Glanzvolle erste Premiere der Saison an Berliner Staatsoper mit Verdis Nabucco
Krieg, Unterdrückung, Gefangenschaft und Machtstreben: In Verdis Oper „Nabucco“ geht es um Themen von großer Aktualität. Um das zu verstehen, bedarf es allerdings keiner Inszenierungen, die das Stück in die Gegenwart versetzen. Die Konflikte vermitteln sich in ihrer Zeitlosigkeit von allein über das Libretto.
Ein radikaler Transfer erweist sich eher als heikel, da sich die Konflikte im heutigen Israel nicht eins zu eins der im Altertum angesiedelten Opernhandlung überstülpen lassen. So größenwahnsinnig der titelgebende babylonische König Nabucco auch in Erscheinung tritt, der sich selbst zum Gott machen möchte: Am Ende bittet er doch um Vergebung, schenkt den Hebräern, die er in Gefangenschaft gehalten hat, die Freiheit und zerstört das Götzenbild des Baal.
Das babylonische und das hebräische Volk versöhnen sich. Auf eine solche positive Wandlung lässt sich wohl unter den heutigen Regierenden vergeblich hoffen, insbesondere im Dauerkonflikt zwischen Juden und Arabern im Nahen Osten.
Emma Dantes Inszenierung ist ein Glücksfall
Mit der Italienerin Emma Dante hat die Berliner Staatsoper für seine jüngste Neuproduktion eine Regisseurin mit dem Werk beauftragt, die den Versuchungen einer Aktualisierung trotzt.
Ihre Produktion ist überhaupt ein Glücksfall, da sie mit einer imposanten Installation (Bühne: Carmine Maringola) und prächtigen historischen Gewändern (Kostüme: Vanessa Sannino) optisch stark anspricht, dennoch der Musik uneingeschränkt die Vorfahrt lässt.
Dafür nimmt man es gerne in Kauf, dass Dante den Chor mehr oder weniger statisch in einem Gerüst fixiert, das auf den ersten Blick wie ein Hochaltar anmutet, auf den zweiten wie ein Bienenstock: „Bienen bauen ihre Stöcke und Waben an den unglaublichsten Orten“, sagt die Regisseurin, „sogar in den Ritzen von Mauern“. Analog dazu stellte sie sich vor, dass die Juden ihren großen Tempel in einer Mauerritze gebaut haben, um ihn zu verteidigen.
Und die Mauer vor dem Tempel, die Nabucco durchbrechen muss, um hineinzugelangen, gibt es auf der Bühne auch als Zwischenvorhang, optisch inspiriert vom Ishtar-Tor im Berliner Pergamonmuseum.
Dante führt die beiden Völker jedoch nicht als Bienen vor, wie schon einmal der Provokateur Hans Neuenfels vor vielen Jahren an der Deutschen Oper Berlin. Ihre Babylonier und Hebräer sind allesamt Menschen, gefangen in ihren Träumen, Sehnsüchten und Leidenschaften.
Dazu passt es dann auch, dass sich die Chorsänger in dieser Produktion kaum bewegen. Die Musik profitiert davon, kommt es doch leicht zu Wacklern zwischen Bühne und Graben, wenn der Chor szenisch stark eingebunden wird.
Ausbleibende Proteste gegen Anna Netrebko
Zu dem versöhnlichen Ende der Verdi-Oper passt es freilich, dass zur Premiere und der von uns besuchten dritten Aufführung Protestaktionen vor der Berliner Staatsoper gegen die russische Starsopranistin Anna Netrebko ausblieben.
Nur zur zweiten Vorstellung hatten sich laut Berichten rund 150 Personen vor dem Opernhaus versammelt, die der Sängerin vorwarfen, sich nicht ausreichend von Wladimir Putin im Krieg gegen die Ukraine distanziert zu haben. Für große Schlagzeilen sorgte das nicht.
Längst ist die Sängerin an den meisten renommierten Bühnen wieder angekommen, nach ihrer Haltung zum Krieg in der Ukraine kräht kein Hahn mehr. Im Gegenteil: Die Ausgrenzung russischer oder andersdenkender Künstler stößt zunehmend auf weniger Zustimmung. Demonstrativ stellen sich viele Opernbesucher hinter Netrebko.
Ohnehin waren alle vier Aufführungen mit dem Opernstar – in weiteren Vorstellungen übernimmt die international weitaus weniger bekannte Anastasia Bartoli ihre Partie – schon lange vor der Premiere ausverkauft.
Netrebkos schönste Stimme der Zeit
Die hohen Erwartungen an Netrebko wurden nicht enttäuscht, einmal mehr wurde die Russin ihrem Ruf als eine der schönsten Stimmen unserer Zeit gerecht. Konkurrenzlos meistert sie die dramatische, schwierige Partie der Abigaille wie derzeit keine andere.
Abigaille ist nur scheinbar die Tochter des Titelhelden Nabucco, die zunächst ihre Macht dazu nutzt, den Hebräer Ismael damit zu erpressen, ihn und sein Volk zu verschonen, wenn er ihre Liebe erwiderte.
Der aber bekennt sich zu seiner Liebe zu ihrer Schwester Fenena, die sich als Geisel in der Hand der Hebräer befindet, Ismaels Liebe erwidert und ihm zur Flucht verhelfen will.
Grandiose Interpretation der Abigaille
Doch läuft es nicht gut für Abigaille. So muss sie aus einem geheimen Schriftstück erfahren, dass sie keineswegs die Tochter des Königs, sondern einer Sklavin ist. Das geschieht zu Beginn des zweiten Akts in ihrer großen Szene und Arie „Ben io t’invenni, o fatal scritto!….Anchio dischiuso un giorno“ („Ha! Dich hab’ ich zu rechter Zeit gefunden, verhängnisvolles Blatt …. Auch mein Herz war der Freud’ einst offen“).
Für Netrebko wird sie zum zentralen, umjubelten Auftritt, auch wenn ihr Vortrag nicht ganz heranreicht an andere Partien wie Traviata, Aida, Manon oder die Maddalena in früheren Jahren. Einige sehr hohe Kopfklänge entbehren der gewohnten lyrischen Leuchtkraft, in Passagen, in denen sie ohne Orchester singt, verrutscht ein wenig die Intonation.
Aber großartig ist ihre Vorstellung dennoch, eindrucksvoll sowohl seitens der Stimmakrobatik und Gesangskunst. Weltweit macht ihr das aktuell niemand nach.
Mit denkbar größter Agilität und nahezu in Perfektion singt sich die Virtuosin quer durch alle Stimmlagen. Die teils sehr schnellen Registerwechsel zwischen den obersten Spitzen und den tiefsten Tönen gelingen dabei ohne einen Bruch und Einbußen in der Tongebung.
Vollblütig und sinnlich schön tönt ihr Sopran. Nach Aida, Lady Macbeth und Turandot ist Abigaille wohl nun die letzte große Herausforderung im italienischen Fach der Primadonna, die sie in einem reiferen Alter von 53 Jahren meistert, einem Alter, in dem andere Karrieren schon am Ende sind oder zumindest in einer Krise stecken.
Treffliches Sängerensemble
Aber auch Netrbekos Mitstreiter können sich hören lassen, allen voran Luca Salsi in der Titelpartie, der vor allem damit so stark einnimmt, wie er den Text auslotet. Eben das ist das Entscheidende an diesem Musikdrama, das weniger mit kulinarischen Einzelarien gespickt ist als mit herrlichen Ensembles und Chören.
Hier kommt es auf jedes einzelne Wort an und darauf, wie die Sänger es im Ausdruck umsetzen. Salsi, freilich stimmlich entsprechend gerüstet mit seinem kräftigen, profunden Bariton, geht seiner Figur tief auf den Grund, spürt seiner Selbstherrlichkeit nach in dem Moment, wo er fordert, als Gott verehrt zu werden, nachdem Abigaille und sein Volk schon glaubten, er sei nicht mehr am Leben. Und gibt am Ende ebenso glaubwürdig den Einsichtigen.
Überzeugendes Dirigat
Die Grundlage für seine sehr genaue Deklamation und sein dynamisch sehr differenziertes Singen legt aber auch die musikalische Einstudierung von Bertrand de Billy, der in seinem Musizieren mit der Berliner Staatskapelle ebenfalls sehr genau den Stimmungen und Emotionen nachspürt.
Ein bisschen staunt man allerdings, dass Billy im Interview sagt, er habe den Staatsopernchor während der Proben immer wieder dazu angehalten, den berühmten Freiheitschor „Va pensiero“ („Flieg Gedanke“) immer noch leiser zu singen. Denn eigentlich müsste sich der träumerische Gedanke von der Freiheit, in diesem Moment noch eine Utopie und hier gefühlt im Mezzoforte vorgetragen, noch viel leiser, fast flüsternd vernehmen.
Musikalische Kennerschaft
Wiederum positiv lässt sich vermerken, dass Billy Verdis Musik nicht zu einer beschwingten Unterhaltungsmusik umkrempelt, wie andernorts oft zu erleben.
Wer die für Verdi typischen Begleitfiguren zu beschwingten „Umpapas“ macht, hat von dieser Musik wenig begriffen, nicht erkannt, dass sie – anders musiziert – die Schwermut eines Schubert-Lieds annehmen können. Verdi nahm es mit seinen Vortragsbezeichnungen sehr genau, oft gibt er ein sotto voce (mit gedämpftem Ton) vor.
Solchen Feinheiten hätte der Franzose in seinem Dirigat noch mehr Gewicht geben dürfen, zumal er mit Mika Kares als Zaccaria, dem Hohepriester der Hebräer, Marina Prudenskaya als Abigailles Schwester Fenena und Ivan Magri als dem von beiden Schwestern begehrten Ismaele allesamt kräftige Stimmen an Bord hatte, sodass die leisen Töne insgesamt ein wenig zu kurz kamen.
Alles in allem aber ist mit dieser Produktion ein gleichermaßen sehens- und hörenswerter „Nabucco“ von Seltenheitswert gelungen, szenisch und musikalisch aus einem Guss.
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