Warum man Glücklichsein nicht herbeidenken kann
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Wir verbringen unsere ersten Jahre damit, laufen zu lernen, zu sprechen, zu lesen, Sport zu treiben, Gespräche zu führen und so weiter. Wir gelangen zu der Überzeugung, dass es für unser Glück und unser Überleben entscheidend ist, bestimmte Dinge zu wissen. Wissen macht uns glaubwürdig, wertvoll und mächtig. Wissen schafft Zugehörigkeit. Wissen gibt uns auch ein Gefühl der Kontrolle. Wenn wir über etwas Bescheid wissen, glauben wir, dass wir es kontrollieren können. Wenn wir es kontrollieren können, fühlen wir uns weniger anfällig für die ständig wechselnden Strömungen des Lebens. Und wir kommen zu der Überzeugung, dass wir glücklich sein können, wenn wir das Leben kontrollieren können.
In unserer modernen Welt lernen wir über unseren Verstand. Wir machen uns einen Reim auf die Dinge, ordnen Ideen in rationale Muster und lineare Abläufe ein. Ursachen und Wirkungen. Wissen bedeutet, dass wir unsere Gedanken darüber, was passiert, warum es passiert und was wir dagegen tun müssen, aneinanderreihen. Egal, was wir wollen, egal, welches Problem wir zu haben glauben, wir sind davon überzeugt, dass es uns zu der gesuchten Antwort führen wird, wenn wir mehr darüber nachdenken. Wir glauben, dass wir uns aus allem heraus- und hineindenken können.
Wir stellen uns sogar vor, dass wir uns mit Geisteskraft einen Weg zu Gelassenheit bahnen können, dass genaueres Nachdenken letztendlich zu Frieden führen wird.
Gedanken und Realität
Ein Problem, das mit unserem großen Glauben an das Denken einhergeht, besteht in der Annahme, dass unsere Gedanken wahr sind. Wir verwechseln unsere subjektive Erfahrung mit der objektiven Realität. Und deshalb glauben wir, dass jedes Konstrukt aus unseren Gedanken eine Form der absoluten Wahrheit ist.
Wenn ich mit einem Freund gestritten habe, denke ich darüber nach, warum das passiert ist und wie das Problem nun zu lösen ist. Das Hinderliche dabei ist, dass ich mich bei der Handlung auf meine subjektiven Erfahrungen und vergangenen Verletzungen, Prägungen, Erinnerungen und Grundüberzeugungen stütze.
Ich glaube, dass meine Gedanken über das Handeln dieser Person widerspiegeln, warum es passiert ist. Doch das könnte genauso gut nur auf meinen Mutmaßungen über ihre Beweggründe und ihren Charakter beruhen. Ich komme zu dem Schluss, was diese Person tun oder lassen sollte, damit es mir besser geht, und gehe davon aus, dass dies eine unwiderlegbare Erkenntnis ist.
Das Problem jedoch ist: Meine Annahme, was dieser Freund tut, hat nichts mit dem zu tun, was er glaubt, dass er tut oder ich tue.
Fallbeispiel
Betrachten wir ein fiktives Beispiel in einer Freundschaft zwischen Freundin A und Freundin B. Freundin A bringt oft gesunde Snacks mit und sagt Freundin B, dass sie wenig Zucker und viele Nährstoffe enthalten. Sie betrachtet dies als offensichtlichen Ausdruck ihrer Zuneigung. Freundin B denkt, dass ihre Freundin dies nur tut, weil sie über ihr Gewicht urteilt. Freundin A findet, dass Freundin B die beste Freundin ist, die sie je hatte, und ist besorgt, dass Freundin B ein hohes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen hat. Freundin A ist verärgert darüber, dass Freundin B ihre Diät nicht ernst nimmt. Und Freundin B ist verärgert, dass Freundin A auf sie herabschaut.
Jede der beiden hat eine andere Realität. Freundin A hat schon von klein auf gelernt, sich gesund zu ernähren. Sie investiert viel Zeit und Mühe in die Zubereitung gesunder Speisen, und es fällt ihr leicht. Außerdem ist ihr Vater an einem Herzinfarkt gestorben und sie hat Angst, jemanden zu verlieren, der ihr wichtig ist.
Für Freundin B ist der Erfolg im Beruf entscheidend; sie fühlt sich von verschiedenen Verpflichtungen überfordert. Sie möchte sich gesünder ernähren, aber der Gedanke daran, besser kochen zu lernen und weniger auswärts zu essen, erfüllt sie mit Angst vor einer weiteren Aufgabe, die sie bewältigen muss. Sie glaubt nicht, dass ihr Gewicht ein großes Problem darstellt, da die meisten ihrer Familienmitglieder etwas übergewichtig sind und ihre Eltern im Alter gesund sind.
Die Absichten und die innere Realität eines Freundes sind ein Universum für sich und unterscheiden sich von dem, in dem wir uns befinden. Wir konstruieren unsere eigene Vorstellung über eine bestimmte Situation, aber sie basiert ausschließlich auf Gedanken und Annahmen.
Das ganze Narrativ, das wir selbst aufgebaut haben, ist also irrelevant. Jeder von uns operiert in einem Universum geprägt von Regeln und Systemen, die uns sinnvoll erscheinen, die aber wenig oder gar nichts mit dem zu tun haben, was in der Vorstellung anderer abläuft. Das, was in meinem Gedankensystem die Punkte verbindet, ist von geringem Nutzen, wenn es auf die Realität eines anderen angewendet wird.
Raus aus der Gedankenfalle
Das Leben auf der Grundlage unserer persönlichen Sichtweise zu verstehen, ist ein zweckloses Unterfangen. Bis zu einem gewissen Grad ist es einfach absurd.
Das heißt nicht, dass wir nicht versuchen sollten, unsere Erfahrungen zu analysieren. Vielmehr müssen wir uns bewusst sein, dass unsere Version der Realität nur in unserem eigenen Kopf existiert. Unsere Wahrheit existiert in uns und nur in uns. Sie koexistiert mit Milliarden anderen Wahrheiten, die in den Köpfen anderer Menschen existieren. Wir können einem anderen Menschen immer noch unsere Version der Realität präsentieren, aber wir können aufhören, anzunehmen, dass unsere subjektive Erfahrung in irgendeiner Weise absolut wahr ist.
Wir müssen uns nicht in dem Glauben ergehen, wir wüssten, wie alles zu laufen hat. Wir müssen uns auch keine Sorgen machen, dass etwas nicht stimmt oder uns Unrecht getan wird, wenn es nicht so läuft, wie wir uns das denken.
Es ist zutiefst befreiend zu erkennen, dass unsere Version der Wahrheit, die uns fast immer in den Mittelpunkt dessen stellt, was jeden und alles andere antreibt, wahrscheinlich nicht dieselbe Wahrheit für alle anderen ist.
Es gibt noch einen weiteren Irrtum in unserer Annahme, wir könnten herausfinden, wie wir glücklich werden. Wir könnten zu der Überzeugung gelangen, dass wir eine Herausforderung, über die wir mehr nachdenken, automatisch lösen könnten. Wir glauben, dass der Verstand das richtige Werkzeug für jede Situation ist. Aber das ist nicht wahr. In Wirklichkeit ist er oft das schlechteste Werkzeug. In vielen Fällen ist das, was für eine tatsächliche Verbesserung, ein Wachstum oder eine Veränderung erforderlich ist, etwas ganz anderes.
Reaktion versus Gelassenheit
Wenn wir es mit einer schwierigen Person zu tun haben, ist es manchmal das Beste, nichts zu tun. Das heißt, wir versuchen nicht, ihr Verhalten zu verstehen oder herauszufinden, was wir deswegen oder dagegen unternehmen müssen. Stattdessen lassen wir sie einfach so sein, wie sie ist. Wenn wir nicht mehr versuchen herauszufinden, was falsch ist oder wie wir alles und jeden in Ordnung bringen können, sondern es einfach so sein lassen, wie es ist, ändert sich oft unsere ganze Wahrnehmung.
Denn wir stellen fest, dass uns alle unsere Bemühungen, Dinge herauszufinden und Erklärungen zu schaffen, in die Irre führen können. Wir gelangen zu einem festen Verständnis der Realität, das oft nicht viel mehr als eine Selbsttäuschung ist. Wenn wir also versuchen, ein Problem zu lösen, können wir es sogar noch verschlimmern und uns dabei eine Menge geistiges und emotionales Leid zufügen. Das kann sogar dazu führen, dass wir Wut und Groll schüren.
Manchmal ist es klug, einer problematischen Person gegenüber einfach die Großzügigkeit des Mitgefühls anzubieten. Versuchen Sie nicht, die Situation zu kontrollieren, und bemühen Sie sich um die Gelassenheit, nicht alles herausfinden zu wollen.
Es kann hilfreich sein zu erkennen, dass das Verhalten der anderen Person wahrscheinlich aus ihrem eigenen Leid oder ihrer Unwissenheit heraus entstanden ist. Denken Sie daran, dass die andere Person das Gleiche will wie Sie – Glück, Sicherheit und Frieden –, auch wenn Ihnen die Art und Weise, wie sie das erreichen will, vielleicht nicht angemessen erscheint.
Wenn wir unsere Aufmerksamkeit stattdessen darauf richten, freundlich zu sein, und dem Drang widerstehen, konkrete Interpretationen zu bilden, verbessert sich die Situation oft viel schneller, als jede denkbare Anstrengung es könnte. Dieser Person alles Gute zu wünschen, auch wenn wir ihr Verhalten nicht verstehen können, kann zu einer Veränderung und Erleichterung führen.
Unabhängig davon, ob wir Mitgefühl für diese Person aufbringen können oder nicht, ist es ein Akt tiefen Mitgefühls – uns selbst gegenüber. Es befreit uns von der Last, alles verstehen zu wollen. Man fühlt sich selten besser als dann, wenn man etwas losgelassen hat.
Wissen fühlt sich als notwendig für unsere Sicherheit und Kontrolle an. Aber wenn wir wirklich Frieden wollen, ist der Versuch, eine Situation oder eine Person zu durchschauen, letztlich nicht die klügste Entscheidung.
Anstatt alles zu analysieren, was ich viele Jahre lang getan habe, sehe ich schwierige Menschen und Situationen jetzt lieber als Herausforderung an.
Anstatt zu versuchen, den Sinn der Probleme zu verstehen, konzentriere ich mich darauf, die Person zu sein, die ich in der jeweiligen Situation sein möchte. Ich richte meine Aufmerksamkeit nicht mehr darauf, herauszufinden, was die andere Person dazu bringt, das zu tun, was sie tut, und wie ich sie dazu bringen kann, sich meiner Realität entsprechend zu ändern, sondern darauf, wie ich inmitten dieser Realität bin.
Diese tiefsinnige Wendung von etwas, das ich nicht kontrollieren kann, hin zu etwas, das ich kontrollieren kann, gibt mir meine Macht und – was noch wichtiger ist – meine Freiheit zurück.
Die Ironie ist: Bei dem Wunsch, angesichts dieser schwierigen Situation meine äußere Welt zu ändern, habe ich viel mehr Erfolg, wenn ich mich auf mein eigenes Verhalten konzentriere und nicht auf das Verhalten anderer.
Es funktioniert einfach besser, wenn ich das selbst diagnostizierte Problem aus den Augen verliere und mich auf mich selbst konzentriere, darauf, wie ich in dieser schwierigen Situation agiere und reagiere. Selbst wenn sich die Situation äußerlich nicht ändert, ändert sich meine innere Erfahrung der Situation radikal, wenn ich meine Aufmerksamkeit auf diese Weise verlagere.
Herausforderungen werden zu Gelegenheiten, zu wachsen und sich zu entwickeln; manchmal freue ich mich sogar auf sie. Ich kann mich darin üben, der zu sein, der ich sein möchte. Ich kann wählen, wie meine eigene Beteiligung am Leben aussehen soll.
Der Prozess, vor meiner eigenen Tür zu kehren, hat sich immer als nährende und lohnende Entscheidung erwiesen. Es verändert immer wieder meine persönliche Lebenserfahrung, auch wenn sich äußerlich nichts verändert.
Wenn ich jedes Mal einen Euro bekäme, wenn ich jemanden sagen höre „Wenn ich nicht versuche, es herauszufinden, bin ich glücklicher und die Dinge laufen besser“, dann hätte ich eine Menge Geld. Für mich hat sich das auf jeden Fall bewahrheitet.
Nancy Colier ist Psychotherapeutin, interreligiöse Seelsorgerin, Rednerin, Workshopleiterin und Autorin von „The Power of Off: The Mindful Way to Stay Sane in a Virtual World“. Weitere Informationen finden Sie unter NancyColier.com
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