Neues Album: Reinhard Mey blickt zurück und lächelt
Ein Straßenzug in blaues Licht getaucht, im Auto sitzt Reinhard Mey und wartet, schaut an der Kamera vorbei. „Das Haus an der Ampel“ steht in roten Pünktchen auf dem Cover von Meys neuer CD.
Im ersten Song offenbart er, wohin der Blick geht: Auf sein Elternhaus. „Da steht es noch wie vor hundert Jahren, als wir darin lebten, ein bisschen verwittert, ein bisschen verlassen“, das Klingelschild verrostet, es riecht nach Kaffee, im Garten blühen die Geranien und am Kühlschrank kleben Postkarten. Mey, inzwischen 77, ist auf einem Trip in die Vergangenheit.
Immer wieder haben sich in dem Haus, von dem Mey singt, Songs des Barden aus der Berliner Vorstadt Reinickendorf abgespielt. Es ist der Sehnsuchtsort vieler seiner Kompositionen, das Haus, wo in „Viertel vor Sieben“ von 1998 der Vater im Wohnzimmer Radio hört, „in den steinalten Grundig versenkt“.
Meys 28. Studioalbum ist persönlicher
Auch auf seinem 28. Studioalbum hat sich Mey diesen melancholischen Grundton bewahrt, den Wunsch nach den einfachen Dingen des Lebens – und eine Dosis Ironie.
Doch er ist auch persönlicher geworden, gewährt seinen Zuhörern in einigen der 16 Songs einen Blick auf seine intimeren Seiten.
„In Wien“ erzählt vom Beginn der Karriere, dem Lampenfieber und der Nervosität vor dem Konzert, als er „mit einem Gitarrenkoffer in der großen, fremden Stadt“ stand, nur weil jemand auf ihn „als Außenseiter gewettet“ hat und er nun verwundert im Radio erstmals ein eigenes Stück hört.
„Ein Jahr und ein Leben lang“ habe er an diesen Liedern gearbeitet – und sie gleich zweimal auf CDs gebracht, berichtet Mey auf seiner Webseite. Neben den aufwendigen Studioaufnahmen liegt der Neuproduktion eine zweite CD bei, die er „Skizzenbuch“ nennt.
Es sind die Entwürfe zu den 16 Songs, aufgenommen in der Dichterstube, „unplugged“ zur Gitarre. In dem Zimmer sei ihm der Gedanke gekommen, die Lieder auch einmal in dieser ursprünglichen, schlichten Form zu teilen. In limitierter Edition erscheint außerdem ein Buch mit Fotos aus Meys Privatarchiv.
Der Liedermacher gewährt einen Blick in seine Werkstatt. So oder ähnlich entstanden wohl die meisten seiner mehr als 500 Lieder: melodisch-poetische Dauererfolge wie „Über den Wolken“, der bissig-ironische Titel „Ich bin Klempner von Beruf“, Chansons wie „Gute Nacht Freunde“ oder „Ankomme Freitag, den 13.“ und die böse „Diplomatenjagd“.
Früher ein Alleingänger unter den deutschen Liedermachern
Mey, der mal den Ruf hatte, der „Alleingänger unter den deutschen Liedermachern“ zu sein, berichtet nun: „Ich liebe es, unter Menschen zu sein“ – allerdings augenzwinkernd.
Der Song kreist um einen Alltag der Zumutungen, in dem er milde verwundert über Schulkinder lästert, die auf ihre Smartphones starren, sich über volle Restaurants und eine unfreiwillige Bierdusche auslässt, vor der „Glatzen-Gefahr“ warnt und die Rettung dann vom FC-St.-Pauli-Block kommt – „You never walk alone“.
Das alles hat Mey wohl vor der Corona-Krise geschrieben, denn in seinem jüngst ins Netz gestellten „Wohnzimmerkonzert“ sagte er: „Wir sitzen diesmal alle in einem seeuntüchtigen Boot“.
Vergessen ist das aber alles in dem Bonus-Duett mit Tochter Victoria-Luise. Vater und Tochter stimmen zusammen den Folk-Song um ein rotes Haarband „Scarlet Ribbons“ an, das einst Harry Belafonte berühmt machte.
Ja, die Stimme ist älter geworden, wie sollte sie nicht? Doch noch immer fließen die Melodien geschmeidig, Mey-Fans können nun wieder in neuen Songs schwelgen.
Das letzte Album „Mr. Lee“ hatte 2016 Platz drei der deutschen Albumcharts erreicht und hielt sich 18 Wochen. „Was will ich mehr“, singt er nun. Der Mann ist mit sich im Reinen. „Nichts ist verborgen, nichts ist geschönt, keine Rechnung offen, mit allen versöhnt“. (dpa)
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