Sonntagsmärchen: Von Himmel und Hölle

Es war um die Zeit, wo die Erde am allerschönsten ist und es dem Menschen am schwersten fällt zu sterben, denn der Flieder blühte schon, und die Rosen hatte dicke Knospen: da zogen zwei Wanderer ... Ein Märchen aus der Sammlung von Richard von Volkmann.
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Hinaufsehen. Wachsen. Die innere Stimme befragen. Und das Göttliche entdecken.Foto: blew_i/iStock
Epoch Times18. August 2024

Es war um die Zeit, wo die Erde am allerschönsten ist und es dem Menschen am schwersten fällt zu sterben, denn der Flieder blühte schon, und die Rosen hatte dicke Knospen: da zogen zwei Wanderer die Himmelsstraß entlang, ein Armer und ein Reicher. Die hatten auf Erden dicht beieinander in derselben Straße gewohnt, der Reiche in einem großen, prächtigen Hause und der Arme in einer kleinen Hütte. Weil aber der Tod keinen Unterschied macht, so war es geschehen, daß sie beide zu derselben Stunde starben.

Da waren sie nun auf der Himmelsstraße auch wieder zusammengekommen und gingen schweigend nebeneinander her.

Doch er Weg wurde steiler und steiler, und dem Reichen begann es bald blutsauer zu werden, denn er war dick und kurzatmig und in seinem Leben noch nie so weit gegangen. Da trug es sich zu, daß der Arme bald einen guten Vorsprung gewann und zuerst an der Himmelspforte ankam. Weil er sich aber nicht getraute zu klopfen, setzte er sich still vor die Pforte nieder und dachte: Du willst auf den reichen Mann warten; vielleicht klopft der an.

Nach langer Zeit langte der Reiche auch an, und als er die Pforte verschlossen fand und nicht gleich jemand aufmachte, fing er laut an zu rütteln und mit der Faust dran zu schlagen. Da stürzte Petrus eilends herbei, öffnete die Pforte, sah sich die beiden an und sagte zu dem Reichen: „Das bist du gewiß gewesen, der es nicht erwarten konnte. Ich dächte, du brauchtest dich nicht so breit zu machen. Viel Gescheites haben wir hier oben von dir nicht gehört, solange du auf der Erde gelebt hast!“

Da fiel dem Reichen gewaltig der Mut; doch Petrus kümmerte sich nicht weiter um ihn, sondern reichte dem Armen die Hand, damit er leichter aufstehen könnte, und sagte: „Tretet nur alle beide ein in den Vorsaal; das Weitere wird sich schon finden!“

Und es war auch wirklich noch gar nicht der Himmel, in den sie jetzt eintraten, sondern nur eine große, weite Halle mit vielen verschlossenen Türen und mit Bänken an den Wänden.

„Ruht euch ein wenig aus“, nahm Petrus wieder das Wort, „und wartet, bis ich zurückkomme; aber benutzt euere Zeit gut, denn ihr sollt euch mittlerweile überlegen, wie ihr es hier oben haben wollt. Jeder von euch soll es genau so haben, wie er es sich selber wünscht. Also bedenkt’s, und wenn ich wiederkomme, macht keine Umstände, sondern sagt’s, und vergeßt nichts; denn nachher ist’s zu spät.“ Damit ging er fort.

Als er dann nach einiger Zeit zurückkehrte und fragte, ob sie fertig mit Überlegen wären und wie sie es sich in der Ewigkeit wünschten, sprang der reiche Mann von der Bank auf und sagte, er wolle ein großes goldenes Schloß haben so schön wie der Kaiser keins hätte, und jeden Tag das beste Essen. Früh Schokolade und mittags einen Tag um den andern Kalbsbraten mit Apfelmus und Milchreis mit Bratwürsten und nachher rote Grütze. Das wären seine Leibgerichte. Und abends jeden Tag etwas andres. Weiter wolle er dann einen recht schönen Großvaterstuhl und einen grünseidenen Schlafrock; und das Tageblättchen solle Petrus auch nicht vergessen, damit er doch wisse, was passiere.

Da sah ihn Petrus mitleidig an, schwieg lange und fragte endlich: „Und weiter wünschest du dir nichts?“ – „O ja!“ fiel rasch der Reiche ein, „Geld, viel Geld, alle Keller voll; so viel, daß man es gar nicht zählen kann!“

„Das sollst du alles haben“, entgegnete Petrus, „komm, folge mir!“ und er öffnete eine der vielen Türen und führte den Reichen in ein prachtvolles goldenes Schloß, darin war alles so, wie jener es sich gewünscht hatte. Nachdem er ihm alles gezeigt, ging er fort und schob vor das Tor des Schlosses einen großen eisernen Riegel. Der Reiche aber zog sich den grünseidenen Schlafrock an, setzte sich in den Großvaterstuhl, aß und trank und ließ sich’s gut gehen, und wenn er satt war, las er das Tageblättchen. Und jeden Tag einmal stieg er hinab in den Keller und besah sein Geld.

Und zwanzig und fünfzig Jahre vergingen und wieder fünfzig, so daß es hundert waren – und das ist doch nur eine Spanne von der Ewigkeit –, da hatte der reiche Mann sein prächtiges goldenes Schloß schon so überdrüssig, daß er es kaum mehr aushalten konnte. „Der Kalbsbraten und die Bratwürste werden auch immer schlechter“, sagte er, „sie sind gar nicht mehr zu genießen!“ Aber es war nicht wahr, sondern er hatte sie nur satt. „Und das Tageblättchen lese ich schon lange nicht mehr“, fuhr er fort; „es ist mir ganz gleichgültig, was da unten auf der Erde sich zuträgt. Ich kenne ja keinen einzigen Menschen mehr. Meine Bekannten sind schon längst alle gestorben. Die Menschen, die jetzt leben müssen, machen so närrische Streiche und schwatzen so sonderbares Zeug, daß es einem schwindlig wird, wenn man’s liest.“ Darauf schwieg er und gähnte, denn es war sehr langweilig, und nach einer Weile sagte er wieder:

„Mit meinem vielen Geld weiß ich auch nichts anzufangen. Wozu hab ich’s eigentlich? Man kann sich hier doch nichts kaufen. Wie ein Mensch nur so dumm sein kann und sich Geld im Himmel wünschen!“ Dann stand er auf, öffnete das Fenster und sah hinaus.

Aber obschon es im Schlosse überall hell war, so war es doch draußen stockdunkel; stockdunkel, so daß man die Hand vorm Auge nicht sehen konnte, stockdunkel, Tag und Nacht, jahraus, jahrein und so still wie auf dem Kirchhof. Da schloß er das Fenster wieder und setzte sich aufs neue auf seinen Großvaterstuhl; und jeden Tag stand er ein- oder zweimal auf und sah wieder hinaus. Aber es war noch immer so. Und immer früh Schokolade und mittags einen Tag um den andern Kalbsbraten mit Apfelmus und Milchreis mit Bratwürsten und nachher rote Grütze; immerzu, einen Tag wie den andern.

Als jedoch tausend Jahre vergangen waren, klirrte der große eiserne Riegel am Tor, und Petrus trat ein. „Nun“, fragte er, „wie gefällt es dir?“

Da wurde der reiche Mann bitterböse: „Wie mir’s gefällt? Schlecht gefällt mir’s; ganz schlecht! So schlecht, wie es einem nur in so einem nichtswürdigen Schlosse gefallen kann! Wie kannst du dir nur denken, daß man es hier tausend Jahre aushalten kann! Man hört nichts, man sieht nichts; niemand bekümmert sich um einen. Nichts wie Lügen sind es in eurem vielgepriesenen Himmel und mit eurer ewigen Glückseligkeit. Eine ganz erbärmliche Einrichtung ist es!“

Da blickte ihn Petrus verwundert an und sagte: „Du weißt wohl gar nicht, wo du bist? Du denkst wohl, du bist im Himmel? In der Hölle bist du. Du hast dich ja selbst in die Hölle gewünscht. Das Schloß gehört zur Hölle.“

„Zur Hölle?“ wiederholte der Reiche erschrocken. „Das hierist doch nicht die Hölle? Wo sind denn der Teufel und das Feuer und die Kessel?“

„Du meinst wohl“, entgegnete Petrus, „daß die Sünder jetzt immer noch gebraten werden wie früher? Das ist schon lange nicht mehr so. Aber in der Hölle bist du, verlaß dich darauf, und zwar recht tief drin, so daß du einen schon dauern kannst. Mit der Zeit wirst du’s wohl selbst innewerden.“

Da fiel der reiche Mann entsetzt rückwärts in seinen Großvaterstuhl, hielt sich die Hände vors Gesicht und schluchzte: „In der Hölle, in der Hölle! Ich armer, unglücklicher Mensch, was soll aus mir werden!“

Aber Petrus machte die Tür auf und ging fort, und als er den eisernen Riegel draußen wieder vorschob, hörte er drinnen den Reichen immer noch schluchzen: „In der Hölle, in der Hölle! Ich armer, unglücklicher Mensch, was soll aus mir werden!“ –

Und wieder vergingen hundert Jahre und aber hundert, und die Zeit wurde dem reichen Mann so entsetzlich lang, wie niemand es sich auch nur denken kann. Und als das zweite Tausend zu Ende kam, trat Petrus abermals ein.

„Ach!“ rief ihm der reiche Mann entgegen, „ich habe mich so sehr nach dir gesehnt! Ich bin sehr traurig! Und so wie jetzt soll es immer bleiben? Die ganze Ewigkeit?“ Und nach einer Weile fuhr er fort: „Heiliger Petrus, wie lang ist wohl die Ewigkeit?“

Da antwortete Petrus: „Wenn noch zehntausend Jahre vergangen sind, fängt sie an.“

Als der Reiche dies hörte, ließ er den Kopf auf die Brust sinken und begann bitterlich zu weinen. Aber Petrus stand hinter seinem Stuhl und zählte heimlich seine Tränen, und als er sah, daß es so viele waren, daß ihm der liebe Gott gewiß verzeihen würde, sprach er: „Komm, ich will dir einmal etwas recht Schönes zeigen! Oben auf dem Boden weiß ich ein Astloch in der Wand, da kann man ein wenig in den Himmel hineinsehen.“

Damit führte er ihn die Bodentreppe hinauf und durch allerhand Gerümpel bis zu einer kleinen Kammer. Als sie in diese eintraten, fiel durch das Astloch ein goldener Strahl hindurch, dem heiligen Petrus gerade auf die Stirn, so daß es aussah, als wenn Feuerflammen auf ihr brannten.

„Das ist vom wirklichen Himmel!“ sagte der reiche Mann zitternd.

„Ja“, erwiderte Petrus, „nun sieh einmal durch!“

Aber das Astloch war etwas hoch oben an der Wand und der reiche Mann nicht sehr groß, so daß er kaum hinaufreichte.

„Du mußt dich recht lang machen und ganz hoch auf die Zehen stellen“, sagte Petrus. Da strengte sich der Reiche so sehr an, als er nur irgend konnte, und als er endlich durch das Astloch hindurchblickte, sah er wirklich in den Himmel hinein. Da saß der liebe Gott auf seinem goldnen Thron zwischen den Wolken und den Sternen in seiner ganzen Pracht und Herrlichkeit und um ihn her alle Engel und Heiligen.

„Ach“, rief er aus, „das ist ja wunderschön und herrlich, wie man es sich auf der Erde gar nicht vorstellen kann. Aber sage, wer ist denn das, der dem lieben Gott zu Füßen sitzt und mir gerade den Rücken zukehrt?“

„Das ist der arme Mann, der auf der Erde neben dir gewohnt hat und mit dem du zusammen heraufgekommen bist. Als ich euch auftrug, es euch auszudenken, wie ihr es in der Ewigkeithaben wolltet, hat er sich bloß ein Fußbänkchen gewünscht, damit er sich dem lieben Gott zu Füßen setzen könne. Und das hat er auch bekommen, genau wie du dein Schloß.“

Als er dies gesagt, ging er still fort, ohne daß es der Reiche merkte. Denn der stand immer noch ganz still auf den Fußspitzen und blickte in den Himmel hinein und konnte sich nicht satt sehen. Zwar es fiel ihm recht schwer, denn das Loch war sehr hoch oben, und er mußte fortwährend auf den Zehen stehen; aber er tat es gern, denn es war zu schön, was er sah.

Und nach abermals tausend Jahren kam Petrus zum letztenmal. Da stand der reiche Mann immer noch in der Bodenkammer an der Wand auf den Fußspitzen und schaute unverwandt in den Himmel hinein und war so ins Sehen versunken, daß er gar nicht merkte, als Petrus eintrat.

Endlich legte ihm aber Petrus die Hand auf die Schulter, daß er sich umdrehte, und sagte:

„Komm mit, du hast nun lange genug gestanden! Deine Sünden sind dir vergeben; ich soll dich in den Himmel holen. – Nicht wahr, du hättest es viel bequemer haben können, wenn du nur gewollt hättest?“

 

Richard von Volkmann (1830-1889) war ein deutscher Chirurg und Hochschullehrer sowie Poet und Märchendichter aus Halle/Saale. Er veröffentlichte seine literarischen Werke unter dem Pseudonym Richard Leander, seine um 1870/1871 verfassten Märchen nannte er „Träumereien an französischen Kaminen. Sie wurden zu einem großen Erfolg. Die Sammlung besteht aus 22 Märchen, die er im Deutsch-Französischen Krieg während der Belagerung von Paris für seine Familie verfasste und per Feldpost nach Hause sandte. Er sammelte auch Überlieferungen, die im Volk kreisten.



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