Theatertreffen: Ein Volksfeind – oder doch eher ein Held der ökologischen Bewegung?
Vielleicht fragt sich so mancher, was kann ein Stück aus dem 19. Jahrhundert heute noch für eine Aktualität aufweisen? Ein Volksfeind von Henrik Ibsen scheint mehr denn je die Verlogenheit einer Gesellschaft minutiös aufzudecken und allen den Spiegel vorzuhalten. Ein Schauspiel, das sich schon damals mit dem Thema Umweltzerstörung, ausgelöst durch den Menschen, auseinandersetzte.
Und scheinbar sind wir keinen Schritt weiter gekommen. Denn rein statistisch gesehen ist bis zum Jahr 2100 die Hälfte der Menschheit von Hungersnöten bedroht, wenn sich die klimatische Entwicklung wie bisher fortsetzt. Laut den Vereinten Nationen stehen wir nämlich vor einer globalen Wasserkrise, da das noch verfügbare Süßwasser ziemlich ungleichmäßig verteilt ist. Und wenn man bedenkt, dass eine der weltweit größten Chemiebetriebe Ende des 19. Jahrhunderts (BASF) in Ludwigshafen ihre chemischen Spuren im Wasser hinterließ, toxische Säuren problemlos ins Wasser leiteten, zudem wurde der Main, die Wupper und der Rhein noch über die Teerfarbenfabriken mit Arsensäuren hochgradig vergiftet, hat Henrik Ibsen definitiv ein Thema aufgegriffen, das bis heute seine langen Schatten wirft.
In der Inszenierung von Stefan Pucher am Züricher Schauspielhaus, wird diese Misere sehr deutlich aufgezeigt. Der Protagonist Dr. Tomas Stockmann, ein Badearzt, hat vorerst seiner Heimatstadt zu Wohlstand und Ansehen dadurch verholfen, dass er die Idee hatte, sie zu einem Badeort zu machen. Kurgäste kommen, die Wirtschaft wird angekurbelt, jeder profitiert davon. Auch ein Energiekonzern hat sich hier angesiedelt, der Frackingturm ragt meterhoch in die Skyline. Doch die nun aufgetretenen Krankheiten der Menschen ergeben, dass das Grundwasser verseucht ist, hochgradig radioaktiv angereichert, ausgelöst durch genau diesen Konzern.
Was Ibsen im 19. Jahrhundert anprangerte, nämlich wie durch die aufkommende Industrialisierung große Fabriken ihre stinkenden und gefährlichen Abwässer in Flüsse und Seen leitete, wird in dieser Inszenierung durch globale und lukrative Wirtschaftsverträge hervorgerufen, die keine Rücksicht auf die Umwelt oder den Menschen nehmen.
Vorerst erhält Tomas Unterstützung von den beiden Bloggern Hovstedt und Billing. Sein Bericht soll auf „DEMOnline“ veröffentlicht werden, der lokalen Meinungsplattform.
Peter Stockmann, der Bruder von Tomas ist der Stadtvorsteher und auch Vorsitzender der Kurverwaltung und versucht diesen Skandal kleinzureden. Allzu deutlich wird hier aufgezeigt, dass Wohlstand und wirtschaftliche Vorteile vor Ökologie und Gesundheit stehen.
Unweigerlich muss man an die letzten Glyphosatskandale denken und die unverschämten Machtbefugnisse von Monsanto, bei der es mittlerweile um den Kampf um Genmanipulierte Lebensmittel geht.
Tomas Stockmann steht plötzlich alleine da, will mit allen Mitteln den Skandal aufdecken und tatsächlich etwas gegen die katastrophale Umweltzerstörung unternehmen. Aber von allen Seiten wird Tomas angegriffen, denn der Ausstieg aus dieser Energiegewinnung würde Steuererhöhungen mit sich ziehen, die sich wiederum ungünstig auf die Unternehmer und Kleinfirmen niederschlagen. Die Gier nach Profit wird bravourös in Szene gesetzt. Obwohl in dem schicken futuristischen Bühnenbild von Barbara Ehnes die Fitnessfraktion, die Veganer, natürlich auch die Vegetarier sich als hip und chic demonstrativ in Szene setzen können, geht es aber letztendlich nur um den eigenen Geldbeutel, und all die hehren Vorsätze nach einer grünen und demokratischen Zukunft lösen sich in Nichts auf. Damit erkennt Tomas Stockmann, dass es nicht nur um vergiftete Wasserleitung geht, sondern wie schon Ibsen im Originaltext schreibt: „Dass die Quellen unseres gesamten geistigen Lebens vergiftet sind und daß unsere ganze bürgerliche Gesellschaft auf dem verpesteten Boden der Lüge steht“.
Nun beginnt ganz nach Bibelart der Bruderzwist
Hier bedient sich Stefan Pucher, was schon im Mittelalter funktionierte, die marktschreierische Öffentlichkeit um den Konflikt publik und medienwirksam in Szene zu setzen. Ein Talkshowspektakel, bei dem das Publikum die Wahl hat: entweder sich den Befürwortern des Konzerns zuzuwenden, die möglichst die Wahrheit nicht sehen will, oder Tomas Stockmann die Treue halten und für die gute Sache zu kämpfen. Hier wird vielleicht auch dem Zuschauer bewusst, welchen Einfluss die Medien mittlerweile auf uns haben, denn man muss sich tatsächlich entscheiden, seinen Platz zu verlassen oder sitzen zu bleiben.
Die Schlinge um Tomas Stockmanns Hals wird immer enger, die ganze Versammlung brüllt: „Er ist ein Volksfeind!“ Seine gesamte Familie wird gleich mit denunziert und aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Der von wirtschaftlicher Stärke abhängigen politischen Gemeinde steht Tomas machtlos gegenüber.
Markus Scheuermann kämpft als Tomas Stockmann mit allen Mitteln um die Wahrheit. Er gibt dem Titelhelden so viel Herzblut, dass wir ihn sehr wohl bei einer ökologischen Bewegung sehen könnten und sicherlich wäre er längst Parteivorsitzender der Grünen geworden.
Robert Hunger-Bühler bleibt als Peter Stockmann in seinen Mitteln sehr subtil, was eine grandiose Wirkung erzielt. Mit dieser Figur zeigt er, dass die politische Macht auch mit sehr leisen Tönen zum Ziele kommt, dabei immer ein Lächeln auf den Lippen. Er weiß ganz genau, wann er wo seine Mittel einzusetzen hat, kann die Zweifler überzeugen und auf seine Seite ziehen.
Die beiden Blogger, gespielt von Tabea Bettin und Nicolas Rosat, zeigen alleine durch ihre Fachsprache aus der Medienwelt, wie sie Gefangene ihres eigenen Systems geworden sind. Immer auf dem Run nach der großen Story und nur wer genügend Skandalpotenzial mitbringt, die sie aber nicht weiter tangiert, bekommt auch ihre Plattform als Medium.
Isabelle Menke als Ehefrau und Sofia Elena Borsani sind allein schon durch ihre Kostüme von Annabelle Witt der weiblichen und eher intuitiven Seite zugeordnet. Sie handeln im Gegensatz zu den anderen Figuren aus ihren Emotionen heraus, und ahnen die Tragweite dieses Konfliktes relativ früh, stehen ihrem Mann und Vater bis zum Schluss bei. Dier kann am Ende nur noch feststellen: „Der stärkste Mann auf der Welt ist derjenige, der ganz allein dasteht.“
Becky Lee Walters unterstreicht mit ihrer Live- Musik die Atmosphäre, während Ute Schall mit der Live-Kamera immer wieder die markanten Momente als Nahaufnahme festhält.
Das größte Lob verdient allerdings die sensationelle Bearbeitung des Textes von Dietmar Dath. Ihm gelingt es, in einer modernen Sprache den heutigen Nerv von politischen Skandalen zu treffen, ohne Ibsen oder die Geschichte zu verraten. Im Gegenteil, Ibsen hätte seine wahre Freude gehabt.
Das was der norwegische Schriftsteller bestimmt mit seinem Stück erreichen wollte, gelingt dem Team Pucher/Dath, indem sie die bürgerliche Welt unserer Zeit, die permanent von Lebenslügen zerfressen wird ganz klar offenzulegen und in der Mischung von sozialkritische Anklage und Satire liegt die Eigenart dieser Inszenierung.
Auch heute Abend, Donnerstag den 12. Mai um 19:00 Uhr im Haus der Berliner Festspiele können Sie die Veranstaltung „Ein Volksfeind“ von Henrik Ibsen in einer Bearbeitung von Dietmar Dath, basierend auf der Übersetzung von Henrik Schmidt-Henkel sehen.
Im Anschluss an die Vorstellung gibt es ein Publikumsgespräch. Moderation Christoph Leipold und der Juror Stefan Reuter.
Es lohnt sich!
Das Theatertreffen geht noch bis zum 22.5. 2016
Weitere Infos:
blog.berlinerfestspiele.de
theatertreffen-blog.de
Tickets: 030 524 89 100
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