Von Klavieren, Hoffnung und der Zukunft

Titelbild
Klavier von Bartolomeo Cristofori aus dem Jahr 1726 im Musikinstrumentenmuseum in Leipzig.Foto: Opus33/ CC BY-SA-4.0
Von 20. Oktober 2021

Wo ein Piano steht, gibt es Hoffnung.

Hoffnung deshalb, weil dort, wo es ein Klavier gibt, jemand in der Nähe weiß, wie man es spielt und in der Lage ist, anderen das Spielen beizubringen.

Und diese Tätigkeit – Klavierunterricht nehmen und geben – wird vielleicht die Welt retten. Eine Übertreibung? Ja, natürlich. Aber es entspricht der Wahrheit.

Klavierunterricht ist eine Anleitung, wie man die Tast-, Seh- und Hörsinne koordiniert, wie man falsche Ergebnisse erkennt und korrigiert, wie man einen Sinn für Schönheit kultiviert und das alles, während man sein eigenes kreatives Potenzial erkundet.

Der Klavierschüler hält die Historie der Musik in der einen und ihre mögliche Zukunft in der anderen Hand. Auf den 88 Tasten des von Bartolomeo Cristofori an der Schwelle zum 18. Jahrhundert erfundenen Instruments können viele Jahrhunderte der musikalischen Geschichte wiedergegeben werden. Cristoforis Erfindung erhielt den Namen  „leise-laut“ („pianoforte“, später verkürzt „piano“), weil es im Gegensatz zum früheren Cembalo in verschiedenen Lautstärken gespielt werden kann.

Neue Ausdruckskraft

Die komplexe Anordnung von Saiten, Hämmern und Dämpfern des Pianos ermöglichte dem Spieler eine größere Ausdruckskraft, als dies bei früheren Tasteninstrumenten der Fall gewesen war. So entstanden im Laufe der Jahrhunderte Meisterwerke von Mozart, Beethoven, Chopin, Schumann, Brahms und anderen, deren Schaffen ohne Cristoforis Innovation auf tragische Weise eingeschränkt worden wäre. Der heutige Klavierschüler hat Zugang zu ihrem Repertoire und dem der Komponisten vor dem Einsatz des Pianos, wie z. B. J. S. Bach, aber der Tonumfang des Pianos (seine tiefsten und höchsten Töne liegen außerhalb des Tonumfangs eines Sinfonieorchesters) und die Komplexität, die durch 10 geschulte Finger möglich ist, bedeutet auch, dass der Pianist Bearbeitungen von Sinfonien und Opern spielen kann.

Porträt von Bartolomeo Cristofori, dem Erfinder des Klaviers, um 1726. Foto: Public Domain

Auf eigene Faust

Welchen besonderen Wert hat ein Klavierstudium im Vergleich zu anderen Instrumenten oder sogar zu anderen körperlichen Disziplinen wie Kampfsportarten oder Mannschaftssportarten? 

Von allen westlichen Instrumenten ist das Klavier dasjenige, das am geeignetsten ist, alleine Musik zu machen. Streichinstrumente haben eine Tradition von unbegleiteten Kompositionen, von denen viele unentbehrlich sind (man denke nur an die Cellosuiten von Bach), aber sie sind größtenteils für die Aufführung im Ensemble gedacht. 

Eine Geigerin mag Stunden damit verbringen, die Bachsche Chaconne für ihr Instrument zu meistern, aber sie wird viel mehr Stunden damit verbringen, mit einem Klavierbegleiter oder als Teil eines Streichquartetts aufzutreten.

Wenn man lernt, ein Musikstück auf dem Klavier zu spielen, muss man Entscheidungen treffen und die Verantwortung für diese Entscheidungen übernehmen. 

Passt das Tempo wirklich zum Gefühl des Stücks?“ „Wo ist der Höhepunkt des melodischen Bogens und wie kann ich ihn hervorheben? Soll ich die Mittelstimme bei der Wiederholung hervorheben?“  „Wie wirkt sich Chopins Liebe zur Oper auf die Form seiner Phrasen aus und wie kann ich das vermitteln?“ „Wie sollte ich die Rückkehr der Fuge in Beethovens Sonate op. 110 spielen?“

Klavierschüler sollen lernen, selbständig zu denken. Die Beziehung zum Lehrer ist natürlich wichtig, denn der Lehrer ist ein Mentor, der die Landschaften der klassischen Musik durchwandert hat und weiß, wo das holprige Terrain liegt. 

Aber die zentrale Beziehung ist die zwischen dem Schüler und dem studierten und interpretierten Werk. Und der einzige, der die endgültigen Entscheidungen über dieses Rubato oder diesen Triller trifft, ist der Schüler selbst. 

Klavierunterricht ist Unterricht im Treffen fundierter Entscheidungen und das Übernehmen von Verantwortung für diese Entscheidungen.



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