Vom Mond aus die Erde entdeckt: „Earthrise“-Fotograf ist tot
Zweimal hatte das Raumschiff den Mond schon umkreist, da änderte Kommandant Frank Borman ein klein wenig dessen Ausrichtung – und wollte seinen Augen kaum trauen. „Oh Gott! Seht euch dieses Bild da an“, rief er den beiden anderen Astronauten der „Apollo 8“-Mission zu. „Hier geht die Erde auf. Mann, ist das schön!“ Kollege William Anders griff nach einer schwedischen Hasselblad-Kamera, schraubte das längste deutsche Zeiss-Objektiv drauf, das er finden konnte, legte einen Farbfilm ein – und knipste los.
„Ich habe einfach klick-klick-klick-klick-klick gemacht“, erinnerte sich Anders später. Heraus kam eines der wohl bekanntesten, ikonischsten Fotos des Planeten: „Earthrise“ (Erdaufgang).
Nun ist Anders tot. Er kam am Freitag ums Leben, als ein von ihm gesteuertes Kleinflugzeug nordwestlich der US-Küstenmetropole Seattle ins Meer stürzte, wie amerikanische Medien unter Berufung auf seinen Sohn Greg berichteten. Anders wurde 90 Jahre alt. Er sei allein mit dem Flugzeug unterwegs gewesen, hieß es. Der Vorfall werde von den Behörden untersucht.
Aufgenommen Jahrzehnte vor der Erfindung von Digitalkameras und Social Media, inspiriert „Earthrise“ auch bis heute Astronauten wie den Deutschen Alexander Gerst, der immer wieder Fotos von seinen beiden Ausflügen zur Internationalen Raumstation ISS ins Internet gestellt hat.
„Anders hat der Menschheit eines der tiefgreifendsten Geschenke gemacht, die ein Astronaut geben kann“, kommentierte NASA-Chef Bill Nelson über die Online-Plattform X. „Er ist zur Schwelle des Mondes gereist und hat uns allen geholfen, etwas anderes zu sehen: uns selbst. Er verkörpert die Lektionen und das Ziel von Erkundung. Wir werden ihn vermissen.“
„Earthrise“ wurde an Heiligabend 1968 aufgenommen. Die drei Astronauten von „Apollo 8“ verbrachten damals als erste Menschen Weihnachten im All – mit heißem Kakao, Zuckerplätzchen, Hühnchen, Maissuppe und Orangensaft.
Dabei fand der berühmte Fotograf und sechsfache Vater sein Bild einfach nur „schlecht“. Es sei nicht ganz scharf, sagte Anders einmal der „Seattle Times“. Aber der Anblick der kleinen, blauen Erdkugel, die hinter dem Horizont des grauen Mondes halb im Schatten liegt, habe auch ihn und sein Denken verändert: „Hier sind wir, auf einem unbedeutenden Planeten, der um einen nicht besonders bedeutenden Stern herumfliegt, in einer Galaxie von Millionen Sternen, die nicht bedeutend ist, wo es doch Millionen und Abermillionen von Galaxien gibt im Universum – sind wir also wirklich so bedeutend? Ich glaube kaum.“
„Was wir wirklich entdeckt haben, ist die Erde“
Anders wurde 1933 in Hongkong geboren, wo sein Vater bei der US-Marine stationiert war, und wuchs in Kalifornien auf. Er studierte an der Marineakademie, arbeitete bei der Luftwaffe und machte später auch noch einen Abschluss als Kernenergietechniker. 1963 wurde er – just an seinem 30. Geburtstag – als NASA-Astronaut vorgestellt. Fünf Jahre später bekam er seine erste große Mission zugewiesen: „Apollo 8“, der erste bemannte Flug zum Mond. Ein Meilenstein, auch wenn er nicht zur Landung führte.
„Ich habe drei Möglichkeiten gesehen, alle gleich wahrscheinlich“, erinnerte sich Anders, der nach seiner NASA-Karriere als Präsidentenberater, US-Botschafter sowie bei verschiedenen Kernenergie- und Luftfahrtunternehmen arbeitete und sich schließlich auf den San-Juan-Inseln an der US-Westküste zur Ruhe setzte. „Wir hätten erstens eine erfolgreiche Mission haben können, was ja passiert ist. Zweitens hätten wir überleben können und keine erfolgreiche Mission haben können (…). Oder, drittens, wir wären nie wieder zurückgekommen. Die Chancen standen also ziemlich gut.“
Das berühmteste Souvenir der Mission war nicht geplant: Fotos von der Erde – wie „Earthrise“ – sollten die Astronauten von „Apollo 8“ gar nicht machen, sondern Bilder und Videos vom Mond. Schließlich waren sie die Ersten, die dessen Rückseite zu sehen bekamen. Die Aufnahmen wurde für spätere Mondlandungen benutzt. „Ich bezeichne das immer als „ironisch““, sagte Anders der „Seattle Times“. „Wir flogen hin, um den Mond zu entdecken. Aber was wir wirklich entdeckt haben, ist die Erde.“ (dpa/red)
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