Von Dichtern und Dämonenjägern
Farbenpracht, Akrobatik, chinesische Musikalität und hohe Schauspielkunst: all das zauberte die taiwanische Honan-Operntruppe in Lothar-Günther Buchheims „Museum der Phantasie“ am Starnberger See. Der an den Rollstuhl gefesselte 88-jährige berühmte Museumsgründer, Zeichner, Kunstsammler und Buchautor („Das Boot“) war über den Auftritt hocherfreut. Die phantasievollen Kostüme und grellbunt geschminkten Gesichter der Schauspieler, die exotischen Klänge und Instrumente der Musiker passten nicht nur ideal zur Aura der Buchheimschen Kunstherberge in Bernried. Bei dem Weitgereisten riefen sie vielmehr auch alte Erinnerungen wach. „Ich habe eine enge Beziehung zu Taiwan“, erklärte Buchheim, „schon 1972 habe ich dort gemalt“. Viel war er in der Bergwelt der Insel unterwegs. Am Ufer des Sonne-Mond-Sees zeichnete er die Marmorsteine. „Ich war sehr glücklich, als ich die Pfade zum See (hinunter ging) herunter ging“, erinnerte er sich. Der erste Besuch sei wunderschön gewesen. Wenig später hätten dann aber schon „tüchtige Tourismusleute“ viele Omnibusse zu früher ruhigen Plätzen dirigiert. „Da ist vieles verloren gegangen“, sagte er.
Die Nachgeborenen können dabei nur erahnen, wie viel unwiederbringliche Naturschönheit auch in Europa Buchheim noch erlebt hatte. So war er schon 1941 mit einem Faltboot die damals noch saubere Donau bis zum Schwarzen Meer herunter gepaddelt. Im Gepäck waren auch damals schon die Malutensilien.
Beim Besuch der Taiwaner in seinem Museum gab der Meister nun noch einen kurzen Exkurs in Kalligraphie, zumal in seiner „Kunst- und Wunderkammer“ derzeit auch seine China-Sammlung und China-Fotografien zu sehen sind (bis 30. Oktober; www.buchheimmuseum.de). „Kalligraphie“, erklärte Buchheim, „ist gleichzeitig Malerei, Symbolik und Schreibkunst – etwas ganz Wunderbares.“
Wie man mit Kalligraphie auch bei hübschen Frauen etwas erreichen kann, zeigten die taiwanischen Opernkünstler im Stück „Tang Bo-hu wählt Chiu-hsiang“. Tang Bo-hu, einen berühmten Dichter und charmanten Frauenhelden der Ming-Zeit, spielte der weibliche Bühnenstar des Ensembles, Wang Hailin. Blitzschnell pinselte „er“ auf der Bühne mit roter und schwarzer Tusche Blüten und kunstvolle Schriftzeichen auf einen großen Zeichenblock. Die Gunst Chiu-hsiangs (gespielt von der großäugigen Schönheit Hsieh Wen-chi) waren Tong Bo-hu damit ebenso sicher wie ein Sonderapplaus des Publikums. In einem zweiten Stück („Chong Kui verheiratet seine Schwester“) konnte die mimische Ausdrucksfähigkeit Wang Hailins noch mehr genossen werden. Unvergesslich die virtuos gespielte Szene, wie sie als Schwester des grimmigen Geisterschrecks Chong Kui in einer Sänfte pantomimisch über Stock und Stein zu ihrer Hochzeit getragen wird. Wang Hailin war schon vom Lincoln Center in New York als „beste asiatische Künstlerin“ geehrt worden.
Beide genannten Stücke wurden im Bürgerhaus Haar bei München von den über dreißig Bühnenkünstlern vollständig aufgeführt, auf der Bundesgartenschau in München-Riem außerdem „Der schöne Affenkönig“. Mit kühnen Sprüngen, Saltos und Flickflacks wirbelten die Schauspieler wie Zirkusakrobaten über die Bühnen. Der grimme Chong Kui (gespielt von Yin Ching-chin) sprang selbst mit seinen dicken Holzpantoletten und in seinem ausladenden Kostüm noch einen Salto rückwärts. Bei jeder Aufführung spendete das Publikum begeistert Applaus.
Die Chinesische Oper ist eine der großen Theatertraditionen der Welt. Dabei zählt die Holzklapper-Oper aus der Provinz Honan (nach einem alten Namen der Region auch Yu-Oper genannt) zu den vier wichtigsten Formen. Sie wurde von dem in Asien gefeierten Ensemble des Staatlichen Kuo-Kuang Musiktheaters aus Kaohsiung/Taiwan erstmals in Bayern aufgeführt. Wie Irene Wegner vom mitveranstaltenden Verein „Asia Intercultura“ (www.asiaintercultura.de) erläuterte, haben sich neben der erst im 18. und 19. Jahrhundert synthetisch geschaffenen Peking-Oper bis heute bodenständige Lokalopern erhalten. Von der Peking-Oper unterschieden sie sich vor allem durch die andersartigen Melodien, die auf dem Volksliedgut der jeweiligen Regionen basierten, und durch die verschiedenen Dialekte. Die Klapperopern haben sich bereits in der Ming-Zeit (1368 – 1644) in Nordchina entwickelt. Ihren Namen haben sie von den ursprünglich aus Dattelhölzern gefertigten Klanghölzern (bangzi). Mit ihnen werden die Aufführungen rhythmisch unterlegt und sie verleihen ihnen den unverwechselbaren Charakter. „Der chinesische Norden war wegen seiner Nähe zu den angrenzenden ‚Barbarenstaaten’ an kämpferische Auseinandersetzungen gewöhnt. Daher sind auch die dortigen Theatertraditionen martialischer angelegt als die lieblicheren Süd-Opern“, erklärte Frau Wegner. Häufig sehr wild und ungestüm agierende Bühnengeneräle werden mit bunten Schminkmasken ausgestattet, die ihr Naturell hervorheben. Wegen der vielen Kampfszenen wartet die Honan-Oper mit zahlreichen akrobatischen Einlagen auf. Bemerkenswert ist, wie sich auf Taiwan alte chinesische Traditionen erhalten haben und weiter entwickelt werden. Der erste Bericht über eine auf Taiwan aufgeführte Oper stammt aus dem Jahr 1624. Schon die frühen Einwanderer aus den südlichen Festlandsprovinzen Guangdong und Fujian hatten ihre Musik- und Theatertradition mitgebracht. Als eigene Gattung hat sich die „traditionelle Taiwanoper“ herausgebildet, die in taiwanischer Sprache aufgeführt wird.
Mit den Opernkünstlern waren auch die Fan-Mei Tanzgruppe und das Kaoshiung-City-Ballett aus der zweitgrößten Stadt Taiwans nach Deutschland gereist. Zunächst traten sie in Duisburg bei den Worldgames auf, wo auch rund 100 taiwanische Sportler in den nichtolympischen Disziplinen wetteiferten. Kaoshiung wird die Worldgames im Jahr 2009 ausrichten; Oberbürgermeister Chi-mai Chen erhielt bereits die offizielle Fahne in Duisburg überreicht.
Zum Debüt der taiwanischen Bühnenkünstler in Bayern gehörte auch ein Auftritt der anmutigen Tänzerinnen im Starnberger Landratsamt. Zu diesem Genuss kamen die Behörde und das Publikum durch die seit 1980 bestehende Partnerschaft der Landkreise Starnberg und Taipeh. Christa Ackermann, die stellvertretende Starnberger Landrätin, zeigte Taiwan-Erfahrung: Sie begrüßte das Publikum nicht im bayerischen Dirndl, sondern in einer rot-weißen Tracht der taiwanischen Ami-Ureinwohner. Letztere waren ebenfalls mit einer größeren Gruppe vertreten. In Taiwan ist ihre Folklore fester Bestandteil des Tourismus-Programms. Angetan mit ihrem prächtigen Kopfschmuck und ihren farbenfrohen Kostümen, zeigten sie den Bambusstangentanz und zauberten Südsee-Atmosphäre in das Foyer des Starnberger Landratsamts.
Die Partnerschaft der beiden Landkreise hatte begonnen, als militärische Fallschirmspringer aus Taiwan bei den Weltmeisterschaften in Altenstadt/Schongau teilnahmen und auch Starnberg besuchten. Ein dort ansässiger und aus Taiwan stammender Inhaber eines chinesischen Lokals hatte die entstandenen Kontakte gefördert. Sie führten später zur offiziellen Einladung einer Landkreisdelegation nach Taipeh. Längst hat der Austausch von Urkunden die freundschaftlichen Beziehungen besiegelt. Vorzüglich passten jetzt auch die „Tänze vom Lotossee“ zum Gestade des Starnberger Sees. „Herz des Ozeans“, der Titel einer weiteren anmutigen Darbietung des Kaoshiunger Balletts, erinnerte freilich daran, dass der Pazifik noch ein bisschen größer ist.
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