Schadow: Meister der Bildhauerkunst
Nicht verträumt, sondern abgeklärt und wach schaut der junge Mann am Betrachter vorbei. Es ist, als wolle er sagen „Schaut mich genau an!“ Wie sollte es auch anders sein, mag man denken, wenn sich ein Bildhauer selbst darstellt und sowohl sich selbst als auch seine Kunst präsentieren möchte. Es ist die Büste von Johann Gottfried Schadow (1764-1850), dem die Alte Nationalgalerie Berlin eine große Ausstellung widmet.
Mit 24 Jahren Hofbildhauer
Für Kuratorin Yvette Deseyve ist die Terrakottabüste des 27-jährigen Schadow von 1791 ein Lieblingsstück in der Ausstellung. Es ist „eines der schönsten Selbstbildnisse aus der Zeit“, sagt sie. Nicht zu übersehen die stattliche Nase des Künstlers in dem fein modellierten ovalen Gesicht, den Mund leicht geöffnet, mit Grübchen am Kinn und dem leicht gewellten, locker fallenden kurzen Haar. Es ist kein repräsentatives Bildnis, wie man es aus dieser Zeit kennt, keine Tracht, keine Uniform, kein Hinweis auf Profession oder Stand – ein menschliches Gegenüber, das berührt, findet sie.
Eingangs der Ausstellung steht es so, wie es der Meister einst modelliert hat, man kann die Fingerspuren noch sehen, gleichsam Original und Unikat. Unübersehbar auch dessen großes Talent, das ihm schon drei Jahre zuvor den Posten des Hofbildhauers eingebracht hatte und ihn um 1800 zum „berühmtesten Künstler Preußens“ werden ließ, wie es im Ausstellungstext heißt. Als „Inspektor aller Skulpturen“ war er für die Ausschmückung aller Bauten verantwortlich, die der König von Preußen errichten ließ.
Wie alle Klassizisten habe sich auch Schadow an der Antike orientiert, erklärt Deseyve. Die Grundlage allen Schaffens sei für ihn jedoch die Beobachtung der Natur gewesen. Denn diese liege einem praktisch direkt vor der Nase, man brauche nur hinzuschauen. Für die Epoche war dieser Ansatz revolutionär.
Der Wissenschaftler Schadow
Und Schadow schaute wirklich genau hin: Auf der Suche nach Gesetzmäßigkeiten und Ausnahmen bei den Proportionen von Männern, Frauen und Kindern vermaß er diese akribisch. Er setzte sich mit den Theorien seiner Vorgänger wie Leonardo da Vinci auseinander, erstellte Vermessungsreihen bei Heranwachsenden und war ein neugieriger Beobachter der ersten Chinesen, die nach Europa kamen. Er notierte seine Erkenntnisse mit Genauigkeit.
Diese Gewissenhaftigkeit legte er auch bei seiner Arbeit an den Tag. Er erstellte Gipsmodelle, markierte markante Stellen am Körper mit Nägeln und übertrug dann die Proportionen mithilfe von Tastzirkeln auf die endgültige Marmorskulptur. In einem dreijährigen Forschungs- und Restaurierungsprojekt der Alten Nationalgalerie kam durch moderne Messmethoden heraus, dass er mit erstaunlicher Genauigkeit arbeitete: Bei der Übertragung der berühmten „Prinzessinnengruppe“, jener Skulptur zweier jugendlicher Prinzessinnen, betrug die Abweichung bei über Dreivierteln der Skulptur weniger als 3 Millimeter!
Zwei berühmte Prinzessinnen
Mit der Prinzessinnengruppe schrieb Schadow Ende des 18. Jahrhunderts Kunstgeschichte. Der Künstler porträtierte die preußische Kronprinzessin und spätere Königin Luise von Mecklenburg-Strelitz zusammen mit ihrer jüngeren Schwester, Prinzessin Friederike, im Alter von 17 und 15 Jahren. Beide stehen wie Freundinnen nebeneinander, die Ältere den Arm über die Schulter der Jüngeren gelegt, ihr Spielbein leger über das Standbein gekreuzt. Beide mit Haarschmuck und langen Kleidern in kunstvollem Faltenwurf, der auch auf der Rückseite der Skulpturen detailreich ausgearbeitet wurde.
Es ist das erste Standbild zweier weiblicher historischer Persönlichkeiten. Ebenfalls ungewöhnlich war, dass die Skulptur keinen Rückschluss auf den Stand der beiden Adeligen erlaubte. Würden auf dem Sockel die Namen nicht vermerkt sein, würde man nicht wissen, um wen es sich handelt. Möglicherweise war dies aber der Grund dafür, dass das Kunstwerk nach anfänglicher Begeisterung schnell aus der Öffentlichkeit verschwand. König Friedrich Wilhelm III., der Ehemann Luises, nahm Anstoß an der „Lebensnähe“ der Skulptur und verschaffte ihr keine Öffentlichkeit. Beim Betrachten hält man jedoch auch für möglich, dass ihn einfach die Offenherzigkeit der Gestaltung störte. Den Auftrag hatte noch sein Vater, König Friedrich Wilhelm II. erteilt.
Das ikonische und vielfach nachgeahmte Werk – neben der „Quadriga“, jenem von vier Pferden gezogenen Streitwagen, die das Brandenburger Tor ziert, wohl die bekannteste Skulptur Schadows – begründete seinen Ruhm auch durch Vervielfältigung, erklärt Deseyve. Die Skulptur wurde schon von Beginn an in Porzellan und Gips in verschiedenen Größen reproduziert. Es ebnete auch den Weg für den Brauch einander zugewandter Menschen, gemeinsam Freundschaftsporträts anfertigen zu lassen.
Der Mensch Schadow
Was für eine Person war Schadow? Yvette Deseyve beschreibt ihn als einen „wahnsinnig interessierten Menschen“ und fragt sich, wie er es wohl geschafft hat, alle seine Interessen unter einen Hut zu bringen. Einmal habe er einen Vortrag über „Gewänder im Wind“ gehalten, sagt sie. Neben seiner produktiven bildhauerischen Tätigkeit, durch die er eine solide bürgerliche Existenz aufbauen konnte, leitete er gleichzeitig mit der Berliner Akademie eine der bedeutendsten Kunsthochschulen der Zeit. Mit seinen künstlerischen Fähigkeiten zog er eine Vielzahl von Schülern an, was ihm den Beinamen „Vater der Berliner Bildhauerschule“ einbrachte.
Er modellierte, zeichnete und schrieb kunsttheoretische Traktate, gründete den 1. Berliner Schachklub und den ältesten Künstlerverein Deutschlands. 400 bildhauerische Werke und 2.300 Zeichnungen sind von ihm erhalten geblieben. Ebenso ein umfangreicher Nachlass, der seine Memoiren und Dutzende von Notizbüchern beinhaltet. Jede Porträtsitzung und Bestellung von Marmor wurde von ihm vermerkt und somit gehört er zu den am besten erforschten Künstlern des 19. Jahrhunderts.
Faszination Skulpturen
Zurück zu den Prinzessinnen: In dem großen, mit Spiegelwänden versehenen, hell ausgeleuchteten Saal, in dem die beiden präsentiert werden, kann man sich den Kunstwerken von allen Seiten nach Belieben nähern – hier das Modell aus gräulichem Gips, dort die Endfassung aus strahlendem Marmor. Dieses Zusammenspiel von Skulptur, Raum und Betrachter, findet Kuratorin Deseyve, macht die Faszination von Skulpturen aus. Und zwei Räume weiter, dort, wo sein Selbstbildnis steht, ist es Schadow selbst: „Es ist der Mensch Schadow, der einem gegenübertritt“, sagt sie.
Johann Gottfried Schadow. Berührende Formen.
Bis zum 19. Februar 2023 sind in der Alten Nationalgalerie auf der Berliner Museumsinsel 170 Werke von und über Schadow zu sehen.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 68, vom 29. Oktober 2022.
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