Verspieltes Spiel nur durch Verspielen
„Das ist Musik, die kann heute so niemand mehr schreiben“, konstatiert einer der beiden Protagonisten während der Inszenierung „Verspielt“ am Sonntagnachmittag in der Galerie des Kulturhauses Spandau. Es ist der 26. Februar, letzter Tag des Festivals. Der Saal ist gut gefüllt, die Hälfte Erwachsene, die andere Hälfte junge Menschen ab vier, fünf Jahren aufwärts.
Die Schöpfer und Spieler dieser Inszenierung, die explizit als Auftrag für das Festival vergeben wurde, sind Emmanuelle Bernard und Tobias Dutschke. Sie Geigerin, er Percussionist und Performer. Den beiden gelingt es, rund 50 Minuten die konzentrierte Aufmerksamkeit aller – auch des jungen Publikums – zu gewinnen. Ihre Spielfreude springt über.
Nicht ihre Ruhe zu stören
Jeder, der schon einmal ein Instrument angefangen hat zu lernen und damit zu spielen, kennt die Situation, welche die beiden zu Beginn des Stückes aufgreifen: Am besten so leise spielen, dass nichts zu hören ist. Und natürlich nur mit Genehmigung. Sei es die eigene Scham ob falscher Töne oder das Ruhebedürfnis der Nachbarn – sich tönend zu äußern, erfordert auch Mut.
Dabei ist klassische Musik in Kirchen und Klöstern entstanden. Sie wurzelt also im Lobpreis des Göttlichen. Sie gibt so viel Freude, wie sie zum Klingen gebracht auch Disziplin, Ausdauer und Kontinuität lehrt. Sie ist Ausdruck eines jubelnden Herzens, zugleich auch zutiefst empfundener Schmerz. Emotionen, mit denen Kinder vertraut sind, die problemlos zwischen beiden, manchmal fast zeitgleich, alternieren können. Mag die Unlust oder auch Angst vor solchen Gefühlen manchmal der Motor sein, ein Instrumentenspiel, und mag es auch noch in den Anfängen stecken, zum Schweigen bringen zu wollen?
Leichtfüßige Aneinanderreihung
Assoziativ spielen sich Dutschke und Bernard von einer Situation zur anderen, be-Hüten dabei sich und andere, binden Kinder beim Tanzen mit ein. Schön der Moment, indem sich durch ein Konterkarieren der Situation Dutschke selbst von der Bühne bringt, um einem imaginären Publikum außerhalb des Saals das Ende der Pause zu verkünden.
Die Figur Emmanuelle Bernards freut sich: „Jetzt können wir endlich spielen.“ Für viele Minuten darf sich das Publikum sodann auf das pure, hoch anspruchsvolle Geigenspiel Bernards einlassen. Schön, wie auch die Kinder dieser Einladung folgen. Es ist immer ein Besonderes, mit anderen Menschen zusammen in diesen nonverbalen Dialog einzutreten. Ein Glück für alle Kinder, denen Erwachsene dies nahebringen.
Dutschke, als beinah clownesker Gegenpart, wieder zurückgekehrt auf die Bühne, fragt sich, ob es besser ist, das Stück oder die Wiederholung zu spielen. Oder gar die Wiederholung der Wiederholung? Und überhaupt, wo liegen denn all die Töne. Wer hat die sich denn eingesteckt?
Warum denn klassische Musik?
Dabei kann nur empfohlen werden, sich so viel Töne klassischer Musik wie möglich mitzunehmen. Bekanntermaßen wirkt klassische Musik ausgleichend auf die Gesundheit, Seele und Geist. Laut einer Oxford Studie ist sie sogar blutdrucksenkend. Der sogenannte „Mozart-Effekt“ belegt eine beruhigende wie auch konzentrationssteigernde Wirkung beim Hören besonders melodiöser Stücke wie die Sonate D-Dur für zwei Klaviere KV 448. Der „Vivaldi-Effekt„ belegt eine positive Wirkung auf das Kurzzeitgedächtnis.
Soweit ein paar Fakten für all die Zweifler an der Wichtig- und Richtigkeit, Kinder frühzeitig mit dieser Sprache vertraut zu machen. Eine Sprache, die andockt an die Zeit vor der babylonischen Sprachverwirrung. Welche über alle Grenzen hinweg verstanden wird und Menschen verbindet.
So auch an diesem Nachmittag. Kein Geringerer als Johann Sebastian Bach führte die Feder, bei den Kompositionen, die in das Bühnenspiel verwoben sind. Auch wenn beim Duett von Melodika und Geige sich kein rechter Wohlklang einstellen will, eher schräg aneinander vorbeimusiziert wird. Es ist ein Halbton Unterschied, der die Harmonie verhindert, wie das Publikum bald erfährt.
Die Melodika, ein kleines Tasteninstrument, welches die Luft zum Klingen nicht wie beim Akkordeon durch das Auseinanderziehen und Zusammendrücken der Blasebälge erhält, sondern ganz praktisch mittels eines Schlauchs zum Mund, wurde erst um 1950 erfunden. Möchte man Geige und Melodika auf einen Ton stimmen, würde die Spannung der Geigensaiten so groß werden, dass das Instrument dem nicht standhalten könnte.
Wohlklang der gereimten Worte
Mit herrlichen Wortketten singt Dutschke ein Loblied auf die Geige: „Die Schnecke oben majestätisch thront.“ Und führt uns über Wirbel, Frosch und Saiten mit dem Stimmstock ins Innere, um schließlich die entscheidende Frage nach der Stimmung zu stellen.
Die dürfte denn auch das maßgebliche Kriterium für Kinder sein, ob sie mit klassischer Musik und einem Instrument Positives verbinde. Der täglich strenge Aufruf: „Hast Du schon Klavier geübt?“, respektive Geige, Trompete, Flöte ist dazu eher wenig geeignet. Es darf verspielt sein. Und das wird es nur, wenn man sich auch verspielen darf. So fragt Emmanuelle Bernard am Schluss: „Habt ihr gezählt, wie oft ich mich verspielt habe?“
Mit großer Bühnenpräsenz transportieren Bernard und Dutschke eben jene Unbekümmertheit, die es braucht, um familiär zu werden mit diesem – man kann sagen göttlichen – Geschenk der klassischen Musik. Denn wie würde eine nächste Generation aussehen, die nur mit Stille und klassischer Musik groß würde?
Leben wir, was wir für unsere Kinder wünschen
Der sicherste Weg, den eigenen Kindern oder Enkeln dieses Tor zu Klassik und sogenannt Alter Musik aufzuhalten, ist, sich selbst ins Vergnügen zu stürzen. Wenn es vielleicht auch manchmal herausfordernd sein mag, mit all der Emotion umzugehen, die diese hervorbringt. Oder auch die Mühe und die Konfrontation mit sich selbst, derer es bedarf, ein Instrument zu erlernen. Eines trägt sowieso jeder mit sich: den eigenen Körper mit seinen Stimmbändern.
Mit sich selbst im Einklang sein, hat viel mit dem Ausdruck der uns innewohnenden Lebensfreude zu tun. Dafür ist Musik das geeignetste Transportmittel. Nicht von ungefähr singen und summen wir vor uns hin, wenn wir mit uns im Reinen sind. Und rückwirkend lenken wir unsere Emotionen in die Richtung, aus deren Ursprung die Musik kommt, die wir in uns hinein lassen.
Wenn die Kinder älter werden, in die Lebensphase höchster Emotion zwischen Kind und Erwachsensein treten, kann diese Verbundenheit mit heilender Musik ein wichtiger Anker sein. Um sich nicht ausgeliefert zu fühlen, im Meer der hochschlagenden Emotionswellen. Wie gut, sich dann an einen Nachmittag mit zwei Musikern und einer Menge Kinder und Erwachsener erinnern zu können, die Freude hatten miteinander: am Spiel, an der Musik, am Lauschen.
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