Salzburger Festspiele: „Und seine Werke allein, die werden ihm Beistand und Fürsprech sein“
Phänomenal ist sie, die Kulisse mit Salzburger Dom und Sommerhimmel. Am Abend des 8. August 2023 ziehen blaugraue Wolken wie hingetupft im Zeitlupentempo über die Zuschauer. Alljährlich seit über 100 Jahren strömen die Menschen, um „Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes“ zu sehen, wie es im Untertitel heißt. Rund 2.000 Festspielbesucher sind es pro Aufführung.
Am Abend zuvor und auch am Abend danach ist es nasskalt mit strömendem Regen. Doch dieser Abend wartet mit erstaunlich lauen Temperaturen auf, als wenn der Himmel selbst sagen wöllte: Kommts her, schaut hin, es ist wichtig.
Inspiriert von Mysterienspiel
Ist es die große Portion Hoffnung, die sich immer wieder mit diesem Theaterstoff auseinandersetzen lässt? Obwohl der Tod von Anfang bis Ende die Handlung vorantreibt und den Protagonisten namens Jedermann am Schluss auch mitnimmt, ist es kein zerstörerisches Ende. Entscheidend ist, dass der Glaube den Teufel in seine Schranken weisen kann, der sich siegessicher seinen Jedermann holen will.
Gott selbst hat seinen Boten Tod ausgesandt, um jedermann vor Gericht zu holen. Denn aller Kreatur „Ihr Herz verhärtet böslich“ gegenüber dem Schöpfer. Den reichen Jedermann zu begleiten bei seiner Katharsis ist das Publikum eingeladen. Er, dessen Kosmos bisher aus weltlichen Vergnügungen bestand, sieht sich mit seiner Todesstunde konfrontiert.
Hugo von Hofmannsthal, geboren 1874, ist Verfasser des Theaterstückes, welches sich aus spätmittelalterlichen Vorlagen nährt. Kennzeichen sind die allegorischen Rollen wie Tod, Glaube, Werke, Gott und Teufel. Unter der Regie von Max Reinhardt wurde der „Jedermann“ 1911 im Berliner Zirkus Schumann uraufgeführt. Die Presse staunte, dass das Stück bei dem auf seine Skepsis so stolzen Berliner Publikum „große Gnade“ fand.
Mit dem Spiel über die grundsätzliche Ausrichtung menschlichen Lebens wurden 1920 die ersten Salzburger Festspiele eröffnet. Waren es ja auch von Hofmannsthal und Reinhardt, die maßgeblich die Gründung der Festspiele vorangetrieben hatten. Nicht zu vergessen Richard Strauss, der auch mit im Boot war.
Für Max Reinhardt sollte die ganze Stadt Bühne sein und so entdeckte der große Erneuerer der Theaterkunst viele bis heute bespielte Orte in der Stadt wie die Kollegienkirche, die Felsenreitschule und den Domplatz, an dem auch heute Abend Bühne und Zuschauertribüne aufgebaut sind.
Große Bilder, beeindruckende Momente
In der diesjährigen Aufführung fällt wie große Flügelschwingen schwarzer Stoff an der übergroßen, abweisenden Hausfassade des Jedermanns herab und verleiht dem bald darauf erscheinenden Tod eine übergroße Präsenz. Ein schwarzer, paillettenbestickter Ganzkörperanzug lässt nur das Gesicht von Darstellerin Valerie Pachner weiß hervortreten – in manchen Momenten gerahmt von einem filigran funkelnden Strahlenkranz: „Herr, ich will die ganze Welt abrennen / Und sie heimsuchen Groß und Klein, / Die Gotts Gesetze nit erkennen / Und unter das Vieh gefallen sein.“ Als sei der Stoff selbst lebendig, entzieht er sich den Blicken wieder gemeinsam mit dem Tod.
Mitten in die Fülle irdischen Reichtums und den Streit darum taucht das Spiel mit dem personifizierten Jedermann in die weltliche Ebene ein. Den Jedermann, den dieses Jahr Michel Maertens überzeugend verkörpert, ist fast bieder zu nennen, mit Anflügen unbeholfener Fröhlichkeit, noch immer unter der Autorität der Mutter.
Betulich klärt er seinen ehemaligen Nachbarn, der nun verarmt und mit dem gespendeten Schilling des Jedermann nicht zufrieden ist, über die Pflichten und die Verantwortung eines reichen Mannes auf. „Wär all mein Geld und Gut gezählt / Und ausgeteilt auf jeglichen Christ, / Der Almosens bedürftig ist, / Es käm mein Seel nit mehr auf dich / Als dieser Schilling sicherlich“.
Komik kontrastiert den Ernst der Stunde
Das rauschende Fest, welches Jedermann am Abend gibt, will nicht so recht Fahrt aufnehmen. Sieht Jedermann, einer Vorahnung gleich, doch schon alle im Totenhemd sitzen. Für diese Szene lässt Regisseur Michael Sturminger in seiner dritten Jedermann-Inszenierung die Festgesellschaft mit einem Picknick feiern, anknüpfend an den zuvor erwähnten Lustgarten.
Die Festgesellschaft erinnert in Auftritt und Ausstattung an Flower-Power, exzentrisch überhöht. Jedermanns Buhlschaft, sprich Geliebte in roter Samthose und Blumenkranz, ebenfalls von Valerie Pachner gespielt, laut Sturminger eine bewusste Verschränkung von Leben und Tod.
Die gesamte Szenerie in ihrer Überspanntheit und forcierten Fröhlichkeit ist amüsant und stimmt gleichzeitig nachdenklich. Das Vetternpaar Jedermanns gar wird dank Bruno Cathomas und Fridolin Sandmeyer zum Komikerpaar à la Pat und Patachon. Ein Narr, wer sich nicht selbst erkennt in dem hektischen Versuch der beiden, dem Ansinnen Jedermanns zu entgehen, ihn auf seinem Weg vor das höchste Gericht, sprich in den Tod zu begleiten.
„Orientierung, die einem der Glauben gibt“
Nicole Heesters, Jahrgang 1937, gibt eine strahlende und in ihrer Kraft beeindruckende Mutter Jedermanns. Zielstrebig erscheint sie aus dem Haus, um ihren Sohn zu treffen. Ihre Geradlinigkeit lässt die fehlende Standhaftigkeit ihres Sohnes umso deutlicher hervortreten.
„Sie hat Gottvertrauen, das ist ihre Kraft, das ist ihr Mut, das ist ihre Helligkeit und ihre Freude. Ich finde, dass Gottvertrauen eine Kostbarkeit ist“, schreibt Heesters im Programmheft über ihre Rolle. Diese Mutter habe keine Angst vor dem Tod. Sie habe eine Beziehung zu einer höheren Kraft, die sie Gott nenne und die ihr Leben bestimme. „Dass ich so etwas in der heutigen Zeit spielen darf, das ist für mich Motor.“
1973 spielte Nicole Heesters die Buhlschaft und erinnert sich an den Rummel, der mit dieser Rollenbesetzung einherging. Ein Spiegel der Jedermann’schen Festrunde in unserer Gesellschaft?
Was bleibt über den Tod hinaus?
Nur die Werke Jedermanns begleiten ihn auf seiner letzten Reise. Und der Glaube ist es, der ihn aus seiner Verzweiflung reißt, dass nun all die Strafe komme, die er verdiene. Anja Plaschg, die der Figur Leben gibt, antwortet mit österreichischem Zungenschlag und dadurch sehr warmherzig und authentisch: „Gott verzeiht! Ohn Maßen.“ Allein, Jedermann müsse an die Kraft dieser Barmherzigkeit glauben.
Damit ist eigentlich alles Wesentliche gesagt – der Kern des Stückes, aus dem dieses seine Kraft bezieht. Wenngleich noch manches zu erzählen wäre. Beispielsweise die unbeschwerte Leichtigkeit des Mammons mit seinem Tutu aus goldenen Banknoten – an diesem Abend mit Emanuel Fellmer, der zweieinhalb Stunden vor Vorstellungsbeginn mit Bravour für den erkrankten Mirco Kreibich einsprang.
Oder die Spiellust der Teufelsdarstellerin Sarah Viktoria Frick, welche auch zu Beginn als Gott zu sehen ist. Ihr Kleid in dieser Rolle beeindruckt mit rund 70 Quadratmetern Fläche. Warum Gott allerdings nur mühsam robbend von der Stelle kommt, bleibt unerschlossen. Als wenn die Anbetung durch die Menschen notwendiges Lebenselixier sei?
Oder das neunköpfige Musikensemble 021 unter der Leitung von Hannes Löschen, rechts und links von der Bühne platziert, welches einer Filmmusik gleich die Atmosphäre verdichtet und durch Klänge und Melodiestränge auflädt.
Doch der Fokus möge vielmehr darauf liegen, „dieses allen Zeiten gehörige und allgemeingültige Märchen“, wie von Hofmannsthal in seinem Vorwort zum Stück schreibt, aus dem „toten Wasser des gelehrten Besitzstandes“ zu ziehen, darin es treibe durch verschiedene Fassungen über die Jahrhunderte.
Ulrike Steiner, eine der 2.000 Besucher an diesem Abend, jedoch ist sich sicher. Ihr habe es gefallen, sie ist beeindruckt und nimmt eine wertvolle Erinnerung an diesen Abend mit.
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