Richard Wagners gebauter Traum: Das Bayreuther Festspielhaus
Am 22. Mai war Richard Wagner 60 Jahre alt geworden und so nehmen sich die Bayreuther Feierlichkeiten am 2. August 1873 fast wie eine verspätete Geburtstagshommage an den Komponisten aus.
Bei der Grundsteinlegung ein Jahr zuvor, damals pünktlich zum 59. Geburtstag Wagners, hatte es in Strömen geregnet. Nun herrscht prächtiger Sonnenschein.
Und es gibt noch einen Grund zur Freude: Während der gesamten bisherigen Bauzeit ist an der Großbaustelle niemand zu Schaden gekommen. Aus Dankbarkeit und nach altem Brauch bitten die Bauarbeiter deshalb darum, dass der Choral „Nun danket alle Gott“ gemeinsam angestimmt werden möge.
Im Anschluss an das berühmte geistliche Lied erklingt Richard Wagners Kaisermarsch, den er zur deutschen Reichsgründung zwei Jahre zuvor, im Jahr 1871, komponiert hatte.
„Aus Brettern und Balken“
Die Idee Wagners, ein Festspielhaus errichten zu lassen, liegt im August 1873 mehr als zwanzig Jahre zurück. 1851 taucht sie erstmals in Briefen, unter anderem an Wagners fast gleichaltrigen Komponistenkollegen Franz Liszt auf, der – als Vater Cosima Wagners, inzwischen auch Schwiegervater Richard Wagners ist. Beim Bayreuther Richtfest steht er mit Wagner nun hoch oben auf dem Baugerüst.
Zwei Jahrzehnte zuvor, so beweisen es die ersten dazu niedergeschriebenen Gedanken Wagners, nahmen sich die Ideen für ein Festspielhaus noch sehr bescheiden aus.
Wagner träumt von Musiktheaterfesten – in Anlehnung an die im 19. Jahrhundert beliebten Turn- und Gesangsfeste – und an provisorische Bauten „aus Brettern und Balken“, die nach Ende des Festes wieder abgerissen werden sollen. Sicher ist sich Richard Wagner aber bereits damals: Die Sitzreihen der temporären Bauwerke sollen halbkreisförmig wie in einem griechischen Amphitheater angeordnet und das Orchester muss im Verborgenen den Blicken der Zuschauer völlig entzogen sein.
Realisierung? Kaum denkbar
Doch woher sollen die Mittel zur Verwirklichung dieser Visionen kommen? Jahrelang ist nicht im Geringsten an eine Realisierung zu denken. Im Gegenteil. Richard Wagner ist immer wieder von akuten Geldsorgen geplagt.
1813 wird er in Leipzig als jüngstes Kind einer bürgerlichen, aber nicht vermögenden Familie geboren. Im selben Jahr stirbt sein Vater, der Verwaltungsbeamte Carl Friedrich Wagner, am Fleckfieber und hinterlässt seine Frau Johanna und neun unmündige Kinder.
Ein enger Freund der Familie, der Porträtmaler, Dichter und Schauspieler Ludwig Geyer heiratet ein Jahr später die verwitwete Mutter und wird den Kindern zum inspirierenden, kunst- und theaterbegeisterten Stiefvater.
Die Familie siedelt nach Dresden über. Dies ist der erste Umzug in einer langen Reihe von Ortswechseln, die das Leben Richard Wagners prägen werden.
Stetige Veränderung
Als Richard acht Jahre alt ist, stirbt auch sein Stiefvater. Der Junge wird in die Obhut verschiedener Verwandter gegeben. Er verbringt Monate in Eisleben, in Leipzig, dann wieder in Dresden. Er liest mit Begeisterung Werke von Shakespeare, Goethe, Schiller und E. T. A. Hoffmann, versucht sich mit 13 Jahren an einem eigenen Schauspiel und ist fasziniert vom Komponisten Carl Maria von Weber, der das Musikleben Dresdens als Operndirektor prägt.
Mit 15 Jahren, wieder zurück in Leipzig, beginnt er heimlich Unterricht in Harmonielehre zu nehmen. An der Universität Leipzig studiert er schließlich Musik und Komposition und beschäftigt sich mit den politisch revolutionären Ideen des deutschen Vormärz. Vor allem seine Schwester Rosalie, inzwischen eine bekannte Theaterschauspielerin in Prag, unterstützt ihren jüngsten Bruder finanziell immer wieder – auch während seiner ersten Anstellungen als Chorrepetitor in Würzburg und als musikalischer Leiter des Theaters Magdeburg.
Bei Magdeburg begegnet er schließlich seiner ersten Frau, der Schauspielerin Minna Planer, tritt nur wenige Monate nach der Hochzeit eine Stelle als Musikdirektor in Königsberg an, wechselt im gleichen Jahr als Kapellmeister ins russisch regierte Riga, entgeht so den Forderungen seiner preußischen Gläubiger, um dann im Jahr 1839 nach einer stürmischen Schiffsreise über London nach Frankreich zu gelangen. In Paris hält er sich und seine Frau durch kleine Auftragsarbeiten finanziell über Wasser, ist aber auch dort bald dafür bekannt, immer in Geldnot und immer auf der Suche nach Geldgebern zu sein.
Erfolg und Revolution
Eine nicht nur schöpferische, sondern auch finanziell erfolgreichere und sorgenfreiere Zeit beginnt für Richard Wagner erst, als seine Oper „Rienzi“ 1842 in der Dresdner Hofoper mit großer Resonanz uraufgeführt wird. Er kehrt nach Sachsen zurück, eilt in Dresden von Erfolg zu Erfolg und beginnt, weitere Opernwerke zu konzipieren.
Mit dem Dresdner Maiaufstand im Jahr 1849 nimmt dieser Höhenflug jedoch ein jähes Ende.
Wagner, beeinflusst von der Philosophie Ludwig Feuerbachs, französischen frühsozialistischen Ideen und den Forderungen der demokratisch gesinnten Nationalversammlung der Frankfurter Paulskirche, hatte sich zusammen mit Freunden wie dem Architekten Gottfried Semper am Versuch beteiligt, den sächsischen König zu stürzen und eine Republik auszurufen.
Der steckbrieflich gesuchte Wagner flieht mit seiner Frau in die Schweiz, doch damit kehren keine ruhigen Zeiten ein.
Er stürzt sich in die Arbeit an neuen Kompositionen, schließt neue politische Freundschaften, reist von Konzert zu Konzert und geht leidenschaftliche Liebschaften ein. 1857 kommt es zum Eklat und zur Trennung von seiner Frau Minna. Wagner reist nun nach Venedig, nach Paris, nach Brüssel, nach Karlsruhe und Wien. 1862 kehrt er nach einer Generalamnestie erstmals wieder nach Sachsen zurück, gibt Konzerte in Leipzig, später in Sankt Petersburg, Moskau, Budapest, Prag und wieder in Wien, flüchtet 1863 von dort vor Gläubigern und gerät, nicht nur wirtschaftlich, in eine immer tiefer greifende Krise.
Überraschende Hilfe
Rettung kommt für den inzwischen 50-jährigen Wagner von einem 18-Jährigen.
Am 4. Mai 1864 wird Richard Wagner vom nur wenige Wochen zuvor zum bayrischen König proklamierten Ludwig II. empfangen. Der junge Wittelsbacher ist bereits seit Jahren von Wagners Schriften und Opern fasziniert. Jetzt wird er zum Förderer seines Idols.
Er stellt Wagner und seiner neuen Lebensgefährtin, der verheirateten Cosima von Bülow, ein Haus ganz in der Nähe der königlichen Residenz im Zentrum Münchens zur Verfügung und wird Richard Wagner allein bis 1865 über 170.000 Gulden zukommen lassen. Der junge König macht dadurch die Entstehung des vierteiligen Opernzyklus des „Ringes des Nibelungen“ erst möglich.
Und: Urplötzlich rückt auch ein jahrzehntealter Traum in unerwartete, greifbare Nähe: das Festspielhaus.
Ein Traum wird wahr – doch anders als erhofft
Wagner und Ludwig II. träumen nun gemeinsam von einem magischen Ort des Musiktheaters. Es soll die Hauptstadt des Königreichs Bayern geradezu majestätisch überragen und am Isarhochufer Münchens entstehen. Mit der Planung wird Gottfried Semper, Wagners Freund aus der Dresdner Zeit, beauftragt. Die Pläne und Modelle sind fertiggestellt, doch die Münchner begehren gegen Richard Wagner, seinen Einfluss auf den jungen König, seine offensichtlichen Einmischungen in politische Belange, seine Verschwendungssucht, seinen Lebenswandel und das Großprojekt auf.
Wagners persönliches Gastspiel in München endet so abrupt, wie es begann. Im Dezember 1865 muss sich Ludwig II. dem gesellschaftlichen Widerstand beugen und Wagner zum Verlassen Bayerns auffordern.
Fünf Jahre nach dem Aus für die Münchner Pläne entdeckt Wagner einen Lexikonartikel über das Markgräfliche Opernhaus in Bayreuth und besichtigt es bereits ein Jahr später. Als Spielstätte für den Ring der Nibelungen eignet sich der barocke Theaterbau nicht, hier in der fränkischen Provinz stoßen Wagners Theaterbauvisionen jedoch auf offene Ohren. Die Stadt Bayreuth stellt ihm einen Bauplatz auf dem heute sogenannten Grünen Hügel kostenfrei zur Verfügung. Nun aber verläuft die Finanzierung der Bauarbeiten durch den Verkauf von 1.000 Patronatsscheinen zu je 300 Talern an Musikbegeisterte sehr schleppend.
1874 ist es letztlich die sagenhafte Zusage von 400.000 Mark Kredit durch den bayrischen Märchenkönig, die das Projekt zur Vollendung führt.
Am 13. August 1876 wird das Festspielhaus mit der ersten Oper des „Ringes des Nibelungen“, dem „Rheingold“ eröffnet.
Im Bauch eines großen Instruments
Seitdem kaum verändert, kann man heute wie damals die faszinierende Akustik des vollständig aus Holz bestehenden Innenraums des Bayreuther Festspielhauses erleben.
Wie im großen dunklen Bauch eines gigantischen Holzinstruments sitzend, nimmt eine Klangwelle aus dem tiefen, verborgenen Orchestergraben und von der Bühne her Anlauf und bricht über die Zuhörer herein.
Gewaltig, zart, oszillierend, unfassbar präsent, erschütternd und beglückend – und lässt Banalität und Zeit in ihr versinken.
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