Sehnsucht nach Schönheit, Sehnsucht nach Stille – Sehnsucht nach Vermeer
In den Werken Jan Vermeers steht die Zeit still. In Stadtansichten, in Interieurs, in kleinen, innigen Szenen. Die Abgebildeten sind meist in ruhige Tätigkeiten vertieft oder blicken uns – Zeit und Raum mühelos überbrückend – offen, ruhig und freundlich an.
Bei der aktuellen Ausstellung in Amsterdam ist das Besucherinteresse so groß, dass die Öffnungszeiten nun am letzten Wochenende bis zwei Uhr nachts ausgedehnt werden. Um einen gewissen Abstand zu den Gemälden sicherstellen zu können, sind vor ihnen halbkreisförmige Geländer angebracht.
Was würde der Delfter Maler der Stille wohl dazu sagen?
„Vom Meer“
Jan Vermeer wurde Ende Oktober 1632 als zweites Kind des Ehepaars Reynier Jansz, genannt „Vos“, und Digna Baltens in Delft geboren. Am 31. Oktober 1632 wird er auf den Namen Ioannis getauft. Die Eltern betreiben das Gasthaus „De Vliegende Vos“ (Der fliegende Fuchs) in einer Seitengasse der Delfter Altstadt.
Der Vater arbeitet darüber hinaus als Weber edler Woll- und Seidenstoffe und handelt zusätzlich mit Zeichnungen und Gemälden. Ein Jahr vor der Geburt seines Sohnes Ioannis ist er als Kunsthändler in die Künstlergilde Delfts aufgenommen worden und dadurch mit vielen Malern seiner Stadt gut bekannt.
Als Ioannis, auch Jan genannt, acht Jahre alt ist, ändert der Vater den Namen der Familie – aus nicht bekanntem Grund – in „Vermeer“, was so viel wie „vom Meer“ bedeutet. Ein Jahr später erwirbt er ein bekanntes Gasthaus am großen Marktplatz von Delft. Die Familie Vermeer lebt fortan dort, mitten im quirligen Zentrum der Stadt.
Die Kindheit Jans ist also wahrscheinlich voll interessanter Begegnungen und Erlebnisse gewesen. In der aufstrebenden und blühenden Handelsstadt Delft, in der Wirtsstube des elterlichen Gasthauses, in der Weberwerkstatt des Vaters, bei Besuchen von Künstlern im „Fliegenden Fuchs“ und später am Marktplatz, bei Atelierbesuchen des Vaters bei den Malern Delfts, zu denen Jan den Vater möglicherweise begleiten durfte, kann ein waches und interessiertes Kind viel Inspirierendes beobachten und entdecken. Vermutlich reift bereits in diesen Jahren der Wunsch des Jungen, selbst Maler werden zu wollen.
Auf dem Weg zur Meisterschaft
Doch ebenso wie zu den Kindheits- und Jugendjahren gibt es auch zur künstlerischen Ausbildung Jan Vermeers keine verlässlichen Zeugnisse.
Viele Mutmaßungen und Theorien ranken sich deshalb auch um die Frage, wer den jungen Künstler wohl unterrichtet und direkt beeinflusst haben mag. Gleich eine ganze Reihe Delfter und Utrechter Meister kommen hierfür infrage, was die Dynamik, Bedeutung und Qualität der niederländischen Kunst des 17. Jahrhunderts in beeindruckender Weise vor Augen führt.
Sicher dokumentiert ist schließlich, dass Jan – inzwischen 21 Jahre alt – am 29. Dezember des Jahres 1653 zum Mitglied der Delfter Malergilde ernannt wird.
Sehr wahrscheinlich muss er also die grundlegend verpflichtende Aufnahmebedingung einer mindestens sechsjährigen Lehrzeit bei einem anerkannten Meister der Malerei erfüllt haben. Nun ist er selbst Meister, darf Lehrlinge ausbilden und hat endlich das Recht, seine eigenen Werke zu signieren und zu verkaufen.
Für Jan Vermeer ist dies gerade jetzt besonders wichtig. Ein Jahr zuvor, im Oktober 1652, ist sein Vater verstorben und vermutlich musste Jan als einziger Sohn das Familienoberhaupt ersetzen und seine verwitwete Mutter bei der Führung des Gasthauses unterstützen. Anzunehmen ist ebenso, dass er auch den väterlichen Kunsthandel übernahm.
Diesen Aufgaben gerecht zu werden und das wirtschaftliche Auskommen der Familie zu sichern, scheint ihm gut gelungen zu sein, denn schon ein halbes Jahr später können er und Catharina Bolenes, eine junge Frau aus der Delfter Nachbarschaft, im April 1653 heiraten.
Weder in wirtschaftlicher noch charakterlicher Hinsicht scheinen Einwände gegen den Bräutigam bestanden zu haben, denn die vermögende katholische Verwandtschaft der Braut legt keinen Einspruch gegen die Eheschließung des Paares ein. Im Delft der damaligen Zeit wäre dies bei begründeten Zweifeln rechtlich möglich und durchaus nicht unüblich gewesen.
Ein stiller Maler, dessen Gemälde sprechen
Mit den Jahren 1654 und 1655 beginnt nun das künstlerische Werk Jan Vermeers – Gemälde für Gemälde – Gestalt anzunehmen.
Kaum kirchliche oder notarielle Dokumente, keinen einzigen Brief, keine Notizen, keine Skizzen oder Zeichnungen wird der Künstler der Nachwelt hinterlassen. Seine Gemälde sind es, die bis heute von seiner genauen Wahrnehmung, seinem untrüglichen Sinn für Schönheit, seiner einfühlsamen Sicht auf die dargestellten Personen, die sie umgebende Architektur, die Materialität und Symbolik von Gegenständen, Stoffen und Bildern im Bild sprechen.
Einige wenige religiöse und mythologische großformatige Gemälde eröffnen den Reigen seiner insgesamt 37 Werke, die bis heute erhalten sind. Sie zeigen bereits das besondere Augenmerk Vermeers auf die feinsinnig zurückhaltende Darstellung der handelnden Personen, auf ihre Blicke und Gesten.
Plötzliche, rätselhafte Wende
Dann jedoch, um das Jahr 1657, wendet sich Vermeer plötzlich und ausschließlich der bürgerlichen Lebenswelt seiner Zeit zu. Die Formate sind nun überraschend klein. Die Gemälde werden zu Fenstern, durch die der Betrachter in geheimnisvolle Bildräume blickt.
Vermeer verewigt in ihnen kammerspielartige Szenerien in geschmackvoll eingerichteten Innenräumen. Private, stille Augenblicke, in denen die Dargestellten, oft von sanftem, heiterem Tageslicht beleuchtet, in ruhige, oft auch geheimnisvolle Tätigkeiten vertieft sind.
Warum Vermeers Werk diese Wendung hin zum Innig-Privaten erfährt, ist nicht geklärt. War es das Vorbild des älteren Delfter Malers Gerard ter Broch, dessen meisterhafte Genregemälde beschaulich schöner Einblicke in das häuslich bürgerliche Leben der Zeit der junge Vermeer sicherlich kannte?
Auch die Werke von Carel Fabritius, einem ehemaligen Mitarbeiter Rembrandt van Rijns, den es 1650 nach Delft gezogen hatte, scheinen Vermeer fasziniert zu haben.
Das sanfte, hereinflutende Tageslicht, das in Vermeers Gemälden häufig durch ein seitlich liegendes Fenster den Raum, die Personen, ihre Gesichter, die Stoffe, Muster und Gegenstände beleuchtet und glanzvolle Lichtpunkte setzt, ist in den Werken des früh verstorbenen Fabritius erstmals zu entdecken und als das sogenannte „Delfter Licht“ in die Kunstgeschichte eingegangen.
Möglich ist auch, dass Jan Vermeer Wünsche von Auftraggebern aufgriff und dann seine unvergleichliche Stärke im Festhalten geradezu berückender Momente erkannte.
Ein Haus voller Bilder
Jahre nach Jan Vermeers Tod im Jahr 1675, fand sich im Nachlass einer verstorbenen Nachbarin eine Inventurliste von 20 Gemälden des Meisters. Ihre Familie hatte eines um das andere Werk von Vermeer erworben und war ihnen so im gesamten Haus im Alltag immer wieder begegnet.
Die Vorstellung, vor Vermeers gemalten Welten allein und in aller Privatheit und Stille zu stehen und sich in sie versenken zu können, hat etwas fast Ergreifendes.
Denn auch heute faszinieren uns diese Gemälde des 17. Jahrhunderts und ziehen uns in ihren stillen, geradezu magischen Bann – vielleicht sogar in ganz besonderer und tiefgreifender Weise: Je bedrohter Stille, Schönheit und beseelte Innigkeit werden, umso mehr wächst die Sehnsucht nach diesen in unserem heutigen Alltag täglich attackierten und doch so lebensnotwendigen Gütern.
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