Virtuoser Brückenschlag – Anne-Sophie Mutter wird 60
„Das ist gut für den Kreislauf“, kommentiert Anne-Sophie Mutter mit ihrem unvergleichlichen Charme das Aufstehen und Setzen des Publikums, als das Klatschen zwischen den Zugaben und den stehenden Ovationen kein Ende nehmen will.
14 Musiker – „Mutter’s Virtuosi“ – haben zusammen mit ihr zwei Stunden knapp 2.000 Zuhörer fasziniert. Dabei ist jeder Einzelne ebenfalls solistisch auf den großen Bühnen der Welt zu hören. Und mit ihnen ihre Instrumente, die selbst große Namen haben. Viele wurden schon vor mehr als 100 Jahren gebaut. So zum Beispiel die Violine von Nicolo Gagliano aus dem Jahr 1755, welche von Agata Szymczewska gespielt wird – eine private Leihgabe von Anne-Sophie Mutter.
Leuchtturm für den Nachwuchs
Zwei weitere Geigen und ein Cello sowie mehrere Bögen sind ebenfalls Leihgaben – und zwar von der Anne-Sophie Mutter Stiftung. Denn das Ensemble um Mutter mit sechs Violinen, drei Bratschen, drei Celli und einem Kontrabass setzt sich größtenteils aus aktuellen und ehemaligen Stipendiaten der Mutter-Stiftung zusammen. Dabei begleitet Knut Johannessen am Cembalo.
In der fuchsienfarbenen Robe leuchtet die Meisterin, umstanden von den klassisch in Schwarz gekleideten jungen Talenten, denen sie bereits nach Kräften den Weg für eine weitere Musikerkarriere geebnet hat. Sicher ist der Gewinn nicht nur auf einer Seite.
„Ich wollte unbedingt mit meinen Virtuosi auf die Bühne. Sie sind ein integraler Teil meines Lebens mit Idealen, was man mit Musik in der Gesellschaft bewegen kann“, schreibt Anne-Sophie Mutter auf ihrer Website. „Es geht ja letztendlich darum, dass wir mit der Musik auch zueinanderfinden und dass sie eine Brücke schlägt, nicht nur zwischen Generationen, sondern zwischen kulturellen Unterschieden, die wir aufgebaut haben, zwischen religiösen, teilweise dogmatischen Mauern, die zwischen uns stehen.“
Und es sei ihr wichtig, dass ihre Stipendiaten ihre gesellschaftliche Verantwortung als Künstler wahrnehmen. Musik sei ein Geschenk an alle. Sie biete eine Möglichkeit, ungeachtet der Herkunft gemeinsam zu empfinden. Und es sei absolut sinnvoll, sich als Musiker in den Dienst der Gesellschaft zu stellen.
Individuell und persönlich
Alle Stipendiaten werden dabei persönlich von der Stargeigerin ausgewählt und entsprechend den individuellen Bedürfnissen unterstützt. Denn es gehe Mutter nicht darum, „fest gefügte Regeln“ aufzustellen, die nur einengen.
Diese Haltung spiegelt sich auch in der Stückauswahl wider, die sie auf die Bühne bringt. Für sie zählt nicht, welcher Kategorie Musik zugeordnet wird. Ein Beispiel ist ihre große Verehrung für John Williams. Der Komponist vieler Hollywood-Filmmusiken – unter anderem „Star Wars“ und „Harry Potter“ – arrangiert immer wieder Stücke für Mutter und ihre Virtuosi. So auch die vierte Zugabe an diesem Abend mit einem Ausschnitt aus Schindlers Liste.
Das Programm selbst spannt einen Bogen über rund 300 Jahre – von Johann Sebastian Bach bis André Previn, mit dem sie von 2002 bis 2006 verheiratet war. Sein Stück „Nonet“ wurde dabei von der Geigerin in Auftrag gegeben und ist ihr auch gewidmet. Neben dem 3. Brandenburgischen Konzert von Bach ist Vivaldi mit seinem einzigen Konzert für drei Violinen zu hören. Mit einem Stück von Joseph Bologne, Chevalier de Saint-Georges – einer schillernden Persönlichkeit aus Paris in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts – endet das Programm inklusive eines großen Soloparts von Anne-Sophie Mutter.
Eine Welt der Wunder
Während der Tournee gibt Mutter ihren jungen Mitspielern abwechselnd die Möglichkeit, Soloparts zu spielen. An diesem Abend war es Timothy Chooi, Ensemblemitglied seit 2001. Was ihm in seinem Leben Antrieb gebe? „Nach Covid hat sich vieles geändert. […] Für mich ist es, sich mit der Musik mitzuteilen und sich durch Kunst auszutauschen.“
Dabei möchte der junge Musiker das Publikum aus seiner Alltagsroutine holen, aus der Normalität zum Wundern und Staunen bringen, in eine Welt der Fantasie und des Ausdrucks. „Damit tanke ich mich auf, im Leben, in der Musik, und das lässt mich jeden Tag aufstehen.“
Diesen Funken eines magischen Moments betont auch Mutter in Interviews immer wieder. Dabei gehe es nicht um Perfektion, die wie ein schöner Berggipfel sei. Man versuche, ihn natürlich zu erklimmen, aber dies käme einem göttlichen Zustand gleich. Doch: „Während man da rumkraxelt, gewinnt man an Kondition, gewinnt an Einsicht, an Umgang mit den Umständen, dem Repertoire. […] Perfektion in der Kunst würde ja bedeuten, dass man nach einer Formel sucht, die man dann immer nachbetet, was mal funktioniert hat, deshalb: Perfektion ist Stillstand und Stillstand darf es in der Kunst nicht geben.“
Und was wäre eine bessere Garantie, Stillstand zu vermeiden, als sich mit jungen Künstlern zu umgeben – für sie als Mentorin im besten Sinne da zu sein und das weiterzugeben, was ihr gelehrt wurde. Sobald sie das Wort an ihr Publikum richtet, gelingt es ihr durch ihre unkomplizierte, natürlich-direkte Art, eine warmherzige, menschliche Nähe zu kreieren – ohne das zuweilen steife Prozedere eines klassischen Konzerts infrage zu stellen. Dabei scheint ihre Dankbarkeit durch und das Wissen um die eigene Privilegiertheit, die sie motiviert, sich mit noch mehr Verve für die Gesellschaft einzusetzen.
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