den massiv rot gestrichenen Käfig, über dem hoch in den Lüften ein Adler kreist. Gefangen im roten Käfig der Kommunistischen Partei, der Adler als Symbol der ersehnten Freiheit? Selbst wenn der Künstler dies mit seinem Werk ausdrücken wollte, er würde es uns nicht wissen lassen. Zu groß wäre für ihn die Gefahr, in seiner Arbeit seitens der KP eingeschränkt zu werden.
Das Eigenportrait des fotografierenden Künstlers in einer durchsichtigen Glasflasche. Er wirft mit gebundenen Armen Schmetterlinge mit tibetischer Schrift in die Luft der Glasflasche! Um den Flaschenhals ist ein rotes Tuch geschlungen. Anspielung auf das rote Tuch der jungen Pioniere, Jugendorganisation der KP? Anspielung auf die alles und jedes erstickende Einflussnahme der Kommunistischen Partei?
Tiefe Liebe zu Tibet
Eine Chinesin befindet sich unter den Künstlern. Sie ist Tibet-Fan und hat seit 2001 Lhasa zu ihrem Wirkungs- und Lebenskreis erkoren. Ihr bevorzugtes Thema ist die Unterdrückung der Frauen. Als sie zwei weibliche Schaufensterpuppen, von ihr künstlerisch bemalt, auf eine Landstraße stellte und fotografieren wollte, kam gerade eine Gruppe von Pilgern auf langer Reise vorbei. Klick! Festgehalten! Ein Pilger umarmt lachend und ohne Hintergedanken die angemalte, nackte Puppe. Klick! Ein Zeitdokument. Fröhliche Gelassenheit sei für die meisten Tibeter typisch, sagt Elke Hessel.
Die Tibeter lieben ihr Land. Auch wenn die meisten neben ihrer tibetischen Muttersprache mehr oder weniger fließend Chinesisch sprechen, auch wenn sie an chinesischen Universitäten ihr Studium absolviert haben, sie kehren zurück in ihr Heimatland, sie wollen es fördern, sie machen zum Beispiel eine Aktion und halten dabei in ganz Lhasa humorvolle Schilder hoch, auf denen sie ihre Liebe zu Tibet kundtun. Ein Künstler hat es auf Fotos festgehalten. „Ich liebe Sauerstoffmangel“ steht darauf, eine humorvolle Huldigung an die besonderen Lebensbedingungen auf dem „Dach der Welt“.
Anm.d. „Der Blick ins eigene Gesicht“ ist eine tibetische Redewendung, die bedeutet „der Moment, in dem der Mensch vorurteilsfrei sein eigenes Wissen erkannt hat, mit anderen Worten, erleuchtet ist.
Die Ausstellung läuft im Frankfurter Museum der Weltkulturen bis zum 18. Oktober, dem letzten Tag der Frankfurter Buchmesse und versteht sich auch als Beitrag zu „Frankfurter Buchmesse 2009 – Ehrengast China“.
http://www.mdw-frankfurt.de/Deutsch/Ausstellungen/Der_Blick_in_das_eigene_Gesicht_-_Fotografien_zeitgenoessischer_Kuenstler_in_Tibet/index.phtml
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