Neues Festival für Alte Musik in Berlin-Spandau

Das Motto: „Passion Karneval“. Geladen sind herausragende Berliner Ensembles wie auch renommierte internationale Künstler.
Titelbild
Mit dem Aufkommen von Violoncello und Kontrabass gerieten Gamben, auch Knie- oder Beingeige genannt, die bis dahin die Kammermusik von Akademien, Aristokratie und wohlhabendem Bürgertum bestimmt hatten, allmählich in Vergessenheit. Hier das Gambenconsort Phantasm.Foto: @Marco_Borggraeve
Von 30. Januar 2023

Es ist die Emotion und Kraft Alter Musik, die uns heute ganz neu trifft – uns in unserem alltäglichen Fühlen und Überlegen, vielleicht auch den Sorgen, bewegt. Von übermütig ausgelassen bis zu höchster Innigkeit. Dies erlebbar zu machen, motivierte Bernhard Schrammek das Festival Spandau Macht Musik (SPAM) zu kuratieren.

An drei Wochenenden – darin eingebettet die Karnevalstage – ist das Publikum eingeladen, sich einzulassen in neue, da alte Klangwelten. Dabei sind musikalische Prinzipien wie gleichbleibende Bässe uns heute vertrauter, als man denkt.

Die Frische und das Engagement spiegeln sich auch im Gespräch mit Heidi Gröger wider. Sie ist die Initiatorin und zusammen mit Schrammek künstlerische Leiterin des Festivals, welches mit einem fulminanten Programm aufwartet.

Die Besonderheit Alter Musik beschreibt die Berufsmusikerin als einen immensen Schatz, der weiter Stück für Stück geborgen werden kann. Dabei gehe es nicht darum zu reproduzieren, sondern mit „frischen Ohren“ zu hören.

Das Essenzielle bleibt immer aktuell

Alte Musik meint die Tonkunst des Mittelalters, der Renaissance, des Barock. Ein immerhin mehrere Jahrhunderte umfassender Zeitraum. Und es ist die Zeit, in der in unserem Kulturkreis die Aufzeichnung von Musik begann.

Ein teures Unterfangen, welches meist nur an Königshöfen möglich war. Es kann davon ausgegangen werden, dass es damals weit mehr Musik gab als notiert wurde – und zwar in großer Vielfalt. Wer sich einmal damit beschäftigt, muss einfach seinem Forscherdrang nachgeben, lacht Heidi Gröger.

In den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts keimte wieder ein Interesse an Musik vor der Romantik auf. Viele Noten waren zu dieser Zeit noch nicht transkribiert. Es brauchte viele Stunden in Bibliotheken, um diese zugänglich zu machen und dann – die Novität – sie auf Originalinstrumenten der Zeitepochen wieder zu Musik werden zu lassen.

Gröger ist freischaffende Gambistin und leidenschaftliche Lehrerin für Alte Musik. Ihre Begeisterung ist ansteckend. Geht es doch dabei um nichts Geringeres als den Menschen selbst. Wer einmal Monteverdi gehört hat, kann sich dieser Intensität nicht entziehen.

Denn auch ohne die Worte der Lieder zu verstehen, ist zu spüren, dass hier die dringendsten Fragen verhandelt werden – damals wie heute: Woher kommt der Mensch, wie setzt sich alles zusammen.

In der Musik fanden Menschen schon seit jeher ein Ventil für ihre Emotionen. Der Klang gibt diesen Gefühlen, die uns aus der Tiefe bewegen und auch steuern, Ausdruck.

Im Spannungsfeld zwischen Fleisch und Geist

Das Motto des in Berlin erstmals stattfindenden Festivals ist vielversprechend: Passion Karneval. So beginnt die Auftaktveranstaltung mit einem „Festa della Salute“, angelehnt an ein pompöses Fest im Jahr 1631 für die Bewohner Venedigs.

Man feierte das Ende der Pest. Und so möchten die Musiker – namentlich die Lautten Compagney Berlin und das belgische Vokalensemble Vox Luminis – in diesen Jubel einstimmen, schreiben die Veranstalter im Programmheft.

Den leiblichen Genüssen noch einmal so recht zu frönen, war Sinn und Zweck des Karnevals, um dann pünktlich zu Aschermittwoch in die Passionszeit überzuleiten. In diesem Spannungsbogen sind die Konzerte zusammengestellt.

Interessant dabei die Verbindung des Wortes Passion zum englischen passion – Leidenschaft. Das Fleischliche, welches Leiden schafft, doch was wäre ein menschliches Leben ohne Leidenschaft?

Musikalische Zeitreise

Dabei ist Alte Musik ein Überbegriff, der höchst Unterschiedliches zusammenfasst. Was um 1600 zu hören war, hatte sich im Vergleich zur Zeit um 1400 stark verändert und galt folglich als neu. Geblieben ist in dieser steten Verwandlung des Neuen zum Alten die Liebe der Menschen zur Musik und dass Musik Menschen verbindet.

So richten sich im Festivalprogramm auch zwei Konzerte – kombiniert mit Schauspiel – explizit an Familien und bieten damit eine Möglichkeit, Generationen übergreifend gemeinsame Momente zu erleben, die seelisch berühren.

Seit zehn Jahren bereits sammelt Heidi Gröger die Erfahrung, dass Konzertbesucher Alter Musik immer wieder kommen: In ihrer barocken Heimatstadt Eichstätt veranstaltet sie auch dieses Jahr wieder am Muttertagswochenende ein Musikfest, das überregional Besucher in die vielen schmucken Spielstätten lockt und vom „Bayerischen Rundfunk“ übertragen wird.

Harmonischer Dreiklang

In Britta Richter, Leiterin des Kulturhauses Spandau, und Bernhard Schrammek, Musikjournalist, hat die Musikerin ideale Partner gefunden, das Festival auf die Beine zu stellen.

Richter als versierte Veranstalterin bietet neben ihrem Know-how mit den Spielstätten Zitadelle Spandau und Nikolaikirche zwei reizvolle Orte. Europas besterhaltene Renaissance-Festung – am Platz einer mittelalterlichen Burg von zwei italienischen Architekten errichtet – schafft das passende Ambiente.

Die fünfeckige Festung schwimmt einer Insel gleich auf der Havel. Große Tonnengewölbe und spartanisch anmutende Backsteinfassaden geben Geist und Seele Raum, von der Musik getragen zu werden.

Schrammek ist seine Verbindung zu Alter Musik in die Wiege gelegt. Groß geworden mit dem Musikinstrumentenmuseum der Universität Leipzig, welches sein Vater leitete und das mit seiner Sammlung weltweit zu den bedeutendsten zählt, ist ihm der Umgang und auch das Spiel mit historischen Instrumenten selbstverständlich. Da lag der Wunsch, Musikwissenschaften zu studieren, auf der Hand. Darüber hinaus stellt er seit bald einem Jahrzehnt regelmäßig beim „RBB Kultur“ (Radio Berlin-Brandenburg) Werke Alter Musik vor.

Zeitkontinuum

Wobei, was heißt hier alt? Im Englischen wird die Musik des frühen 14. Jahrhunderts bis in die Zeit um 1700 „early music“ genannt. Erinnert somit, dass es das ist, in dem wir wurzeln – vergleichbar mit frühen Kindertagen etwa, anstatt verstaubte, dunkle Stuben zu assoziieren.

Seit den 1990er-Jahren hat sich die Musiklandschaft bezüglich der frühen Alten Musik deutlich verändert. Zwar gibt es immer noch keine Orchester oder Ensembles, die regelmäßige staatliche Finanzierungen erhalten, wie beispielsweise Opern- oder Symphonieorchester, doch die Ausbildung ist mittlerweile auf solide Beine gestellt.

Mit einem Abend, ausschließlich von Studenten der UdK (Universität der Künste) Berlin bespielt, und einem runden Tisch zur Vernetzung und Ideen-Umsetzung kreieren Heidi Gröger und Bernhard Schrammek nicht nur für die Rezipienten interessante Stunden.

SPAM – Spandau Macht Musik – ist somit ein weiterer Meilenstein, Alte Musik in ihrer ganzen Bandbreite zu präsentieren.

Toni Koopman:
Vertreter der historsichen Aufführungspraxis und Präsident des Bach-Archivs in Leipzig, spielte sämtliche Kantaten von Johann Sebastian Bach ein. Foto: @privat

 

Veranstaltungshinweis:
SPAM – Festival für Alte Musik, 10. bis 26.2.2023, 20 Konzerte in Berlin-Spandau, Dauer circa 90 bis 100 Minuten je Veranstaltung.
Das komplette Programmheft finden Sie unter: http://spam.berlin



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion