Plácido Domingo: „Die Menschen brauchen diese Musik“
Plácido Domingo hat ein hartes Jahr hinter sich – jetzt steht der 80. Geburtstag im Januar bevor. Im Frühjahr, als er in Mexiko war, kam der Opernstar mit einer Corona-Infektion ins Krankenhaus. Im Jahr davor hatten Frauen ihm im Zuge der MeToo-Bewegung sexuelle Belästigung vorgeworfen.
Nach den Anschuldigungen war er im Oktober 2019 als Chef der Oper in Los Angeles zurückgetreten. Der Spanier betonte wiederholt, er habe niemals Übergriffe begangen und sehe bei sich kein Fehlverhalten, das offene Wunden hinterlassen haben könnte. Er will das Thema hinter sich lassen, Fragen dazu bleiben außen vor. Er möchte singen. 2021 und 2022 stehen etwa Köln und Baden-Baden auf dem Plan.
In Florenz war er in der Verdi-Oper „Nabucco“ zu hören. Am Mittag danach gibt der Künstler im Hotel zwei Interviews – im dunklen Anzug, mit Corona-Abstand und Mundschutz. Die Maske möchte er auch fürs Foto nicht abnehmen. „Wenn meine Kinder mich ohne Maske sehen, sind sie böse“, sagt Domingo.
Frage: Ihre Karriere umfasst viele Jahrzehnte, welches war das herausragendste Ereignis?
Antwort: Das ist so schwer zu sagen, weil es so viele außerordentliche Momente gab, überall auf der Welt.
Frage: Gibt es davon einen, an den Sie sich immer wieder erinnern?
Antwort (lacht): Ich erinnere mich an meine ersten Auftritte in den großen Häusern dieser Welt. Dazu gehören die Metropolitan in New York, die Scala in Mailand, Wien, London – und dann in Hamburg. Das war die erste deutsche Stadt, in der ich aufgetreten bin. Ein Startpunkt. Ich wurde von Professor (Rolf) Liebermann engagiert. Ich denke gerne an die ersten Male dort. Denn wenn man als junger Mann, mit Mitte, Ende 20, ein Debüt in einem so großen Opernhaus gibt, dann kann man das gar nicht vergessen.
Frage: Sie erwähnen Hamburg, und Sie haben ja auch im Laufe der Jahre Deutsch gesungen, Wagner zum Beispiel, sprechen Sie Deutsch?
Antwort: Nein, ich finde das sehr schade. Aber als ich damals nach Hamburg kam, bestand das Ensemble fast nur aus Sängern aus den USA, wir sprachen jedenfalls nur Englisch – und ich habe leider gar kein Deutsch gelernt.
Frage: Was ist für Sie durch die Covid-19-Pandemie anders geworden?
Antwort: Als allererstes fällt mir ein, dass wir gerade in dieser Zeit ein großartiges Erlebnis als Familie hatten. Denn wir waren im Urlaub, in Acapulco, mit meinen Enkelkindern. Ich sollte eigentlich nach Hamburg, Anfang März. Doch dann wurde der Auftritt an der Staatsoper gecancelt. Wir sind fast sechs Monate dort geblieben, mit unseren Enkeln – genauer meinem Sohn, meiner Schwiegertochter und den Kindern. Es war grandios. Wir haben dort ein Ferienhaus. Dort habe ich dann die Corona-Infektion bekommen. Ich musste ins Krankenhaus. Doch danach haben wir ein ganz außergewöhnliches Leben geführt. Wenn man so viel um die Welt reist wie ich, ist es nicht leicht, die Familie jeden Tag zu sehen. Das war ein unvergleichliches Erlebnis.
Frage: Außer Ihrer persönlichen Erfahrung, welchen Einfluss hat die Corona-Pandemie auf die Opernwelt? Das Publikum durfte ja länger nicht in die Theater.
Antwort: Die klassische Musik war aber sehr präsent. Jeden Tag wurde etwas gesendet. Auf den Bildschirmen gab es Opern. Vieles konnte man 24 Stunden am Tag verfolgen. Besonders in den ersten Monaten gab es so viele Events, Fernsehen, Streaming. Es gab Tage, da wurden drei Opern mit mir gesendet an drei Tagen, dann wurden sie wiederholt. Für die Klassik war das ein Moment, wie es ihn nur selten gibt. Es zeigt, dass die Menschen diese Musik brauchen und wollen.
Frage: Sie haben gesagt, dass sich Ihre Stimme womöglich verändert hat, dass sie weniger samtig ist, metallischer?
Antwort: Ich empfinde sie als anders. Aber meine Frau, meine Familie, meine Freunde, alle sagen, sie sei unverändert. Fein! (lacht) Das ist ja auch besser.
Frage: Wer verdient den Titel des besten Tenors, der je zu hören war?
Antwort: Das ist meiner Meinung nach leicht zu sagen: Das war Caruso. Enrico Caruso. Keine Frage. Als ich meine Karriere begann, habe ich oft Giuseppe Di Stefano gehört. Er war für mich ein wirklich Großer. Und später war die Arbeit mit meinen Kollegen Luciano (Pavarotti) und José (Carreras) großartig. Da hatte ich einfach Glück.
Frage: Wen bewundern Sie ganz aktuell?
Antwort: Oh, es gibt Tenöre mit den verschiedensten Repertoires. Beim italienischen Repertoire mag ich Fabio Sartori. Und dann ist da Jonas Kaufmann, und, und. Es gibt eine Serie von verschiedenen Stimmen von dramatisch bis leichter.
Frage: Wie hat sich die Oper während Ihrer Karriere verändert?
Antwort: Das Repertoire hat sich stark entwickelt. Es ist heute enorm groß. Es gibt viele Stücke, die man damals, als ich anfing, nie aufgeführt hat. Zum Beispiel all die Opern von Händel, davon kamen eine oder zwei auf die Bühnen. Dann die ganze Barockmusik. Das hat sich sehr gewandelt. Auch Opern wie „Jenufa“ (von Leos Janacek). Das war eine höchst exotische Sache. Heute spielen das alle Theater.
Frage: Fehlt Ihnen noch eine Rolle?
Antwort: Ich werde wohl noch diverse Opern singen. Noch ist nicht alles sicher, aber zwei, drei neue Rollen werden noch dazukommen. Jetzt steht der „Belisario“ in Konzertform in Bergamo an, eine Oper von Gaetano Donizetti. Auch die „Vespri Siciliani“ von Verdi ist angedacht. Wer weiß.
Frage: Wenn Sie zurückschauen, gibt es einen Punkt in Ihrer Karriere, an dem Sie sagen würden: Da hätte ich aufhören können und sollen?
Antwort: Solange ich mich stimmlich gut fühle und das Publikum zufrieden ist, so lange singe ich weiter. Aber wer weiß. Wenn man rein logisch guckt, dann sind es womöglich noch zwei Jahre. Ich weiß nicht. 2021 oder 2022, womöglich auch weniger. Bleiben wir optimistisch (lacht)!
ZUR PERSON: Plácido Domingo, Sänger und Dirigent, wurde am 21. Januar 1941 in Madrid geboren. Als Junge lebte er länger in Mexiko. Sein Europa-Debüt außerhalb Spaniens hatte er 1967 in Hamburg. In den 1990er Jahren feierte er mit Luciano Pavarotti und José Carreras als „Drei Tenöre“ Erfolge. Später wechselte er ins tiefere Bariton-Fach. Er ist verheiratet und hat drei Söhne. (dpa)
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