Tischlern für Kirche und Adel: Auf der Spur barocker Möbel
Man geht an ihnen vorbei, streift sie mit einem Seitenblick. Im Normalfall ziehen barocke Möbel wie Kirchenbänke, Beichtstühle oder Chorgestühle nicht die Hauptaufmerksamkeit auf sich. Dabei zeugen sie von hoher Handwerkskunst, sind kunsthistorisch bedeutsam und Teil des Kulturerbes.
Stilistische barocke Merkmale, Herstellungszeitpunkt oder nähere Informationen über die lokalen Produzenten hat der Kunsthistoriker und frühere Möbelrestaurator Michael Bohr, unterstützt durch den Wissenschaftsfonds FWF, seit 2008 in mehrjähriger Forschungsarbeit sukzessive aufgearbeitet. Zwar existierten einzelne Beiträge zu barocken Möbeln, doch ein Gesamtkatalog für ganz Österreich fehlte bis dato.
Sakrale Möbel als Referenzobjekte
Denn anders als etwa in Deutschland oder Italien sind in Österreich die erhaltenen Bestände an barockem Mobiliar in den Besitzungen von Adeligen stark durchmischt. War der Adel auf Reisen, wurde die Innenausstattung mitgenommen. Deshalb gilt es nicht immer als gesichert, wann und wo ein Stück gefertigt wurde. Um dieses Problem zu lösen, zieht Bohr sakrale Möbel als Referenzobjekte heran.
Was sich in Sakralbauten an Originalen befindet, wurde meist vor Ort oder in der Nähe und für den jeweiligen Kirchen- oder Stiftsbau erzeugt. „Anhand sakraler Möbel aus allen österreichischen Regionen baue ich ein Grundgerüst an gesicherten Daten zu stilistischen Merkmalen, Herstellungszeitpunkt und Produzenten auf“, erklärt Bohr.
Der dreibändige Gesamtkatalog ist in Arbeit und enthält eine umfangreiche Sammlung von Referenzobjekten. Der erste Band ist bereits erschienen und umfasst Möbel aus den östlichen Gebieten Österreichs. Der Zweite wird voraussichtlich 2020 veröffentlicht. Beide Bände behandeln mehr als 400 Möbelensembles aus 90 katholischen Sakralbauten.
Irrtümer aufgedeckt
Bohr befasst sich in seiner Arbeit auch mit soziologischen und wirtschaftshistorischen Fragen, was den internationalen Standards der Möbelforschung entspricht. Dabei geht es etwa um Auftragsvergabe, vor allem aber um die Arbeits- und Lebensbedingungen der Produzenten.
„Bisher nahm man zum Beispiel an, dass Tischler mit den Aufträgen in Kirchen und Klöstern ein recht gutes Auskommen hatten. Aus Nachlassinventaren geht aber hervor, dass es nur wenige zu Wohlstand brachten. Großteils lebten sie in ärmlichen Verhältnissen“, sagt der Forscher. Fündig wurde er diesbezüglich vor allem im Haus-, Hof- und Staatsarchiv des Österreichischen Staatsarchivs.
Auch eine andere Annahme muss revidiert werden: Nicht nur Tischlermeister fertigten die Stücke, sondern sehr oft übernahmen das Gesellen. Da es damals relativ wenigen Handwerkern vergönnt war, eine eigene Werkstatt aufzubauen, blieben viele ihr Leben lang Gesellen, diese standen dem Tischlermeister in puncto Handwerkskunst oft um nichts nach.
Der größte Unterschied bestand jedoch in der Mobilität: Tischlermeister waren mit ihren Werkstätten sesshaft, während Gesellen auf Wanderschaft gingen. Wurde ein Sakralbau neu- oder umgebaut, sprach sich das unter den gut vernetzten Handwerkern schnell herum und viele folgten den Aufträgen nach.
So wie Heinrich Holdermann (1697-1739): „Er war Tischlergeselle und stammte aus Westfalen. 1721 zog es ihn nach Stift Göttweig in Niederösterreich. Seine Arbeit überzeugte, sodass er eine Festanstellung erhielt und später die Stiftstischlerei leitete“, erklärt Bohr. Dafür, dass Tischler innerhalb der Orden weiterempfohlen wurden, gibt es hingegen nur wenige Belege.
Mehr Freiheiten in Klöstern
Dass Klöster auch Gesellen beauftragen konnten, lag laut Bohr daran, dass diese dann unter dem Schutz des Klosters standen. „Zunftregeln, wie zum Beispiel, dass nur Tischlermeister einen Betrieb führen und Aufträge annehmen dürfen, galten dort nicht.“
Von der hohen Mobilität der Gesellen profitierten vor allem Klöster in ländlichen Regionen. Oft war vor Ort entweder kein Tischlermeister ansässig oder die Qualität der Arbeit war nicht überzeugend. Innerhalb des heutigen österreichischen Staatsgebiets lässt sich nun zudem sagen, dass nördlich der Alpen, also in Wien, Niederösterreich und Oberösterreich wegen der besseren wirtschaftlichen Möglichkeiten mehr hochkarätige Betriebe ansässig waren, als im Westen oder Süden.
Wie die Forschungsarbeit aufzeigt, waren die Handwerker zudem häufig selbst für die kunstvollen Schnitzereien zuständig, nicht nur für die grobe Struktur, die vom Bildhauer verfeinert wurde – auch das ist nun belegbar. Klöster konnten aufgrund ihrer Unabhängigkeit dabei auch auf die Handwerkskunst der unzähligen Tischlergesellen zugreifen, die in Europa unterwegs waren.
Bibliotheken verbinden zwei Welten
Klosterbibliotheken sind mit Regalen und Schränken ohne sakrale Funktion ausgestattet. Da diese Möbel ebenfalls vor Ort erzeugt wurden, bilden Klosterbibliotheken eine ideale Schnittstelle zu säkularem Barockmobiliar, wie es in vielen Beständen zu finden ist. Der Kunsthistoriker widmet sich ihnen deshalb in einem neuen, ebenfalls vom FWF geförderten Forschungsprojekt. Dieses ist der letzte Baustein für den Gesamtkatalog.
Vom Wissen über die stilistischen Merkmale, über Herkunft oder Produktionsstätten profitieren neben der Forschung vor allem Restauratoren sowie der Kunsthandel. Außerdem erhöht es die Chance, dass der kulturelle Wert barocker Möbel – ob hochkarätiger oder rustikaler Stücke, ob in Schlössern oder Sakralbauten – allgemein Beachtung findet. Um den Bestand zu erhalten, ist dies eine der Grundvoraussetzungen. (FWF/ts)
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