Sonntagsmärchen: Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzchen

Es war entsetzlich kalt; es schneite und war beinahe schon ganz dunkel und Abend, der letzte Abend des Jahres...
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„Jetzt stirbt Jemand!“ dachte das kleine Mädchen, denn ihre alte Großmutter, die Einzige, die sie lieb gehabt hatte, und die jetzt gestorben war, hatte ihr erzählt, daß, wenn ein Stern herunterfällt, eine Seele zu Gott emporsteigt.Foto: iStock
Epoch Times31. Dezember 2023

Es war entsetzlich kalt; es schneite und war beinahe schon ganz dunkel und Abend, der letzte Abend des Jahres.

In dieser Kälte und Finsterniß ging auf der Straße ein kleines, armes Mädchen, mit bloßem Kopfe und nackten Füßen. Als sie das Haus verließ, hatte sie freilich Pantoffeln angehabt: aber was half das? Es waren sehr große Pantoffeln gewesen, die ihre Mutter bisher benutzt hatte, so groß waren sie.

Die Kleine aber verlor dieselben, als sie über die Straße weg huschte, weil zwei Wagen schrecklich schnell vorüberrollten. Der eine Pantoffel war nicht wieder zu finden, den andern hatte ein Junge erwischt und lief damit fort; er meinte, er könne ihn recht gut als Wiege benutzen, wenn er selbst erst Kinder hätte.

Da ging nun das kleine Mädchen mit den kleinen, nackten Füßen, die ganz rot und blau vor Kälte waren. In einer alten Schürze trug sie eine Menge Schwefelhölzer und ein Bund davon in der Hand. Niemand hatte den ganzen langen Tag ihr etwas abgekauft, Niemand ihr einen Pfennig geschenkt.

Zitternd vor Kälte und Hunger schlich sie einher, ein Bild des Jammers, die arme Kleine!

Die Schneeflocken bedeckten ihr langes, blondes Haar, welches in schönen Locken um den Hals fiel; aber daran dachte sie nun freilich nicht. Aus allen Fenstern glänzten die Lichter, und es roch ganz herrlich nach Gänsebraten: es war ja Sylvesterabend. Ja, daran dachte sie!

In einem Winkel, von zwei Häusern gebildet, von denen das eine etwas mehr vorsprang als das andere, setzte sie sich hin und kauerte sich zusammen. Die kleinen Füße hatte sie an sich gezogen; aber es fror sie noch mehr, und nach Hause zu gehen wagte sie nicht: sie hatte ja keine Schwefelhölzchen verkauft und brachte keinen Pfennig Geld.

Von ihrem Vater würde sie gewiß Schläge bekommen, und zu Hause war es auch kalt; über sich hatten sie nur das Dach, durch welches der Wind pfiff, wenn auch die größten Spalten mit Stroh und Lumpen zugestopft waren.

Ihre kleinen Hände waren beinahe vor Kälte erstarrt.

Ach! ein Schwefelhölzchen konnte ihr gar wohl thun, wenn sie nur ein einziges aus dem Bunde herausziehen, es an die Wand streichen und sich die Finger erwärmen dürfte.

Sie zog eins heraus. Rrscht! wie sprühte, wie brannte es! Es war eine warme, helle Flamme, wie ein Lichtchen, als sie die Hände darüber hielt; es war ein wunderbares Lichtchen! Es schien wirklich dem kleinen Mädchen, als säße sie vor einem großen, eisernen Ofen mit polirten Messingfüßen und einem messingenen Aufsatze. Das Feuer brannte so gesegnet, es wärmte so schön; die Kleine streckte schon die Füße aus, um auch diese zu wärmen; – doch – da erlosch das Flämmchen, der Ofen verschwand, sie hatte nur die kleinen Ueberreste des abgebrannten Schwefelhölzchens in der Hand.

Ein zweites wurde an der Wand abgestrichen; es leuchtete, und wo der Schein auf die Mauer fiel, wurde diese durchsichtig wie ein Schleier: sie konnte in das Zimmer hineinsehen.

Auf dem Tische war ein schneeweißes Tischtuch ausgebreitet, darauf stand glänzendes Porzellangeschirr, und herrlich dampfte die gebratene Gans, mit Aepfeln und getrockneten Pflaumen gefüllt. Und was noch prächtiger anzusehen war: die Gans hüpfte von der Schüssel herunter und wackelte auf dem Fußboden, Messer und Gabel in der Brust, bis zu dem armen Mädchen hin.

Da erlosch das Schwefelhölzchen, und es blieb nur die dicke, feuchtkalte Mauer zurück.

Sie zündete noch ein Hölzchen an. Da saß sie nun unter dem herrlichsten Christbaume; er war noch größer und geputzter als der, den sie durch die Glasthüre bei dem reichen Kaufmanne gesehen hatte. Tausende von Lichterchen brannten auf den grünen Zweigen, und bunte Bilder, wie sie an Schaufenstern zu sehen waren, blickten auf sie herab. Die Kleine streckte ihre Hände danach aus: da erlosch das Schwefelhölzchen.

Die Weihnachtslichter stiegen höher und höher; sie sah sie jetzt als Sterne am Himmel; einer davon fiel herunter und bildete einen langen Feuerstreifen.

„Jetzt stirbt Jemand!“ dachte das kleine Mädchen, denn ihre alte Großmutter, die Einzige, die sie lieb gehabt hatte, und die jetzt gestorben war, hatte ihr erzählt, daß, wenn ein Stern herunterfällt, eine Seele zu Gott emporsteigt.

Sie strich wieder ein Hölzchen an der Mauer ab, es wurde wieder hell, und in dem Glanze stand die alte Großmutter so klar und schimmernd, so mild und liebevoll. „Großmutter!“ rief die Kleine. „O! nimm mich mit! Ich weiß, Du entfernst Dich, wenn das Schwefelhölzchen erlischt; Du verschwindest, wie der warme Ofen, wie der herrliche Gänsebraten und der große, prächtige Weihnachtsbaum!“

Und sie strich schnell das ganze Bund Schwefelhölzchen, denn sie wollte die Großmutter recht fest halten.

Und die Schwefelhölzchen leuchteten mit einem solchen Glanze, daß es heller wurde, als mitten am Tage; die Großmutter war nie früher so schön, so groß gewesen; sie nahm das kleine Mädchen auf ihre Arme, und Beide flogen in Glanz und Freude so hoch, so hoch; und dort war weder Kälte, noch Hunger, noch Angst – sie waren bei Gott.

Aber im Winkel an die Mauer gelehnt, saß in der kalten Morgenstunde das arme Mädchen mit rothen Backen und mit lächelndem Munde – erfroren an des alten Jahres letztem Abend.

Die Neujahrssonne ging auf über der kleinen Leiche. Starr saß das Kind dort mit den Schwefelhölzchen, von denen ein Bund abgebrannt war.

„Sie hat sich erwärmen wollen!“ sagte man. Niemand ahnte, was sie Schönes gesehen hatte, in welchem Glanze sie mit der Großmutter zur Neujahrsfreude eingegangen war.

Ein Märchen von Hans Christian Andersen (1805-1875), Sämmtliche Märchen, 1862



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