Stationen: Dichter & Denker – Herrenchiemsee

Titelbild
Foto: istockphoto
Von 10. Februar 2022

Die Berge ruhen erhaben und eingebettet im Bühnenwerk von Natur und Landschaft am Horizont; schneebedeckt, friedlich und still liegt der See vor mir und rundet die Stimmung harmonisch ab. Das Bergpanorama spiegelt sich klar, erhaben und gleichförmig im Antlitz des Sees; in weiter Ferne kündigt der Gesang der Vögel den nahenden Frühling an. Ganz kapituliert hat er – der Frost – jedoch noch nicht, er webte sein eisiges Netz noch einmal, vielleicht zum letzten Mal und überzog den Schilfgürtel vor mir mit seiner kühlen Decke. Ein sanfter, eisiger Hauch trifft meine Wangen und verleiht diesen stillen Moment am See eine tiefe, wache Ernsthaftigkeit und Schwere, die mich über das Leben nachdenken lässt. – Der April hat viele Gesichter, auch ein sehr kühles, lebensunfreundliches.

Der Atemzug des Frostes lässt mich an diesem Morgen weichen, meine Gedanken lasse ich am Ufer zurück und ich begebe mich auf den Weg zum Hotel. – Wie doch die Zeit vergeht; es liegen Jahre zurück, als ich hier zum ersten Mal übernachtete, und ich erinnere mich noch sehr gut daran, als ich das Schloss Herrenchiemsee damals sah. Das bayerische Meer habe ich tief in mein Herz geschlossen, die Gegend und die Menschen liebgewonnen und ich bin sowieso von allem, was mit König Ludwig II. von Bayern in Verbindung steht, fasziniert. Eine kindliche Freude erwacht in mir und lässt die Welt und alles um mich herum vergessen, wenn mein Blick auf das Königsschloss fällt. – Es gleicht einer Entrückung in einem zeitlosen Moment. Augenblicke im Leben, die so selten wie kostbar sind.

Brunnen im Schlossgarten. Foto: istockphoto

Ich sehe vom Hotel aus die Sonne langsam am Horizont emporsteigen, sie erwärmt die Welt und meine Wangen spüren erneute die Kraft der Natur – wie wohlgesinnt mir doch diese Sonnenstrahlen in jenem Augenblick erscheinen; diese stillen Momente sind mir die liebsten, so früh am Morgen, so früh, mit dem Blick auf den See. – Der König liebte ebenfalls die Stille und die Einsamkeit. Ich gehe zum Frühstück und im Anschluss will ich noch einmal das Schloss Herrenchiemsee besuchen, bevor im Frühling und Sommer die Touristenmassen das Schloss belagern werden. Ich freue mich auf die besinnliche zwanzigminütige Überfahrt mit dem Schiff, hinüber zur größten der sechs Inseln im Chiemsee: der Herreninsel.

Nach der Stärkung und sehr wenig Trubel – hier geht es noch viel gemütlicher zu als zu Hause – die Fahrt über den See; ich blicke auf das Bergpanorama, sehe die Welt im Spiegel der Wasseroberfläche und nehme nur ab und an den Sing-Sang des oberbayerischen Dialektes war; ich bin fast alleine auf dem Boot und überall herrscht Ruhe. – Sollte es stimmen, dass Gott mit dem Land der Bayern ist, so möchte ich fast von einer himmlischen Ruhe sprechen. Ich erinnere mich in jenem Augenblick an eine Nordseeüberfahrt nach Helgoland bei gutem Seegang und frage mich: Ob man hier auf dem See auch seekrank werden kann? Ich bin selbst sehr robust in dieser Hinsicht, konnte aber schon viele gestandene Mannsbilder wie ein Häufchen Elend – gepeinigt von der See – in den Schiffsecken wimmern hören. Meine Heimat ist mir, so kommt es mir jedenfalls vor, stets sehr wohlgesinnt, wenn ich Ausflüge unternehme. Die Sonne erwärmt meine Haut und mein Gemüt ruht im sanften Gang des Schiffes; es legt an, ich betrete die Insel. Die Ruhe ist an diesem Tag mein ständiger Begleiter, sie begleitet mich auch bis zum Schloss. Als ich dort ankomme, offenbart sich mir ein erhabener Anblick und ich kann den König fast spüren, so markant hat er seinen Fußabdruck auf der Insel hinterlassen. – Ob es den anderen Besuchern wohl auch so ergeht? Die Bayern lieben ihren König auch heute noch immer. Ich bin wieder einmal in Gedanken versunken und stelle mir die Insel zur Zeit des Königs vor. Er selbst verbrachte nur sehr wenige Tage im Schloss und nach seinem tragischen Lebensende wurde fast zeitgleich der Bau des Schlosses gestoppt, sodass auch dieses Bauwerk unvollendet bleiben wird. Ich stehe im Park, blicke auf die Fassade vom Schloss und bin nach Versailles versetzt. Die Ähnlichkeit ist verblüffend, das kommt nicht von ungefähr, denn der König verehrte den Sonnenkönig (Ludwig XIV.) sehr und das sieht und spürte man in allen Bereichen des Schlosses. Zum Beispiel: Der Spiegelsaal ist eine Eins-zu-eins-Kopie seines Pendants von Versailles. Alles im Schloss lässt das Auge erstaunen, aber ich bewege mich heute nur im Schlossgarten und lasse die Schlossstimmung auf mich wirken, ohne das Innere erneut aufzusuchen; ich bin hierhergekommen, um nachzudenken und um meinen Inspirationsakku aufzutanken.

Ein Dampfschiff an einer Anlegestelle auf der Herreninsel. Foto: istockphoto

Die Stunden vergehen und die Sonne neigt sich langsam dem Horizont entgegen. Müde vom Nachdenken, aber mit gefülltem Akku verlasse ich die Insel. Diesmal begleiten mich viel mehr Touristen als am Morgen bei der Herfahrt. Ich fühle mich gedanklich leer, aber glücklich mit mir selbst und zufrieden mit der Welt. Ohne Gedanken lausche ich den Gesprächen an Bord. Was ich als Nächstes wahrnehme: „Wos des alles o Diridari gekost hot!“ (Was das alles an Geld gekostet hat). So entreißt mich dieses Wort: Diridari schlagartig aus meiner recht stillen inneren Welt und legt mir ein Schmunzeln auf die Lippen. Man kann sich vertiefen in die Kunst des Schlosses, in die Schönheit, die sich in jedem Winkel und Detail offenbart, aber letzten Endes interessiert dann doch oft das Profane. Und ich gehe zurück ins Hotel und speise erstmal zu Abend.

Lyrik: Herrenchiemsee

Im bayerischen Meer

liegst du

lieblich eingebettet.

Die antiken Uhren schlagen

nach Puls der alten Zeit.

Ein Inselreich –

wie fern dieser Welt.

Die Sterne über deinem Himmel

leuchten dir ganz hell –

so wie von ihm bestellt.

Verbunden sind all die Dinge,

an einer unsichtbaren Schnur.

Die Wolken ziehen friedlich –

nach oben führt die gold’ne Spur.

Wie schön die alte Zeit ist einst gewesen,

fern der Tage Arbeit Müh’n.

Auf dem Rücken seiner Pferde

durch den Park ganz ohne Furcht und kühn.

Dem Himmel jetzt so nah,

so nah zum Greifen –

dass die Welt verblasst.

Ein großer König ist er einst gewesen,

auf seinen Schultern

eine große Last.

Bayern ist ihm treu geblieben,

in Treu fest

in seiner Hand.

Der Himmel ist weiß-blau

stets je gewesen,

es ist und bleibt sein bayerisches Königsland.



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