Vom Leid gezeichnet, vom Glück begleitet

Wer sind die Tänzer, die für Shen Yun weltweit auf der Bühne stehen? Was ist die Motivation für sie, Spitzenleistungen abzuliefern? Die Geschichte von Sun Hongwei ist zugleich sehr persönlich und dennoch exemplarisch für alle, die zur Zielscheibe des brutalen Regimes Chinas werden. Sun hat seinen Weg gefunden, dazu nicht zu schweigen.
Titelbild
Sun Hongwei beim Training im Tanzsaal.Foto: New Tang Dynasty
Von 7. Dezember 2024

Der Vorhang öffnet sich. Sun Hongwei wartet auf der Seitenbühne auf seinen Einsatz. Laut Choreografie soll er als Solist gleich, im passenden Takt, mit ein paar schwungvollen Überschlägen und Salti auf die Bühne springen. Doch er ist unschlüssig. „Soll ich diese schwierigen Salti machen? Oder lieber ohne die Überschläge auf die Bühne laufen?“

Ihm tut heftig der Zeh weh, den er sich gerade an der Wand gestoßen hat. Doch es dauert nur ein paar Sekunden, bis sein Wille über die Unsicherheit siegt.

Sun Hongwei ist ein leidenschaftlicher Tänzer. Doch wie viele andere junge Künstler bei Shen Yun ist die Liebe zur Kunst nicht seine einzige Antriebskraft. Vielmehr motiviert ihn das Bewusstsein, durch ihre Kunst auf die Ungerechtigkeiten hinzuweisen, die ihre Familien und Freunde in China erleiden.

14. Juli 2009, am Shanghai Pudong Internationalen Flughafen ist wie immer viel los. Ein Ehepaar mit einem Jungen trödelt am Eingang zur Sicherheitskontrolle. Der Junge schaut seine Mutter an und fragt: „Kann ich später wieder zurück? Wann kommst du mich in Taiwan besuchen, Mama?“ Diese Frage hatte er am Tag zuvor schon x-mal gestellt. Jedes Mal nickt seine Mutter und sagt leise: „Ich komme dich bald besuchen.“

Der Vater des Jungen dreht sich weg, mit Tränen in den Augen.

Der 13-jährige Junge heißt Hongwei. Für ihn ist Taiwan ein Ort, der ihm sowohl vertraut als auch fremd ist.

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1995 wurde Hongweis Mutter, Zhu Yuanzhu, unerwartet schwanger, doch zu dieser Zeit hatte sie bereits einen vierjährigen Sohn. Zu jener Zeit befand sich China noch in der Hochphase der Ein-Kind-Politik, die teilweise äußerst brutal umgesetzt wurde.

Zwangsabtreibungen waren auch noch in späteren Phasen der Schwangerschaft keine Seltenheit. Bei Verstößen gegen die Ein-Kind-Regel verhängten Behörden hohe Geldstrafen. Für Familien, die es sich nicht leisten konnten, kam nur eine Abtreibung infrage. Zhu Yuanzhu und ihr Mann waren verzweifelt. Schließlich hatten sie eine geniale Idee: Also, ab nach Taiwan.

Zhu Yuanzhus Schwiegervater lebte damals in Taiwan. Das Paar nutzte den Familienbesuch als Vorwand und flog dorthin. In Taiwan brachte Zhu Yuanzhu ihren zweiten Sohn, Hongwei, sicher zur Welt und ließ ihn in Taiwan registrieren.

So wurde der Junge, der in China nicht geboren werden durfte, zu einem Taiwaner. Diese Identität wurde ihm später zum Verhängnis und zugleich zum Schutz.

Für Hongwei war die Ein-Kind-Politik Chinas der erste Todespass seines Lebens. Ohne den Großvater in Taiwan hätte er keinen Platz in der Menschenwelt gehabt. Im Vergleich zu den Millionen Babys, die während der mehr als drei Jahrzehnte andauernden Ein-Kind-Politik (1979–2015) von Zwangsabtreibungen betroffen waren, war Hongwei ein Glückskind.

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Drei Monate nach der Geburt ihres jüngsten Sohnes kehrten Zhu Yuanzhu und ihr Mann mit ihm nach China zurück. Das Paar führte ein erfolgreiches Geschäft und konnte sich bald ein Haus in Shanghai leisten.

Bis zu seinem sechsten Lebensjahr führte Hongwei ein schönes Leben, wie es sich für den Sohn eines wohlhabenden Geschäftsmannes anschickt. „Meine Mutter zählte jeden Tag viel Geld, und mein Vater nahm meinen Bruder und mich fast jeden Abend mit in den nahegelegenen Supermarkt, wo wir viele Leckereien kauften. Im Kindergarten lobten mich die Lehrer oft dafür, dass ich gut aussah und schöne Kleidung trug, und sie sagten, ich sei der Sohn eines Geschäftsmanns. Die anderen Kinder haben gerne mit mir gespielt.“

Doch leider währt das Glück nicht lange. Im Alter von sechs Jahren änderte sich Hongweis Lebenssituation so dramatisch, als ob der Zug seines Lebens auf einmal in einen stockdunklen Tunnel ohne Aussicht auf ein Ende geraten wäre. Und in dieser verängstigten Dunkelheit musste er noch weitere sieben Jahre verbringen.

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Der 22. Januar 2002 war ein bitterkalter Wintertag. Gerade kamen Hongwei und sein Bruder von der Schule nach Hause, als plötzlich ein Dutzend Fremde zur Tür hereindrängten. Dunkel gekleidet standen die Männer mit düsteren Gesichtern im Raum.

Als Hongweis Mutter nach der Arbeit nach Hause kommt, stürzen sich die Männer auf sie, zerren sie auf die Straße und verfrachten sie in ein Auto.

Die Jungs verstecken sich verängstigt in einer Ecke. „Aber egal, wie stark mein Bruder und ich weinten, unsere Mutter kam nicht zurück.“ Stattdessen kam ein paar dunkel gekleidete Männer, die das Haus durchsuchten. Sie suchten nach Falun-Gong-Büchern und -Materialien.

Falun Gong ist eine buddhistische Meditationsschule, die Meditationsübungen mit der Lehre von Selbstverbesserung kombiniert. Die Lehre basiert auf drei Hauptprinzipien – Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit und Nachsicht.

In den 1990er Jahren war sie sehr populär in China. Wo es einen öffentlichen Platz in der Stadt gab, war eine Falun-Gong-Übungsgruppe zu finden. Laut Berichten der staatlichen Medien gab es im Jahre 1999 rund 70 bis 100 Millionen Menschen in China, die Falun Gong praktizierten.

Diese Zahl war sogar höher als die Mitgliederzahl der Kommunistischen Partei Chinas zu jener Zeit. Aus Angst vor der Beliebtheit dieser Qigong-Schule, die vor allem nicht ihrer Kontrolle unterliegt, begann die Kommunistische Partei Chinas im Juli 1999 eine landesweite Verfolgungskampagne mit dem Ziel, sie auszulöschen.

Falun-Gong-Praktizierende wurden – und werden immer noch – brutal verfolgt. Zhu Yuanzhu ist eine von ihnen. Sie wurde zu sieben Jahren Haft verurteilt, wegen „Besitz von Falun-Gong-Büchern” und weil sie nicht verraten wollte, von wem sie die Bücher und Materialien bekommen hatte.

„Das Lachen in unserem Haus verschwand. Mein Vater nahm uns immer seltener mit in den Supermarkt, die Lehrer behandelten mich anders, und die Kinder spielten auch immer weniger mit mir. Schließlich musste unsere Haushälterin gehen, weil das Geld bei uns knapp wurde. Mein Vater war immer schlecht gelaunt, mein Bruder und ich hatten oft nicht genug zu essen. Oft weinte ich heimlich unter der Decke oder an Orten, wo mich niemand sehen konnte“, erzählt Hongwei.

Nach fast einem Jahr konnten sie Zhu Yuanzhu schließlich sehen. Hongweis Vater nahm die beiden Söhne mit, um ihre Mutter im Frauengefängnis der Provinz Zhejiang zu besuchen.

„Kannst du an meinem zehnten Geburtstag nach Hause kommen?“, erinnert sich Hongwei an den Besuch. Die Mutter antwortete: „Ja, bestimmt.“ Leider konnte Zhu Yuanzhu ihr Versprechen nicht halten. Erst am 22. Januar 2009, nach genau sieben Jahren Haft, kehrte sie nach Hause zurück. Zu diesem Zeitpunkt war Hongwei bereits dreizehn Jahre alt.

Als Zhu Yuanzhu vor ihren Söhnen stand, konnten die Jungen ihre Mutter kaum wiedererkennen. Ihre Wangen waren eingefallen. Sie war so mager, dass ihr die Haut an den Knochen hing. Viele ihrer einst schneeweißen Zähne waren ausgefallen.

Zhu Yuanzhu war zuvor eine bildhübsche Frau, die mit 16 schon als Sängerin des lokalen Wu-Opern-Ensembles auf der Bühne stand. Nach sieben Jahren Haft sah sie aus wie eine alte Frau am Ende ihres Lebens.

Die ehemalige Opernsängerin und Unternehmerin Zhu Yuanzhu wurde wegen des Besitzes von Falun-Gong-Büchern inhaftiert und zu 7 Jahren Haft verurteilt. Sie war im Gefängnis Zwangsarbeit, Folter und unmenschlicher Behandlung ausgesetzt. Foto: New Tang Dynasty

Auch Zhu Yuanzhu stellte fest, dass ihre beiden Söhne völlig anders geworden waren. Die einst fröhlichen und extrovertierten Kinder hatten sich total verändert. Besonders Hongwei hielt seinen Kopf stets gesenkt, traute sich nicht, anderen in die Augen zu sehen, und sprach nur noch sehr wenig.

Die Mutter konnte sich vorstellen, welche Schikanen ihre Kinder an der Schule und in der Nachbarschaft erlebt haben mussten, während sie im Gefängnis saß. Und die Kinder trauten sich nicht zu fragen, was ihre Mutter erlebt hat.

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Für Zhu Yuanzhu waren diese sieben Jahre im Gefängnis wie ein Gang durch die Hölle. Nach der Entführung von zu Hause landete sie zunächst für sieben Monate im Untersuchungsgefängnis, mit mehr als 20 Frauen in einem kleinen Zimmer.

Bis auf zwei Frauen waren alle inhaftiert, weil sie Falun Gong praktizieren. „Wir mussten jeden Tag Plastikblumen herstellen, die stark nach Chemie stanken. Diese Zwangsarbeit begann täglich um 6:30 Uhr morgens und dauerte bis 22:00 Uhr abends. Wenn es eine dringende Bestellung gab, mussten wir die ganze Nacht durcharbeiten.“

Dreck, Gestank, Zwangsarbeit und Gewalt beherrschen den Zellenalltag. Damit Zhu Yuanzhu nicht meditiert, werden ihr Fußfesseln und Handschellen angelegt. „Sie ketteten meine Fußfesseln an eine andere Falun-Gong-Praktizierende, und später ketteten sie meine Handschellen an meine Fußfesseln. Ich konnte weder stehen noch mich hinlegen – mein Körper war in einem Winkel von 40 bis 50 Grad gebogen, und ich konnte nicht einmal die Toilette benutzen oder mich selbst versorgen.“

Binnen sieben Monaten magerte sie von 58 Kilo auf 45 Kilo ab. Danach wurde sie ins Frauengefängnis in Hangzhou gebracht.

Je mehr Falun-Gong-Praktizierende die Gefängniswächter „umerziehen“ können, umso mehr Prämien werden sie bekommen. Ziel der Umerziehungsmaßnahmen ist es, die Praktizierenden dazu zu bringen, ihren Glauben aufzugeben und die Ideologie der Kommunistischen Partei Chinas anzunehmen.

Im Leiden wächst der Mensch über sich hinaus und entdeckt das, was ihn überlebt.“ – Viktor Frankl, Holocaust-Überlebender und Psychiater

Wie andere wird auch Zhu Yuanzhu gezwungen, schriftliche oder mündliche Erklärungen abzugeben, in denen sie Falun Gong und dessen Grundsätze wie „Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit und Nachsicht“ öffentlich widerrufen soll.

Als sie sich weigert, wird sie gefoltert. Schläge, Schlafentzug und Elektroschocks gehörten zu ihrem Alltag. Um den Widerstand der Falun-Gong-Praktizierenden zu brechen, greifen die Gefängniswärter auch zu noch härteren Maßnahmen. 35 Tage lang wird Zhu Yuanzhu in Einzelhaft gehalten. Sechs Häftlinge und vier Wächter gehören zu einem Team, das eigens für sie zusammengestellt wird.

„Sie wechselten sich im Schichtdienst ab und ruhten sich aus, während ich 24 Stunden lang ununterbrochen mit verschiedenen grausamen Methoden gefoltert wurde. Jeden Tag spielten sie Videos ab, die Falun Gong verleumdeten, um mich einer Gehirnwäsche zu unterziehen.

Sie zwangen mich, eine vorgefertigte Erklärung zu kopieren, in der ich versprach, Falun Gong nicht mehr zu praktizieren, aber als ich mich weigerte, ließen sie mich nicht schlafen. Sobald ich meine Augen schloss, schmierten sie mir eine Salbe (ähnlich wie Tiger Balsam) auf die Augen und das Gesicht. Mehrmals täglich verabreichten sie mir unter Zwang unbekannte Medikamente.“ Ihr Zahnfleisch entzündet sich, die Zähnen fallen aus. Ihr Gesicht verändert sich und bleibt reichlich entstellt.

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Auch nach ihrer Freilassung hören die Schikanen nicht auf, Zhu Yuanzhu wird weiterhin überwacht. Da die Gefängniswächter sie trotz Folter nicht „umerziehen“ konnten, wird nun ihr Sohn zum Druckmittel der Polizei. Zhu Yuanzhu wird mitgeteilt, dass ihr jüngerer Sohn Hongwei nicht mehr zur Schule gehen dürfe, auch weil er in Taiwan registriert und Taiwaner sei.

Das Ehepaar denkt erneut an eine Flucht nach Taiwan, denn auf dem Festland China scheint es keinen Ausweg mehr für die Familie zu geben. Doch der Großvater in Taiwan ist inzwischen gestorben. Und Zhu Yuanzhus Antrag auf Reisepässe werden kategorisch abgelehnt.

So bleibt der Familie nichts anderes übrig, als den 13-jährigen Hongwei allein nach Taiwan zu schicken, und zwar ganz allein. Und – in Taiwan kennt das Ehepaar niemanden, dem sie ihren Jungen anvertrauen könnten. Ihre einzige Hoffnung liegt auf den Falun-Gong-Praktizierenden in Taiwan.

Ganz im Gegensatz zu China ist Taiwan eine offene Gesellschaft, unter den 23 Millionen Taiwanern gibt es mehrere Hunderttausende, die Falun Gong praktizieren. Doch persönlich kennen sie keinen einzigen.

Zhu Yuanzhu ist überzeugt davon, dass Hongwei geholfen wird. „Du wirst sie bestimmt auf der Straße treffen. Falun-Gong-Praktizierende sind alle gutherzig. Sie werden uns helfen“, flüstert sie ihrem Sohn die Hoffnung leise ins Ohr.

Ich möchte die Verfolgung durch die KP Chinas aufdecken, weil ich diese Gewalt persönlich erlebt habe.“ – Hongwei Sun

Hongwei landete in Taipeh und fuhr mit einem Bus ins Zentrum, wie seine Mutter ihm gesagt hatte. Dort fand er tatsächlich sofort einen Infostand von Falun Gong.

Der 13-Jährige wendet sich an die Falun-Gong-Praktizierenden am Infostand und bittet sie um Hilfe. Ein taiwanisches Ehepaar, das auch Falun Gong praktiziert, hat Hongwei dann sofort bei sich aufgenommen. „Sie haben sich um mich gekümmert, als ob ich ihr eigener Sohn wäre“, erinnert sich Hongwei voller Dankbarkeit an seine Pflegefamilie.

In Taiwan wurde ein neues Blatt in seinem Leben aufgeschlagen. Zum ersten Mal in seinem Leben konnte er auch eine Aufführung von Shen Yun sehen. Die Vorstellung entfachte eine Flamme in seinem Herzen. Noch im Zuschauerraum sagte er seinen neuen Eltern: „Ich will auch tanzen lernen.“

Ein Jahr später eröffnete das US-amerikanische Fei Tian College eine Zweigstelle in Taiwan. Hongwei bewarb sich, wurde aufgenommen und begann, klassischen chinesischen Tanz zu lernen. Im Jahr darauf konnte er nach New York reisen, um sein Studium am Fei Tian College in den USA fortzusetzen.

Inzwischen hat Hongwei sein Studium abgeschlossen. Er ist nun Solotänzer bei Shen Yun. Hier hat er sein Zuhause gefunden, sagt Hongwei.

Vom 8. bis 12. April 2025 wird Hongwei Sun mit Shen Yun im Theater Dortmund und später in Dänemark, Norwegen und Schweden auftreten.

Hongwei Sun, Solotänzer bei Shen Yun



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